Zwischen Verkehrsfunk und Vaterunser

Warum ein LKW-Fahrer aus Friesoythe betet und pilgert

Hubert Kathmann transportiert wochentags Futtermittel aus dem Oldenburger Land nach Ostdeutschland. Der Familienvater liebt die Weite. Und er ist gläubiger Christ.

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Das zerfetzte Führerhaus lag auf der Straße, die blauen Warnleuchten von Polizei und Rettungswagen blinkten im Regen. Ein Unfall irgendwo auf der A1. Die Szenen flackern noch immer durch seinen Kopf. Auch wenn er alles nur von weitem mitbekommen hat.

Hubert Kathmann nickt stumm und schweigt einen Moment. „Gott sei Dank habe ich so etwas selten gesehen.“ Aber die Bilder erinnern ihn stets daran: Die Gefahr fährt mit, wenn er montags früh in seinen Lkw steigt.

 

Immer mehr Abstand als vorgeschrieben

 

Deshalb hält er immer ein paar Meter mehr Abstand als vorgeschrieben. Wenn ein Kollege auf Kanal 9 vor Polizeikontrollen warnt, muss er nicht in die Bremse steigen. „Ich halte die 50 Meter Mindest­abstand sowieso ein.“ Alles andere sei doch lebensmüde, bei gut 1,50 Meter zwischen sich und der Frontscheibe, ohne Knautschzone. „Da würde man bei einem Auffahrunfall wie vor eine Wand knallen.“

Hubert Kathmann – ein Brummifahrer aus Berufung. Seit acht Jahren unterwegs im Fernverkehr mit Futtermitteln aus dem Oldenburger Land in Richtung Osten. Einer, der sich morgens mit freiem Oberkörper und Wasser aus seinem Kanister wäscht, bei Wind und Wetter. Auf einem der Rastplätze zwischen Meißen und Magdeburg, Dresden und Görlitz. Ein kerniger Typ.

 

Morgens immer früh los

 

Und ein Christ. An seinem Schlüsselbund klimpert eine Christophorus-Plakette, jeden Morgen spricht er ein kurzes Gebet. Das gehört für ihn genauso selbstverständlich zum Ritual wie der Anruf bei seiner Frau. Die beiden sehen sich nur am Wochenende. Von montags bis freitags ist er auf Achse.

Wenn es sich ergibt, hält er auch schon mal an einer Kirche an, für eine Pause. Oder geht ein paar Schritte über einen Friedhof. „Der Glaube an Gott ist mir wichtig“, sagt er. „Das gehört dazu.“ Spätestens um halb fünf klingelt sein Wecker. Er will immer möglichst früh los. „Man kann besser in den Tag reinfahren“, sagt Hubert Kathmann. „Das ist angenehmer als müde durch die Dunkelheit.“

 

Das Radio dudelt in einer Tour

 

Und dann diese Sonnenaufgänge! Der 57-Jährige kommt ins Schwärmen. „Der Blick in die Weite der Felder. Gerade in Ostdeutschland, wo man oft kilometerweit gucken kann.“ Am liebsten fährt er durch die Oberlausitz. „Weil die Landschaft dort so abwechslungsreich ist.“

Die Tage hinterm Lenkrad sind eintönig genug. Auf Autobahnen und Landstraßen, mit dem Führerhaus als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer in einem. Tagsüber dudelt das Radio ohne Unterbrechung, NDR1 oder MDR. „Wichtig ist ein vernünftiger Verkehrsfunk“, sagt Hubert Kathmann. Die meisten Privatsender dreht er gleich wieder weg. „Wenn Moderatoren krampfhaft versuchen, lustig zu sein. Gerade so, als ob das ganze Leben nur zum Lachen wäre.“ Wo er doch nicht nur unterwegs schon gesehen hat, wie ernst, traurig und gefährlich es sein kann.

 

Die Familie trägt das mit

 

Bevor er als Fernfahrer anheuerte, fuhr Hubert Kathmann mit einem Verkaufswagen über Land, eine Art Tante-Emma-Laden auf Rädern. Bis die Supermärkte anfingen, mit Filialen in die Dörfer vorzudringen. Damit rechnete sich das nicht mehr. Also verwirklichte Hubert Kathmann seinen Traum von der Freiheit hinterm Lenkrad.

Muss man dafür ein spezieller Typ sein? Er zuckt mit den Schultern. „Die Familie muss es mittragen. Und man muss mit dem Allein-Sein umgehen können“, sagt er. Nach dem Beladen spricht er stundenlang mit keiner Menschenseele. „Meist hast Du nur zwei- oder dreimal am Tag Kontakt.“

 

Mann muss alleine sein können

 

Ihm macht das nichts aus. Sein vorgekochtes Essen wärmt er sich auf einem Gaskocher auf. Auch auf einen Fernseher an Bord verzichtet Hubert Kathmann. „Ganz bewusst,“ sagt er. „Weil die Gefahr zu groß ist, dass ich abends zu spät einschlafen würde und deshalb morgens nicht fit wäre.“

Einschlafen auf Parkplätzen ist kein Problem für ihn, trotz Hintergrundrauschen von der Autobahn. Vielerorts dämpften heute Lärmschutzwälle den Krach. „Und ein bisschen bin ich das auch gewohnt von zu Hause.“ Das Wohnhaus seiner Familie liegt direkt neben der B72 zwischen Cloppenburg und Friesoythe.

 

Lange Spaziergänge am Wochenende

 

Höchstens 45 Stunden darf ein Fahrer pro Woche am Lenkrad sitzen, fünf mal neun Stunden. Spätestens nach viereinhalb Stunden muss er eine dreiviertel Stunde Pause machen. Frühstücken, ausruhen, lesen, ein paar Schritte gehen.

Und was macht er am Wochenende, zwischen Freitagabend und Montagfrüh? Seit fünf Jahren zum Beispiel leistet er Lektorendienst. In der Frie­soyther St.-Marien-Gemeinde zählte er schon immer zu den Aktivposten, hat eine Sitzungsperiode im Pfarreirat und lange im Kirchenausschuss Verantwortung getragen.

 

Er ist auch Kommunionhelfer

 

Auf die Frage im letzten Sommer, ob er nicht auch Kommunionhelfer werden wolle, habe er nicht gleich geantwortet, sondern erst gezögert, sich dann aber doch getraut. „Ich dachte: ›Wenn andere mir das zutrauen, warum soll ich das nicht machen?‹“

Ans Pilgern kam er noch vor seiner Zeit als Fernfahrer. Begonnen hatte alles mit längeren Spaziergängen mit seiner Frau. Als dann die Gemeindefusion bevorstand und die Pfarrei Pilgergänge von Kirche zu Kirche organisierte, war er von Anfang an dabei. Von Thüle nach Markhausen oder von Friesoythe nach Altenoythe.

 

Das Pilgern für sich entdeckt

 

„Das hat mit viel Freude gemacht, das Gemeinschaftsgefühl und viele interessante Gespräche unterwegs.“ Mittlerweile gehören er und seine Frau außerdem zu einem Kreis, der zusätzliche Pilgertouren organisiert, zum Beispiel nach Bethen, den Marienwallfahrtsort bei Cloppenburg.

Dabei erinnert ihn manches an seine Erfahrungen hinterm Lenkrad. Zum Beispiel der Anblick des Nebels, wenn er in Schichten über den Feldern liegt. Aber einiges sei eben auch ganz anders. „Wenn beim Laufen in der Natur die ganze Anspannung von einem abfällt. Das ist am Lenkrad etwas völlig anderes. Das ist ja Konzentration den ganzen Tag.“

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