Wer die Kitas finanziert, wie viel die Kirche zahlt - und wo es Probleme gibt

Warum das Geld für viele katholische Kitas nicht reicht

Was zahlt die katholische Kirche im Bistum Münster eigentlich für ihre Kitas? Und warum ist deren Finanzierung so umstritten? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

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Im nordrhein-westfälischen Teil des Bistums Münster gibt es 735 katholische Kindertageseinrichtungen (Kitas), im Oldenburger Land 122. Darunter nicht wenige Orte, wo die katholische Kirche die Mehrheit der Einrichtungen trägt. In manchen Dörfern ist sogar der einzige Kindergarten katholisch. Dabei ist Kinderbetreuung eine öffentliche Aufgabe. Wieso also bietet die Kirche überhaupt Kitas an – und nicht nur der Staat? Wer bezahlt die Einrichtungen? Wie viel Geld steuert die Kirche bei? Warum ist die Finanzierung seit Jahren umstritten? Um solche Fragen zu beantworten, dient eine Pfarrei im NRW-Teil des Bistums als Beispiel. St. Laurentius Warendorf trägt sieben Kitas.

Wie viele Kinder werden im Bistum Münster in katholischen Kitas betreut?

Am 1. März 2019 haben 49.679 Kinder eine der 735 katholischen Kitas im nordrhein-westfälischen Teil des Bistums Münster besucht. Die Einrichtungen werden überwiegend von Pfarreien getragen, teils auch von der Caritas. Nach Angaben des Diözesan-Caritasverbands waren 14 Prozent der betreuten Kinder jünger als drei Jahre. 72 Prozent der Kinder nutzen die Über-Mittag-Betreuung, essen und ruhen in den Kitas. Dieser Anteil hat sich laut Caritas in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Im Oldenburger Land werden nach Angaben des Offizialats Vechta 11.024 Kinder in 122 Einrichtungen betreut.

Wie lange werden die Kinder betreut?

47 Prozent der Eltern lassen ihre Kinder in katholischen Kitas im NRW-Teil des Bistums 35 Stunden pro Woche betreuen. 43 Prozent haben 45 Stunden gebucht. Jedes zehnte Kind wird 25 Stunden betreut.

Werden ausschließlich katholische Kinder betreut – oder vorrangig?

Nein. Die Kirche sehe es als „sozialen Auftrag“, Kitas anzubieten, die allen Religionen und Weltanschauungen offen stehen, betont Kreisdechant Peter Lenfers aus Warendorf: „Wir sind Kirche in der Gesellschaft.“ Zudem werden Kitas auch als Orte der Pastoral verstanden: „Wir glauben, dass wir Kindern etwas Gutes mit auf den Weg geben, wenn wir ihnen das Leben Jesu und christliche Werte vermitteln und sie das Kirchenjahr und seine Feste miterleben.“

Wer entscheidet, welche Kinder betreut werden?

Der Träger entscheidet anhand der mit dem Rat der Tageseinrichtung beschlossenen Kriterien, welche von den Eltern in einer Kita angemeldeten Kinder aufgenommen werden. „Ein Mitglied des Kita-Ausschusses des Kirchenvorstands und die Verbundleitung vertreten im Rat der Einrichtung den Träger, zwei Erziehungskräfte und zwei Eltern kommen hinzu“, beschreibt Heike Wiesmann, eine von zwei Verbundleiterinnen für die sieben Kitas in St. Laurentius Warendorf.

Kriterien sind zum Beispiel, wie viele Stunden die Elternteile berufstätig sind, ob bereits Geschwisterkinder die Einrichtung besuchen, ob das Kind einen Inklusionsplatz besetzen würde, oder ob es soziale Härten gibt. Auch die Wohnortnähe der Einrichtung dürfte vielerorts ein Faktor sein. Schließlich die Konfession: „Bei zwei ziemlich identischen Situationen kann es eine Rolle spielen, wenn das eine Kind katholisch ist und das andere nicht“, sagt Jutta Wittkamp, die zweite Verbundleiterin in St. Laurentius. „Das ist aber eher ein nachrangiges Kriterium.“

Wie viele Gruppenformen gibt es in Kitas?

