Dechant Heiner Innig aus Marl will Reformen - und hat noch mehr Thesen

Warum ein Pfarrer keine Thesen von „Maria 2.0“ an den Kirchtüren wollte

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Als Dechant Heiner Innig von der Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl den so genannten Thesenanschlag der der Katholischen Frauengemeinschaft und der Reformgruppe „Maria 2.0“ untersagte, war die Enttäuschung in der örtlichen Fraueninitiative groß. Im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ erklärt er, warum er die Aktion verhindert hat, warum er trotzdem die Reformanliegen unterstützt und wie er sich eine Kirchenreform vorstellt.

Herr Innig, warum wollten Sie das Plakat mit dem Thesenanschlag von „Maria 2.0“ und des KFD-Diözesanverbands nicht an den Kirchtüren Ihrer Pfarrei in Marl haben?

Weil ich vorher danach gefragt worden bin. Eigentlich sollte der Thesenanschlag zu einem Überraschungsmoment werden. Eine Pastoralreferentin, die Dekanatsfrauenseelsorgerin, informierte mich vorweg im Namen der Gruppe „Maria 2.0.“ in Marl. Nachdem ich den Thesenanschlag gelesen hatte, habe ich aus inhaltlichen und formalen Gründen gesagt, dass ich das Plakat mit den Thesen, schon gar nicht mit dem Titel „Thesenanschlag“, nicht an den Kirchtüren und auch nicht in den Schaukästen der Pfarrei aushängen möchte. Das habe ich in aller Form freundlich und deutlich untersagt. Ich habe die sieben Thesen gelesen und habe große Schwierigkeiten mit den Untertexten, dem Kleingedruckten unter den jeweiligen Thesen. Die Obertitel der Thesen, bis auf These 2 „Macht wird geteilt“, würde ich sofort überall aushängen. Das, was aber darunter im Kleingedruckten steht, ist für mich nicht eine Äußerung der Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl. Gerade weil ich möchte, dass die Anliegen der Initiative ernstgenommen werden, halte ich es für einen Bärendienst an der Sache, wenn in einer solchen Form und in einem solchen Ton diese Anliegen vorgetragen werden. Das erreicht nicht die Wirkung, die ich mir wünsche.

Warum kritisieren Sie den Thesenanschlag als unangemessen?

Der Thesenanschlag erzeugt automatisch und symbolisch die Bedeutung aus der Reformationsgeschichte mit einer Konfrontation „Die Basis gegen die Kirchenleitung“. Dieses Gegeneinander ist in diesen Fragestellungen nicht zielführend. Über die Reformanliegen und Thesen müssen die Kirchenleitungen und Ehrenamtlichen, die Seelsorgerinnen und Seelsorger aus den Gemeinden gemeinsam ringen. Da darf kein Gegeneinander formuliert werden. Mich stört schon die Überschrift. Ich habe über die Kollegin der Gruppe ausdrücklich angeboten, die Thesen im öffentlichen Raum sichtbar zu machen: am Kirchengelände oder am ökumenischen Kirchenpavillon im Marler Stern. Mein Interesse ist nicht, zu verhindern, dass öffentlich darüber diskutiert wird.

Welche Form des Protests wäre angemessener gewesen?

Dechant Heiner Innig erklärt, warum er mit dem Thesenanschlag von „Maria 2.0“ nicht einverstanden ist. | Foto: Johannes Bernard
Dechant Heiner Innig erklärt, warum er mit dem Thesenanschlag von „Maria 2.0“ nicht einverstanden ist. | Foto: Johannes Bernard

Am 31. Oktober 1517 schrieb Martin Luther einen besorgten Brief mit Mängelanzeigen an den zuständigen Ortsbischof. Der Protest wäre aus meiner Sicht besser platziert als offener Brief an die Deutsche Bischofskonferenz vor Beginn ihrer Tagung, als offener Brief an den Synodalen Weg und die Synodalen. Er hätte dann parallel dazu in den Pfarreien veröffentlicht werden können.

Sehen Sie die Forderungen von „Maria 2.0“ als berechtigt an?

In der Sache alle. Mir fallen noch einige Forderungen mehr ein. Ich würde noch eine These 8, 9 und 10 ergänzen, nämlich dass endlich weltweit und ohne Krampf die Frage der Interkommunion geklärt wird. Ich würde gern eine ausdrückliche ökumenische Definition der Sonntagspflicht für den wechselseitigen Besuch mit und ohne eucharistische Gastfreundfreundschaft im Sonntagsgottesdienst anderer Konfession sehen. Als zehnte und letzte These wünsche ich mir eine Klärung des Verhältnisses von Universalkirchenleitung und Ortskirchen. Dass Rom punktuell und in der Regel überraschend in die Seelsorge der Bistümer oder der Nationalkirchen eingreift, finde ich sehr schwierig. Ich hätte also gern zehn Thesen. Die ersten sieben, so wie ich meine ihre Zielrichtung verstanden zu haben, würde ich alle, leicht umgeschrieben, ebenfalls vertreten.

Was kritisieren Sie an den Thesen konkret?

