Ein Jahr Missbrauchsstudie - Was hat sich getan? (4)

Warum gibt es immer noch neue Missbrauchs-Fälle, Herr Frings?

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Auch ein Jahr nach dem Missbrauchs-Gutachten für das Bistum Münster werden immer wieder Vorwürfe sexualisierter Gewalt von Geistlichen bekannt. Peter Frings, Interventionsbeauftragter im Bistum Münster, erklärt wieso.

Herr Frings, ein Jahr nach der Missbrauchsstudie für das Bistum Münster kommen immer noch neue Fälle an die Oberfläche. Warum geschieht das anscheinend so verzögert?

Viele betroffene Personen tragen das Leid, das ihnen zugefügt wurde, ein Leben lang mit sich, ohne darüber sprechen zu können. Und dann kommt – wodurch auch immer – der Moment, in dem sie es doch wagen, uns ihre Geschichte zu erzählen. Das verdient höchste Anerkennung und Respekt. Für uns ist es dann oft eine Schwierigkeit, dass wir es nicht nur mit verurteilten Tätern zu tun haben. Wir haben es häufig mit Beschuldigungen zu tun, bei denen es keine vor Gericht verwertbaren Unterlagen gibt. Hinzu kommt: Alles öffentlich zu machen, was wir haben, ist allein aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht möglich.

Es wird uns dann zuweilen Täterschutz vorgeworfen, aber es geht oft um Anschuldigungen, die nicht bewiesen sind. Und niemand wäre bereit, es zu akzeptieren, dass eine solche Beschuldigung öffentlich gemacht wird. Ich verstehe sehr gut, dass das für Betroffene sehr verletzend und unverständlich sein kann. Ich kann Betroffenen dann nur versichern, dass ich ihnen ihre Schilderungen glaube.

Welche Rolle spielen die Betroffenen bei der öffentlichen Aufarbeitung der Taten?

Es gibt viele Betroffene, die nicht möchten, dass ihre Geschichten öffentlich gemacht werden, selbst dann nicht, wenn ihre Namen nicht explizit genannt würden. Denn gerade in kleinen Gemeinden ist die Sorge groß, dass dann sofort eine Suche beginnt, wer denn als mögliches Opfer infrage kommt. Für diese Position Betroffener habe ich großes Verständnis.

Wichtig ist deshalb: Das Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligten steht immer hinter dem Interesse der jeweils betroffenen Person zurück. Weder die Interessen der Medien noch die anderer Betroffener, die sich ein anderes Vorgehen wünschten, sind hier für mich handlungsleitend. Mich interessiert nur der Betroffene, der auf mich zugekommen ist, um seine Geschichte aufzuarbeiten. Er gibt das Tempo vor, er entscheidet, was wie und wann öffentlich wird, soweit, wie gesagt, Persönlichkeitsrechte Beschuldigter hier nicht auch Berücksichtigung finden müssen.

Warum gibt es dann Gruppen von Betroffenen, die ein offensiveres Vorgehen fordern?

Es gibt nicht die Betroffenen, sondern jede betroffene Person geht mit ihrer Geschichte anders und so um, wie sie das möchte. Meine Aufgabe ist es nicht, den Erwartungen einzelner Gruppen möglichst gerecht zu werden, sondern denen der jeweils betroffenen Person. Verständlicherweise gibt es bei vielen Betroffenen noch immer ein sehr großes Misstrauen. Wer selbst die Erfahrung machen musste, dass diese Untaten über Jahrzehnte hinweg vertuscht wurden, kann vielleicht nicht glauben, dass es nun eine andere Verhaltensweise gibt. Das hat aber nichts mehr mit Vertuschen, Verschleppen oder Verzögern zu tun.

Franz Hitze Haus lädt ein zur Zwischenbilanz
Aus Anlass des Jahrestags der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für die Diözese Münster lädt die Bistums-Akademie Franz Hitze Haus zu einer Veranstaltung ein. Am Dienstag, 13. Juni, ab 18.30 Uhr werden der Betroffene Peter Tenbusch aus Rhede, Professor Thomas Großbölting, Bischof Felix Genn und der Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“, Stefan Orth, sprechen. Eine Anmeldung ist erforderlich. Informationen dazu unter www.franz-hitze-haus.de/info/23-025.

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