Mauritzer Franziskanerin baute die indische Mission auf

Vor 50 Jahren aus Ennigerloh nach Indien: „Mama“ Schwester Gerburg

Anzeige

Aus dem westfälischen Ennigerloh in die indische Mission: Schwester Gerburg machte diesen Schritt vor 50 Jahren. Und ist mittlerweile „Inderin“, sagt sie. Und Mama für die Menschen in ihrer neuen Heimat.

Drei Dinge fallen bei der Mauritzer Franziskanerin sofort auf: Der Salwar Suit, jenes traditionelle indische Gewand, das sie trägt. Dann ihr glänzender Blumenanstecker. Und schließlich ihr verschmitztes Lächeln, das sie immer wieder zeigt, wenn sie über ihre lange Zeit im Orden berichtet. Damit ist schon viel erzählt über Schwester M. Gerburg Aufderheide: über ihre fast 50-jährige Zeit in der Mission im Norden Indiens. Über ihr 65-jähriges Ordensjubiläum, das sie gerade im Mutterhaus in Münster feiert. Und nicht zuletzt über ihr humorvolles Wesen, mit dem sie über die vielen Jahre ihre Aufgaben gemeistert hat.

„Ich bin nicht so gern in Deutschland.“ Auch diesen Satz garniert die 88-Jährige mit einem kecken Zwinkern. „Meine Heimat ist längst in Indien.“ Auch wenn ihre eigentlichen Wurzeln ganz woanders liegen. In Ennigerloh, wo sie mit ihrem Zwillingsbruder und vier weiteren Geschwistern aufwuchs. Wo Plattdeutsch geredet wurde. Wo der Volksglaube noch den Alltag durchdrang. „Hier ist es mir mittlerweile zu groß und zu kalt geworden“, sagt sie. „In Indien ist alles geselliger und familiärer.“

Für die Menschen ist sie die „Mama“

Ihr Gefühl kommt nicht von ungefähr. „Amma“ nennen sie die Menschen aus der Region rund um Pithora, einem Ort im Südwesten des Landes, etwa einen Tag Zugreise von Neu-Delhi entfernt. „Mama“, heißt das in der dortigen Sprache Hindi. Und als Mutter sehen sie nicht nur die 17 Kinder, die sie im Laufe der Jahre aufzog und die mittlerweile erwachsen sind. „Ich war nach der indischen Tradition auch dafür zuständig, ihre Ehepartner auszusuchen.“ Wieder dieses lausbübische Lächeln. „18 Enkel habe ich bereits.“

„Mama“ nennen sie aber auch viele andere Bewohner der ländlichen Gegend. Weil sie ihnen in einer der ärmsten Regionen Indiens über viele Jahrzehnte beigestanden hat. Weil sie in Krankheit, Hunger und Perspektivlosigkeit für sie da war. Weil sie ihr Vertrauen besitzt. Das hat sich seit ihren ersten Tagen dort entwickelt. Damals, als sie mit 39 Jahren anreiste und als Ein-Frau-Konvent in einer Behelfshütte mit ihrer Arbeit begann.

Kinder sprechen ihre Sprache

„Familienfest“ mit „Mama“: Schwester Gerburg bei ihrer Geburtstagsfeier mit ihren „Kindern“ im Jahr 1985. | Foto: privat
„Familienfest“ mit „Mama“: Schwester Gerburg bei ihrer Geburtstagsfeier mit ihren „Kindern“ im Jahr 1985. | Foto: privat

Als Erzieherin und Krankenschwester brachte sie zwei Aufgaben-Schwerpunkte mit. Aber auch eine große Hürde: „Die Sprache – zu Beginn ging es nur mit Händen und Füßen.“ Das erste Kind, das sie aufnahm, war ein Mädchen im Säuglingsalter. „Das verstand mich ja problemlos“, sagt Schwester Gerburg lächelnd. „Weil es noch keine andere Sprache kannte.“ Wenn sie erzählt, ist herauszuhören, wie wichtig und notwendig ihr Einsatz für die Kleinsten war. „Mein zweites Kind war ein kleiner Junge, den die Eltern auf einer Müllkippe zurückgelassen hatten.“

Mit der Zeit verlagerte sich ihr Arbeitsbereich immer mehr in den medizinischen Bereich. Sie war mehr als eine Krankenschwester. Sie war auch Hebamme, Hilfs-Ärztin und Sanitäterin. Sie wurde dabei mit Krankheiten und Verletzungen konfrontiert, die sie aus der heimischen Ausbildung nicht kannte. „Schlangenbisse“, findet sie sofort ein Beispiel. „Für die Menschen in Indien ist die Schlange wie ein Engel – sie sehen ihren Biss als eine Strafe Gottes und versuchen sie auszusitzen.“ Erst, wenn es fast zu spät ist, gehen sie zum Arzt.