Ich nenne drei Punkte: Es werden Begriffe benutzt, die sehr pauschal oder missverständlich sind. Was heißt zum Beispiel in These 2 „Klerikalismus“? Ich ahne, was damit gemeint ist. Auch das Wort „Machtmissbrauch“ wird pauschal benutzt. Aber wenn sie Klerikalismus und Machtmissbrauch wirklich kritisieren oder ändern wollen, dann müssen sie das auch benennen. Ganz fatal finde ich die Begründungen der These 1, wo es um den Zugang zu den Weiheämtern und anderen Ämtern je nach Leitungsebene für Frauen in der Kirche geht. Fatal finde ich die Begründung aus der Rechtsgeschichte weltlichen Rechts mit Bezug auf Grundgesetz und Menschenrechte. Das Christentum selber bietet doch viel stichhaltigere Begründungen dafür, dass es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied bei der Ausübung von Kompetenzen oder Leitungsvollmachten geben sollte, weil das Geschlecht eben nichts bedeutet. Siehe zum Beispiel den Galaterbrief des Apostels Paulus „Es gibt nicht Mann und Frau“, siehe den Umgang Jesu mit Frauen. Des Weiteren finde ich es nach wie vor sehr kränkend, wenn pauschal gesagt wird, dass kirchliche Machthaber sich aus der Verantwortung stehlen, denn das tut denjenigen, die es nicht tun, bitterlich unrecht. Die Pauschalierung und die jeweiligen Begründungsebenen stören mich, nicht das Grundanliegen von „Maria 2.0.“.

In Ihrer Pfarrei haben Sie eine aktive „Maria 2.0“-Gruppe, die regelmäßig zu Wortgottesdiensten zusammenkommt. Wie haben die Engagierten von „Maria 2.0“ reagiert, als die Plakate nicht an den Kirchtüren hängen sollten?

Die Reaktion habe ich aus der lokalen Tageszeitung erfahren, allerdings nur von der Sprecherin der „Maria 2.0“-Gruppe. Vorher, unmittelbar und hinterher hat niemand aus der Gruppe mit mir Kontakt aufgenommen. Dreiviertel der Frauen sind mir wohlbekannt. Es sind die Treuesten der Treuen, die Engagiertesten der Engagierten aus dem Ehrenamt, mit denen ich regelmäßig mit und ohne „Maria 2.0“ in Kontakt bin. Ich hörte von Enttäuschung und Unverständnis, was ich verstehen kann, weil ich ja nun inhaltlich nur wenige Schwierigkeiten mit den Intentionen von „Maria 2.0“ habe. Hier stört mich genau nur diese Plakatierungsaktion mit dem Titel „Thesenanschlag“.

Wenn es in einer Pfarrei zu unterschiedlichen Auffassungen kommt, wie Kirchenreformen angestoßen werden können, richten sich die Blicke auf den Pfarrer, wie er auf die Protestformen reagiert. Wie gehen Sie mit Konflikten innerhalb der Pfarrei um?

Wenn jemand einzeln oder eine Gruppe mich persönlich in angemessener Form anschreibt, reagiere ich schriftlich oder suche das Gespräch. Der Thesenanschlag war natürlich Thema im Dienstgespräch der hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger. In Pandemie-Zeiten alles schwierig. Ich reagiere nicht auf Leserbriefe beziehungsweise anonyme Aufrufe, sondern ich setze mich entweder persönlich auseinander und oder nehme Stellung dazu in entsprechenden Medien. Da „Kirche+Leben“ schon vor der Plakatierungsaktion auf mich zugekommen ist, halte ich die Möglichkeit zu diesem Gespräch, das ich jetzt dankenswerter habe, für eine gute Chance der Stellungnahme meinerseits.

Wie werden Sie die Reformbewegung „Maria 2.0“ in Zukunft unterstützen?

Genauso wie vorher, nämlich in der Sache ziemlich rückhaltlos. Das, was in den Thesen an Reformen und Änderungen gefordert wird, ist weder neu noch eine Erfindung von der Initiative „Maria 2.0.“. Mit diesen Reformanliegen beschäftige auch ich mich seit Langem. Wie bislang werden hier Veranstaltungen von „Maria 2.0“ beworben, und ich werde an diesen teilnehmen, wenn ich kann. Mein Interesse ist ungeschmälert. Innerkirchlich und in Gremien werde ich diese Anliegen weiterhin besprechen und vertreten.

Auf welche Reformen in der Kirche hoffen und setzen Sie?

Eine Entkoppelung vom Geschlecht und der Wahl der Ehelosigkeit von der Berufswahl und Zulassung zu einem geistlichen Amt ist theologisch längst überfällig. Ich habe die Hoffnung, obwohl meine Geduld genauso überstrapaziert ist wie die vieler anderer Seelsorger und Ehrenamtlichen, dass hier Reformen möglich sind. Ich habe Hoffnung, dass zum Beispiel die nachfolgende Bischofsgeneration schon heute völlig anders spricht, schreibt und handelt, als noch eine Amtsgeneration davor. Ich hoffe schlichtweg auf einen Wandel der katholischen Kirche von innen her auf allen Ebenen.

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