Interview zum Ende der Wallfahrtszeit 2015

Wallfahrtsrektor Lohmann aus Kevelaer: Pilgern liegt im Trend

Am 1. November endet die diesjährige Wallfahrtszeit. Im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ zieht der Rektor der Wallfahrt in Kevelaer, Rolf Lohmann, Bilanz. Er spricht über Gründe für die konstanten Pilgerzahlen und über die Attraktivität von Kevelaer.

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Am Sonntag endet in Kevelaer die Wallfahrtszeit. In diesem Jahr wird der emeritierte Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, nach einem Pontifikalamt die Pilgerpforte der Wallfahrtsbasilika schließen und so die Wallfahrt 2015 symbolisch beenden. Zum Ende der Wallfahrtszeit zieht Domkapitular Rolf Lohmann, Rektor der Wallfahrt in Kevelaer, im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ eine positive Bilanz: 800.000 Pilger kamen 2015 nach Kevelaer.

„Kirche-und-Leben.de“: Wie viele Pilger haben Kevelaer in diesem Jahr wieder besucht?

Domkapitular Rolf Lohmann: Die Pilgerzahl lässt sich, wie jedes Jahr, nur grob schätzen. Längst nicht alle Pilger kommen ja heutzutage mit einer organisierten Gruppe zu uns. Diese Pilgergruppe macht nur 60 Prozent aus. Das wissen wir aus einer Umfrage, die wir gestartet haben. Mittlerweile sind auch die Monate außerhalb unserer Wallfahrtszeit durchaus besucherstarke Zeiten, denkt man nur an den Advent. Deshalb sagen wir, dass mehr als 800.000 Pilger, Besucher und Gäste nach Kevelaer gekommen sind. Wir sind dankbar, dass es angesichts dieser Zahlen nicht zu Einbrüchen gekommen ist.

Wie können Sie die Pilgerzahlen verifizieren?

Wie gesagt – wir können die Angabe nur schätzen. Wir sehen aber die ziemlich konstante Zahl unserer organisierten Gruppen, obwohl seit Jahren die Gemeinden fusionieren und heute oft nur ein Eintrag in unserem Kalender steht, wo früher fünf selbstständige Gemeinde ihre eigenständige Wallfahrt angemeldet und durchgeführt haben. Wir kümmern uns als Wallfahrtsleitung sehr um diese Gruppen, zum Beispiel im Rahmen unserer jährlichen Pilgerleitertagung. Auch die Zahl der Kerzen, die in den Kirchen und an der Kerzenkapelle entzündet werden, ist in den vergangenen Jahren eher gestiegen und in diesem Jahr wieder ziemlich konstant.

Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

Pilgern ist „in“, Pilgern steht zurzeit in einer Gegenbewegung zur sonstigen kirchlichen Entwicklung. Unsere Fußprozessionen werden „größer“ und „jünger“, was uns sehr erfreut, natürlich auch einen großen Auftrag darstellt. Auch die Pilgergottesdienste in der Woche sind gut besucht. Daran erkennen wir einen positiven Trend.

Welche Gruppen – z.B. organisierte Pilgergruppen, Einzelpilger oder Touristen – unterscheiden Sie?

Wir haben immer noch einen sehr starken Anteil an organisierten Pilgergruppen. Etwa tausend Gruppen kommen nach wie vor im Verlauf eines Jahres nach Kevelaer. Wir wissen aber auch, dass etwa 40 Prozent der Pilger heute nicht mehr mit einer organisierten Gruppe kommen. Das entspricht dem Individualisierungstrend unserer Gesellschaft.

Was bedeutet diese Erkenntnis für Kevelaer?

Ein Wallfahrtsort wie Kevelaer muss sich darauf einstellen. Wenn wir Kevelaer vom eigenen Charisma als Ort der „Trösterin der Betrübten“ her denken, macht es sicher keinen substantiellen Unterschied, ob die Menschen in der organisierten Gruppe oder privat kommen. Die Sorgen der Menschen kennen diesen Unterschied nicht. Als Wallfahrtsleitung haben wir uns wohl stärker auf diese gesellschaftliche Tendenz der Individualisierung einzustellen. Durch gezielte spirituelle Angebote wie beispielsweise Kerzensegen auf dem Kapellenplatz, spätere Messe am Vormittag, geistliche Basilikaführungen oder Musik zur Wallfahrt kommen wir diesem Bedürfnis entgegen.

Wie erklären Sie sich, dass in Kevelaer die Pilgerzahlen bisher konstant blieben?

Wir kümmern uns sehr um unsere organisierten Gruppen. Aber es liegt vor allem an den handelnden Personen vor Ort, in den Gemeinden, Bruderschaften und Kevelaer-Vereinigungen, ob eine Gruppe aktiv und lebendig bleibt. Dafür haben wir bei unseren zahlreichen Kevelaer-Bruderschaften tolle Beispiele, wie das gelingt. Andere Bruderschaften tun sich hingegen auch schwer, das ist sicher ganz normal.

