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Warum der Herbst so tröstlich ist

Die nervigen Laubbläser sind wieder los! Kein buntes Blättchen entgeht ihnen und ihr Geheul keinem einzigen Ohr. Doch wahrscheinlich soll die ganze Aufregung nur darüber hinwegtäuschen, dass es abwärts geht mit der Natur. Dabei ist das so schlimm nicht.

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Die nervigen Laubbläser sind wieder los! Kein buntes Blättchen entgeht ihnen und ihr Geheul keinem einzigen Ohr. Doch wahrscheinlich soll die ganze Aufregung nur darüber hinwegtäuschen, dass es abwärts geht mit der Natur. Dabei ist das so schlimm nicht.

Ob wir es wollen oder nicht (die meisten wollen nicht): Er kommt. Der Herbst. Eben noch saßen wir doch draußen auf Balkon oder Terrasse, genossen warme Sonnenstrahlen im Gesicht in diesem viel zu kurzen Sommer, das Johlen der planschenden Kinder im Schwimmbecken, den Duft von Würstchen und Steaks auf dem Grill! Eben noch waren doch die Kinder klein, brauchten ein Pflaster über dem aufgeschlagenen Knie und ließen sich schlafend ins Bett tragen! Eben noch waren wir doch zu zweit! Eben noch war es schön und friedlich! Eben noch lief alles seinen gewohnten Gang. Und dann auf einmal ist alles anders.

 

Eine Zeit ist vorbei

 

Seit einiger Zeit lebe ich auf dem Land. Rings um mich herum große Felder: Mais, Getreide, Kürbisse. Als kurz nach dem Umzug mein Vater starb und ich nach schweren Tagen wieder nach Hause kam, fuhr neben mir ein großer Mähdrescher über den Acker, schnitt die tiefgoldenen Ähren, hinterließ staubige Wolken und ein leeres Feld. Auf einmal war alles anders. Das hat mich sehr angerührt und mir gezeigt: Eine Zeit ist vorbei.

Überhaupt: Die Kinder haben längst ihren Führerschein und gehen selbstständig dann ins Bett, wann sie es für richtig halten. Mein Elternhaus ist leer. Es wird früher dunkel, es duftet modriger und nach aufgebrochener Erde statt nach keimendem Weizen und aufbrechenden Blüten. Ich muss mich immer noch ans neue Heim vor der Stadt gewöhnen. Und die Welt scheint im Krieg zu stehen. Nichts läuft seinen gewohnten Gang. Vieles fällt.

 

„Wir alle fallen“

 

„Wir alle fallen“, schreibt Rainer Maria Rilke in seinem berühmten „Herbst“-Gedicht. „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: Es ist in allen.“ So traurig sie klingt: Es ist für mich eine wunderbare Strophe. Weil sie erkennt: So ist das nunmal. Jedes Jahr aufs Neue. Und so ist das nun mal mit jedem Leben. Mich tröstet das. Es ist in allen überall. So ergeht es jedem. Man kann das wahrhaben oder nicht. Aber es ist so.

Das gilt nicht nur für das Leben im Großen und Ganzen oder nur für Jahreszeiten. Das gilt sogar für Lebensphasen, für Monate, für Wochen und manchmal sogar für einen einzigen Tag. Mal geht es hoch hinaus, und alles ist schön - und kurz darauf kommen richtig heftige Sorgen und Probleme.

„Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“ Sagt Rilke. Wäre das nicht eine wunderbare, alltäglich sich anbietende Übung in Gelassenheit - bei jedem Blatt, das Sie dabei beobachten, wie die Herbstwinde es auf die Erde pusten?

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