Video: Ruhe. Jetzt! – Erster Teil

Warum ein voll beladenes Schiff durch den Advent geleitet

Ein Angebot der Stille: Morgenstunde am Dortmund-Ems-Kanal bei Münster.Foto: Michael Bönte

Eines der ältesten Adventslieder erzählt in stimmungsvoller Ruhe vom Kommen eines Schiffes. Was hat es mit dem Bild auf sich?

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Eines der ältesten Adventslieder erzählt in stimmungsvoller Ruhe vom Kommen eines Schiffes. Was hat es mit dem Bild auf sich?

Eine Frau mit einem trägen, massigen Lastkahn zu vergleichen – das muss man sich erstmal trauen. Aber genau das wagt eines der schönsten Adventslieder, die im „Gotteslob“ zu finden sind – auch wenn es dort neuerdings schon der Weihnachtszeit zugeordnet ist (Nr. 236): „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein' höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.“

Die entscheidende Strophe, die den Kahn mit einer Dame in Verbindung bringt, wird man allerdings im neuen „Gotteslob“ unerklärlicherweise vergeblich suchen. Mag sein, dass man die Strophe nun weggelassen hat, weil sie erst aus dem 17. Jahrhundert stammt und somit der jüngste Teil dieses Liedes ist, das zu den ältesten deutschsprachigen geistlichen Gesängen gehört. Doch die gestrichene siebte Strophe hätte deutlich gemacht, was es mit diesem Advents-Schiff auf sich hat!

 

Wofür steht das Bild des Bootes?

 

Ob es mit der Arche Noah zu tun hat, die ja irgendwie auch für einen Neuanfang nach der großen Flut steht, für Erlösung und Rettung? Oder mit den Fischerbooten der Jünger oder jenem im Seesturm, in dem Jesus selbst gesessen und gezeigt hat, welche Macht er hat?

Alles nette Ideen, die aber nicht zur Lösung führen. In der Tat handelt es sich hier um ein Rätsellied. Ein wenig wird dieses Schiff schon in den ersten Strophen beschrieben und der Bildvergleich in Teilen aufgelöst: „Das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.“ Und wenn das Schiff anlegt und den Anker setzt, soll das bedeuten: „Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“

 

Was trägt das Boot?

 

Aber es bleibt bei der Ungewissheit, wofür das große, träge, bis zum Rand beladene Schiff steht, das „Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort“ trägt. Oder lässt sich von diesem Wort „tragen“ doch schon etwas ableiten?

Tatsächlich setzt sich unser Lied aus drei Teilen aus drei unterschiedlichen Ursprüngen zusammen. Die ersten drei Strophen werden dem deutschen Mystiker Johannes Tauler zugeschrieben; dafür spricht eine vor 1450 in Straßburg entstandene Handschrift. Die Strophen vier bis sechs gehen auf den Protestanten Daniel Sudermann im 16. Jahrhundert zurück. Hier endet die Version des neuen „Gotteslobs“.

 

Spuren im Alten Testament

 

Woher die fehlende Strophe ursprünglich kommt, ist unklar. Umso klarer löst sie das Rätsel um das große, träge Schiff wie ein großes Finale: „Maria, Gottes Mutter, gelobet musst du sein. Jesus ist unser Bruder, das liebe Kindelein.“

Und doch bleibt die Frage, woher dieses ungewohnte Bild des Schiffes für Maria kommt. Ein Hinweis findet sich im Alten Testament, im Buch der Sprüche – und dort in einem Abschnitt, der die „tüchtige Frau“ dafür lobt, dass sie für Wolle und Flachs sorgt und „voll Lust mit ihren Händen“ arbeitet. Schließlich heißt es: „Sie gleicht den Schiffen des Kaufmanns: Aus der Ferne holt sie ihre Nahrung.“ Alttestamentliche Frauen-Bilder auf die neutestamentliche Maria zu übertragen, das hat Tradition.

 

Mit der Ruhe des Bootes durch den Advent

 

Letztlich geht es natürlich weniger um den schweren Kahn als um die kostbare Fracht, die er birgt und zu uns bringt. Dazu der ruhige, wogende Dreier-Rhythmus des Liedes, eine eher mystische, dunkle Tonart: Nichts Plötzliches geschieht hier. Wie ein in der Tat träger Kahn sich langsam durch grauen Nebel schiebt und nur allmählich sichtbar wird, so kommt Gott in die Welt – weitgehend unbeachtet. Ein schönes, einladendes Vor-Bild für einen schönen, ruhigen, wogenden Advent!

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