Was gibt letztlich den Ausschlag, nach Kevelaer zu pilgern?

Letztendlich ist entscheidend für einen Wallfahrtsort, ob die Menschen das innere Bedürfnis haben, diesen konkreten Ort zu besuchen. Das scheint für Kevelaer nach wie vor so zu sein. Die Sorgen der Menschen werden ja auch nicht geringer. Und dann ist es wichtig, ein spirituelles Angebot über den gesamten Tag hin anzubieten. Das tun wir, und wir arbeiten daran, dieses Angebot zu differenzieren und auf die Wünsche der Einzelnen einzugehen.

Was waren die Highlights in dieser Wallfahrtszeit?

Die Wallfahrtszeit hat in Kevelaer ja ihre festen Elemente: Wallfahrtseröffnung am 1. Mai, Päpstlicher Segen im Juli, Motorradfahrer-Wallfahrt, Päpstliche Segen im Juli, August und September, Wallfahrt der Tamilen, Wallfahrtsabschluss am 1. November. In diesen Rahmen ordnen sich dann die vielen kleinen und großen Pilgergruppen mit ihren eigenen Feiern ein. Dazu kommen neue Formen wie Jugend- und Themenwallfahrten (Spiritual Care, MS-Wallfahrt). Auch die Karnevalistenwallfahrt im November gehört zu den besonderen Wallfahrten. Darüber hinaus sind es die einzelnen Gruppen, für die ihre Wallfahrt etwas Besonderes ist.

Woran spüren Sie das?

Das spürt man, wenn man die Gruppen begrüßt oder mit ihnen ins Gespräch kommt. Ich freue mich sehr darüber, wie intensiv und geistlich unsere Gruppen die Wallfahrt vor- und nachbereiten. Und die einzelnen Gläubigen, die hierher kommen, eine Kerze aufstellen, hier beten und die Gottesdienste besuchen, das Sakrament der Buße empfangen, würden das sicherlich als ihr „Highlight“ in den Blickpunkt rücken.

Werden Sie neue Wallfahrtsformen wie zum Beispiel die Friedenswallfahrt fortsetzen?

Mit der Friedenswallfahrt, einer Wallfahrt für an MS erkrankte Menschen und einem Jugendwallfahrtstag haben wir neue Formen probiert. Es kam uns dabei ganz bewusst nicht auf die großen Zahlen an. Die Zeichen, die wir damit gesetzt haben, waren uns wichtig. Das gilt vor allem für den interreligiösen Dialog und auch für den Bereich der Ökumene. Aber auch das Zeichen, dass ein Wallfahrtsort zur „Trösterin der Betrübten“ vor allem auch ein Zuhause für kranke und gehandikapte Menschen sein soll, war uns wichtig. Und junge Menschen und Familien mit der Wallfahrt vertraut zu machen, ist ohnehin ein Thema, über das wir uns ständig Gedanken machen. Die Zeichen waren wichtig, das sollten die Menschen, die sich an den genannten Wallfahrtstagen beteiligt haben, spüren. Das scheint gelungen zu sein, denn viele Teilnehmer haben den Wunsch nach einer Weiterführung der Angebote im kommenden Jahr geäußert. Das wollen wir dann auch gerne so tun.

Was bedeutet das konkret?

In der Vorbereitung auf das Jahr 2017 (375-jähriges Bestehen der Wallfahrt) und im „Zukunftsausschuss Wallfahrt“ machen wir uns im Augenblick Gedanken, wie wir bestimmte Gruppen ansprechen können, für die das Thema „Trösterin der Betrübten“ von besonderer Bedeutung ist. So überlegen wir, eine Wallfahrt für Rettungskräfte, für Menschen, die in der Flüchtlings- und Sozialarbeit tätig sind, ins Leben zu rufen. Wer hierher kommt, soll Trost, Zuflucht, Zuspruch und Motivation erfahren.

Welche Bedeutung hat ein Wallfahrtsort wie Kevelaer für die Evangelisierung?

Unser Wallfahrtsort spielt eine große Rolle für die Evangelisierung. Wir möchten Menschen, auch die, die der Kirche eher fernstehen, hier ansprechen und begleiten und ihnen die frohe Botschaft verkünden. Das kleine, eher unscheinbare Gnadenbild hat eine große Ausstrahlung über Deutschland hinaus. Viele Gruppen kommen aus den Niederlanden, aus Belgien und Luxemburg, manche auch von noch weiter her. Von daher ist Kevelaer ein wirklich europäischer Pilgerort. Wir können hier deutlich machen, dass Europa mehr ist als ein Zusammenschluss von Wirtschaftsinteressen. Bei uns geht es um den Kern, um die Werte, die Europa geprägt haben und auf Dauer prägen sollen.

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