Nordrhein-Westfalen unterscheidet drei Gruppenformen nach Größe der Gruppe und Alter der Kinder. In jeder Form ist es möglich, das Kind 25, 35 oder 45 Stunden pro Woche betreuen zu lassen. Macht neun Möglichkeiten, für die es verschiedene „Kindpauschalen“ gibt. Die Pauschalen legt das am 29. November 2019 verabschiedete „Gesetz zur qualitativen Weiterentwicklung der frühen Bildung“ fest. Es reformiert das bisherige Kinderbildungsgesetz (Kibiz).

Wie werden Kitas finanziert?

Der laufende Betrieb im Wesentlichen über die Kindpauschalen, die in NRW der Jugendhilfeträger – im Fall Warendorf das Kreisjugendamt – dem Kita-Träger überweist. Die Pauschalen setzen sich aus Mitteln von Bund („Gute-Kita-Gesetz“) und Land und den Elternbeiträgen zusammen.

Wie hoch ist der Trägeranteil der katholischen Kirche?

10,3 Prozent im reformierten Kibiz. Zuvor waren es zwölf Prozent. Auch bei den anderen Trägern ist der Anteil gesunken. Am deutlichsten bei kommunalen Trägern – von 21 auf 12,5 Prozent.

Zahlen alle nicht-staatlichen Träger denselben Trägeranteil?

Nein. Die Kirchen bringen 10,3 Prozent auf, andere „freie“ Träger wie die Arbeiterwohlfahrt 7,8 Prozent, Elterninitiativen 3,4 Prozent.

Warum zahlen die Kirchen den höchsten Trägeranteil?

Das begründet die Politik mit der unterschiedlichen Finanzkraft – also mit Kirchensteuereinnahmen, die andere freie Träger nicht haben. Diese Regelung hat eine Landtagsmehrheit gefunden, sie ist aber juristisch aus zwei Gründen umstritten.

Erstens grundsätzlich: Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Weil der Staat die Plätze vorhalten muss, gebe es „keine Rechtfertigung dafür, die freien Träger in die Finanzierung dieser Pflichtleistung einzubeziehen“. So schrieb Michael Bertram, früherer Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, im „Kölner Stadtanzeiger“. Bertram ist ehrenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Zudem ist fragwürdig, ob eine kleine Gruppe, nämlich Kirchenmitglieder, doppelt zur Finanzierung von Kita-Plätzen beitragen soll – als allgemeine Steuerzahler und als Kirchensteuerzahler.

Der zweite Streitpunkt ist, dass Kirchen höhere Trägeranteile zahlen als andere freie Träger. Denn die Kirchensteuer ist im Prinzip ein Mitgliedsbeitrag, bei dem es keine Pflicht gibt, ihn zur Kita-Finanzierung zu nutzen – auch angesichts anderer Aufgaben der Kirchen wie Seelsorge.

Zahlt die Kirche Trägeranteil für alle ihre Kita-Plätze?

Rund 60.000 Kinder besuchen katholische Kitas im Bistum Münster. | Foto: Inna Vlasova (stock.adobe.com)
Rund 60.000 Kinder besuchen katholische Kitas im Bistum Münster. | Foto: Inna Vlasova (stock.adobe.com)

Jein. Der Trägeranteil fällt natürlich allgemein an. Es wird aber zwischen zwei Arten von Kita-Plätzen unterschieden: zwischen dem „kirchlichen Grundbestand“ und Zusatzplätzen. Die Kirche – auch das Bistum Münster – bietet einen Kindergartenplatz je 60 katholische Einwohner pro Kommune an. Was wenig klingt, ist nach Angaben des Warendorfer Pfarrers Lenfers eine realitätsnahe Berechnung. Plätze des Grundbestands werden aus kirchlichen Mitgliedsbeiträgen, also Kirchensteuern, finanziert. Es sind theoretisch jene Plätze, die katholischen Kindern zustehen. In den sieben Kitas von St. Laurentius Warendorf gibt es 209 Plätze des kirchlichen Grundbestands.