Schlangen-Serum ist ein Segen

Die traditionelle indische Medizin half da oft wenig, sagt Schwester Gerburg. „Sie banden Steine auf die Wunden, die das Gift herausziehen sollten.“ Auch von lebenden Hühnern, die auf die Biss-Stellen gedrückt wurden, kann sie berichten. Ihr Konvent wurde zum Glück regelmäßig mit Gegenmitteln versorgt. „Das war ein Segen, doch wenn das Serum verbraucht war, habe ich auch viele Menschen sterben sehen.“

Sie hat noch viel mehr Elend gesehen. Sie und ihre einheimischen Mitschwestern, die den Konvent nach und nach anwachsen ließen. Totgeburten, hohe Kindersterblichkeit, Krankheiten, die an anderen Orten der Welt problemlos besiegt worden wären, in Indien aber den Tod bedeuten konnten. Das Gebet hat sie dabei getragen, sagt Schwester Gerburg. „Morgens um halb vier, wenn die Kinder noch schliefen, eine Stunde Ruhe in der Kapelle.“ Immer mit der abschließenden Bitte vor der Gottes-Mutter: „Nimm meine Hände und führe mich…“

Zupackend und pragmatisch

Ihre Hände konnten zupacken. Sie war pragmatisch. Wenn sie improvisieren musste, dann tat sie das. Als eine Geburt zu scheitern drohte, weil das Kind sich gedreht hatte und nur die kleine Hand zu sehen war, bat sie eine junge Schwester, eine Kerze zu holen. Als das Ungeborene die Flamme an den Fingern spürte, zog es die Hand zurück, gleichzeitig dreht die Schwester das Kind. „Es wurde gesund geboren.“

Kein Wunder, dass sie für viele zu „Amma“ wurde. Auch für ihre mittlerweile 97 Schwestern, die der Orden inzwischen in Indien hat. Als ihre Oberin baute sie mit ihnen im ganzen Land 17 Konvente auf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht nur, dass sie für die Organisation des Lebens und Arbeitens an den neuen Standorten sorgte. Sie packte beim Bau der Klöster auch selbst mit an. Es ist zu einem Großteil ihr zu verdanken, dass aus den kleinen Anfängen in Pithora eine landesweit helfende Ordensgemeinschaft geworden ist.

Immer noch fit

Vor etwa 20 Jahren gab sie die führenden Aufgaben in der indischen Ordensprovinz ab. Nicht aber ihre Arbeit für die Menschen in Indien. Sie blieb bis 2016 Oberin des Konventes in Pithora und arbeitete weiter in den sozialen Angeboten. Das kann sie mittlerweile nicht mehr, auch wenn ihre körperliche Verfassung noch erstaunlich ist. „Ich komme immer noch im Stehen mit den Handflächen auf den Boden.“ Sagt sie nicht nur, sondern führt es auch gleich vor. Natürlich mit verschmitztem Lächeln.

Ihr Alltag heute ist so franziskanisch, wie er nur sein kann: „Beten, Kaninchen füttern, arbeiten.“ Die frühe morgendliche Stunde in der Kapelle hat sie sich nicht nehmen lassen. Danach geht es zu ihren 20 Tieren, für die sie vorher Grünzeug pflückt. Dann hilft sie in der Küche aus, geht zum Rosenkranzgebet auf den Friedhof, um danach wieder die Kaninchen zu füttern. Auch ihre anderen Tiere versorgt sie dann: die Ziege, den Hund, die Kanarienvögel und Wellensittiche in der Voliere.

Nur die Wurst und Erdbeeren fehlen

Nein, Deutschland und Westfalen vermisst sie dann nicht. Auch, weil die vielen traurigen Berichte aus der Kirche sie nachdenklich gemacht haben. Sie informiert sich fortlaufend über die Entwicklungen. „Wenn ich die Bistumszeitung Kirche+Leben bekomme, schlafe ich eine ganze Nacht nicht, um sie durchzulesen.“ Schwester Gerburg hofft, dass sich die Situation der Kirche in Deutschland wieder zum Guten wendet. Sie liest gern über die vielen guten Dinge, die es hier immer noch gibt. An ihrer Vorfreude auf ihre „Heimreise nach Indien“ ändert das alles nichts. „Das Einzige, was ich wieder ein wenig vermissen werde, sind die Wurst und die Erdbeeren, die es dort nicht gibt.“

Anzeige