Pater Daniel Hörnemann über die Kraft von heiligen Stätten

Wallfahrtsorte – so wichtig sind Andersorte für den eigenen Glauben

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Was stimmt denn nun: „Der Weg ist das Ziel“ oder „Der Weg hat ein Ziel“? Beides stimmt für das Phänomen Wallfahrt. Wallfahrten sind Werde-Gänge, auf dem Weg wie am Ziel geschieht für die teilnehmenden Menschen Heilsames in vielerlei Hinsicht.

Sie sind auf dem Weg zu sich selbst und zu ihrem Gott. Sie brechen aus dem Gewohnten und Alltäglichen auf, meistern unter Aufwendung körperlicher und seelischer Kräfte eine Wegstrecke, besuchen einen Andersort, auf den sich ihre Hoffnung konzentriert.

Heilige Orte schaffen Verbindungen

Heilige Orte sind Orte des Besonderen. Dort scheint der Himmel ein Stück offenzustehen. An ihnen geschahen Dinge, die Menschen noch immer zum Staunen und Sich-Wundern veranlassen, dazu zählen überraschende Entdeckungen heilsamer Quellen, medizinisch unerklärliche Heilungsprozesse, Erscheinungen, die nicht der Einbildung oder übersteigerter frommer Fantasie entspringen, oder etwa das Auffinden eines geheimnisvollen Kreuzes in einem Baumstamm wie in Kranenburg. Solche Orte schaffen Verbindungen zwischen den Menschen, die sich dort zum Gebet einfinden bei Kriegsgefahr, in Katastrophen und Krisen.

In vielen Religionen unternehmen Gläubige eine Reise zu einem heiligen Ort. „Wallen“ bedeutet „auf Erden pilgern“ und „feierlich ziehen“. Die Motivation zum Aufbruch sind konkrete Notlagen, Leiden, die Gottsuche, die Sehnsucht nach Vergewisserung im Glauben, die Bewältigung des eigenen Schicksals.

Heine setzt Kevelaer Denkmal

Der letzte Romantiker unter den Dichtern, Heinrich Heine, setzte der „Wallfahrt nach Kevlaar“ ein poetisches Denkmal. Wilhelms Mutter fordert ihren Sohn, der zutiefst um sein totes Gretchen trauert, zur Wallfahrt auf: „Steh auf, wir wollen nach Kevlaar, Nimm Buch und Rosenkranz; Die Mutter Gottes heilt dir Dein krankes Herze ganz.“ Die in Aussicht genommene Heilung am Wallfahrtsort gestaltet sich jedoch ganz anders als erhofft. Am Ende hat Wilhelm seinen Frieden im Tod gefunden.

In Kevelaer erhielt Hendrick Busman im grausamen Dreißigjährigen Krieg die Weisung, ein Heiligtum zu errichten für ein Gnadenbild, das er von Soldaten erwerben konnte. Seitdem pilgern Tausende Menschen an den Niederrhein mit all ihren Anliegen zum zweitgrößten Wallfahrtsort Deutschlands nach Altötting. An solchen Gnadenorten wissen sie sich ihrem Gott besonders nahe. Andere pilgern ins Heilige Land mit all seinen heiligen Orten, nach Rom, Assisi, Santiago de Compostela, Guadalupe, Loreto, Lourdes oder Fátima.

Wallfahrtsorte in der Diözese Münster

Wer so weit nicht reisen kann, für den finden sich allein in der Diözese Münster über 20 größere und kleinere Wallfahrtsorte von Bethen über Telgte bis Eggerode. In Bethen begann mit dem Ersten Weltkrieg eine Wiederbelebung der Wallfahrt, da viele Frauen und Kinder für ihre Männer, Väter und Brüder an der Front dort gebetet haben. Aus dem gesamten Münsterland kamen Menschen, die die Gottesmutter um den Schutz ihrer Angehörigen baten.

In Telgte ließ der Münsteraner Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen nach dem Dreißigjährigen Krieg, der die Region verheerte, 1654 eine Wallfahrtskapelle für die dortige Pietà, die Muttergottes mit dem toten Jesus im Schoß, erbauen. Wegstationen auf der Strecke von Münster nach Telgte zeigen den Wallfahrern die Schmerzen und Freuden Marias für ihre Bitten um Linderung oder Heilung und den Dank für erfahrene Wohltaten.

Schutz bei der Gottesmutter suchen

Im portugiesischen Fátima findet sich ein gigantisches Heiligtum, zu dem jährlich Millionen Gläubige pilgern in der Hoffnung auf Heilung ihrer Krankheiten und den Segen Gottes. Drei Hirtenkindern aus dem Dorf Fátima soll die Gottesmutter 1917 drei geheimnisvolle Botschaften mit auf den Weg gegeben haben. Das zweite dieser Mysterien kündigte das baldige Ende des Ersten Weltkriegs an und zugleich einen weiteren, schlimmeren Krieg.

Im bayerischen Altötting soll sich Ende des 15. Jahrhunderts ein Marienwunder ereignet haben: Ein bereits verstorbenes Kind kehrte auf Flehen seiner Mutter ins Leben zurück. Seitdem suchen viele Menschen Schutz und Hilfe bei der Muttergottes von Altötting.

Andersorte sind wichtig

Das Bauernmädchen Bernadette Soubirous erfuhr 1858 eine Marienerscheinung in einer Grotte beim französischen Lourdes. Jährlich pilgern Tausende dorthin, um Heilung zu finden. Menschen mit Behinderung oder schwerer Krankheit setzen ihre Hoffnung auf Lourdes und sein Heilwasser. Auch wenn nicht alle Menschen geheilt an Seele und Leib von ihren Wallfahrten nach Hause zurückkehren, haben sie die gemachten Erfahrungen des gemeinsamen Unterwegsseins bereichert. Sie sind mit ihren Nöten und Sorgen in die Schule des Gebetes gegangen und haben sich vielleicht mit ihrem Schicksal versöhnt, auch wenn ihr Los sich nicht geändert hat.

Wir brauchen Andersorte in unserem Leben, wo Menschen sich in besonderer Nähe zu Gott glauben, wo sie Hilfe, Halt, Kraft und Neuausrichtung finden und zu denen sie gerne aufbrechen, wie es die Wallfahrtspsalmen ausdrücken: „Ich freute mich, als man mir sagte: ‚Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern‘ (Ps 122,1).“

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