In katholischen Kitas werden aber auch Nicht-Katholiken betreut. Für diese „Zusatzplätze“ – in Warendorf derzeit 218 – übernehmen die Kommunen den eigentlich kirchlichen Trägeranteil. Diese jahrelange Praxis ist in vielen Städten und Gemeinden unstrittig.

Mit der Kibiz-Reform sinkt also der Trägeranteil der Kirchen, für einige Plätze in kirchlichen Kitas zahlt ihn sogar die Kommune. Wo ist das Problem?

Das sehen kirchliche Experten in der Konstruktion des Gesetzes. 90 Prozent der Kindpauschalen sind für das pädagogische Personal gedacht: Lohnkosten, Fortbildung und dergleichen. Die weiteren zehn Prozent sollen Sachkosten abdecken, zum Beispiel Strom, Heizung, Energie, Raumreinigung, Pflege der Außenanlagen, Hauswirtschaft, womöglich eine Köchin für die Über-Mittag-Betreuung (als Nicht-Pädagogin ist ihr Lohn nicht Teil der Personalkosten).

Stark gestiegen waren zuletzt EDV-Ausgaben, die ebenfalls zu den Sachkosten zählen: „Hier sind aufgrund neuer Bestimmungen zu Datenschutz und Datensicherung neue oder zusätzliche Hardware und Software notwendig“, sagt Martina Radhoff, Referatsleiterin für Personalverwaltung in der Zentralrendantur für die Kirchengemeinden im Dekanat Warendorf.

Problematisch zudem die Instandhaltung der Gebäude. „Die Kirchen waren mit die ersten, die flächendeckend Kindergärten gebaut haben. Entsprechend sind manche Gebäude schon etwas älter, was zu höheren Kosten bei der Instandsetzung führt – und bei der Energie“, erläutert Pfarrer Lenfers.

Auch Umbauten waren nötig: „Denken Sie zum Beispiel an die Über-Mittag-Betreuung“, erinnert Verbundleiterin Jutta Wittkamp. „Dafür mussten oder müssen in älteren Kitas Küchen, Essräume und Bereiche zum Ruhen und Schlafen für die Kinder nachträglich neu entstehen.“

Eine Stellungnahme der katholischen Bistümer Aachen, Essen, Münster, Köln und Paderborn und der evangelischen Landeskirchen im Rheinland, in Westfalen und Lippe an den NRW-Landtag fasst das Problem zusammen: Das Gesetz sieht gerade bei Sachkosten nicht genügend Geld vor.

Was geschieht denn mit Defiziten?

Kita-Finanzexperten (von links): Jan Gebker, Jutta Wittkamp, Heike Wiesmann und Martina Radhoff. | Foto: Jens Joest
Kita-Finanzexperten (von links): Jan Gebker, Jutta Wittkamp, Heike Wiesmann und Martina Radhoff. | Foto: Jens Joest

Das erste Kibiz von 2008 sah vor, aus den Kindpauschalen – nach Abzug aller Kosten – möglichst Rücklagen zu bilden. Anfangs gelang das vielen Einrichtungen auch. Mit steigenden Anforderungen aber mussten viele Träger auf die Rücklagen zurückgreifen, sie oft sogar aufbrauchen. „Weil das Kibiz keinen gleitenden Anstieg der Pauschalen vorsah, hat die Politik die Kitas sehenden Auges ins Defizit laufen lassen“, kritisiert Pfarrer Lenfers. In St. Laurentius Warendorf fehlten zum Beispiel im Kindergartenjahr 2016/17 in den sieben Kitas insgesamt 90.100 Euro.

In solchen Fällen streben katholische Träger eine Vereinbarung mit den Kommunen an. Grundlage ist die Unterscheidung von „kirchlichem Grundbestand“ und zusätzlichen Plätzen. Wenn also zum Beispiel 55 Prozent der Plätze einer katholischen Kita Zusatzplätze sind, für die die Kommune die Trägeranteile übernimmt, dann sollte sie auch 55 Prozent des Defizits übernehmen. „Die Finanzierung der Zusatzplätze gilt nach unserer Ansicht in schlechten genauso wie in guten Tagen“, formuliert Lenfers. Das Defizit für die Plätze des „Grundbestands“ deckt der katholische Träger ab – also die Pfarrei, gegebenenfalls mit Hilfe des Bistums.

Schwierig wird es, wenn Kommunen Defizitvereinbarungen nicht mittragen. Da Pfarreien und Bistum Fehlbeträge für Zusatzplätze nicht auf Dauer tragen wollen und können, wäre denkbar, dass in betroffenen Einrichtungen nur noch die Plätze des „kirchlichen Grundbestands“ vorgehalten werden. Das wäre ein massives Problem für den Staat, der den Rechtsanspruch auf Kita-Plätze erfüllen muss.

Viele katholische Kitas sind wegen der laut Experten zu geringen gesetzlichen Kindpauschalen „weiterhin existenziell von freiwilligen kommunalen Zuschüssen abhängig“, erläutert Ferdinand Claasen, Referent für Bildungspolitik im Katholischen Büro NRW in Düsseldorf. Im Klartext: Städte und Gemeinden müssen Geld zuschießen – für die Zusatzplätze und eventuelle Defizite. Sonst sind in katholischen Kitas Gruppen und ganze Einrichtungen gefährdet.

Warum zahlen Kommunen trotz eigener Geldsorgen freiwillig für katholische Kitas?

Weil es einfacher ist. Freie Träger helfen dem Staat, genügend Kita-Plätze bereitzustellen. Außerdem ist der Trägeranteil für kommunale Einrichtungen laut Gesetz höher als jener für kirchliche. Es ist also günstiger, wenn die Kommune bei kirchlichen Kitas zuschießt, als wenn sie die Einrichtung selbst betreibt.

„Jeder Träger, auch ein kirchlicher, übernimmt zudem gewisse Risiken“, erläutert Jan Gebker, Leiter der Zentralrendantur Warendorf. „Zum Beispiel braucht es genügend Erziehungspersonal – trotz Fachkräftemangels. Hinzu kommt, dass das Buchungsverhalten der Eltern nicht planbar ist. Es kann sein, dass in einem Jahr sehr viele Kinder sehr lange betreut werden – im nächsten Kindergartenjahr dann deutlich weniger, weil Eltern zu anderen Zeiten berufstätig sind.“

Zwar gibt es finanzielle Planungsgarantien durch kommunale und Kreisjugendämter. Aber: „Es kann gut sein, dass von einem Jahr zum anderem deutlich weniger Personalstunden nötig sind und deshalb auch die entsprechende Pauschale sinkt“, sagt Kita-Verbundleiterin Heike Wiesmann. „Und wohin dann mit den Erzieherinnen?“ Das ist vor allem für kleine Kitas ein Problem. In größeren Verbünden wie in Warendorf – sieben Kitas – können die Fachkräfte womöglich zwischen den verschiedenen Kindergärten der Pfarrei wechseln.

Ein weiterer Vorteil für die Kommunen: Neben den hauptberuflichen Leitungen katholischer Kitas kümmern sich die Kita-Ausschüsse der Kirchenvorstände der Pfarreien um die Verwaltung der katholischen Einrichtungen. Mit hohem Zeitaufwand – aber ehrenamtlich.

Was tut das Bistum Münster für die katholischen Kitas?

Vor allem finanziert es die Trägeranteile. Im Bistumshaushalt 2019 für den NRW-Teil waren 33,4 Millionen Euro vorgesehen. Bau-Investitionen – etwa Umbauten wegen des Anstiegs der Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren – kommen hinzu.

Daneben hat der Kirchensteuerrat in vergangenen Jahren immer wieder zusätzliches Geld für Kitas bewilligt. Es wurden Defizite für Plätze des „kirchlichen Grundbestands“ abgedeckt, obwohl die Fehlbeträge nach kirchlicher Ansicht politisch verursacht sind. Das Bistum hat freiwillige Zuschüsse für Fortbildungen oder EDV bezahlt. Mancherorts trägt die Kirche das Gehalt der Kita-Verbundleiterinnen ganz oder zum Teil, weil diese Personalkosten aus den gesetzlichen Pauschalen nicht zu finanzieren sind. Die freiwilligen Investitionen lagen in vergangenen Jahren oft im hohen einstelligen Millionen-Euro-Bereich, belegen Zahlen des Generalvikariats in Münster.

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