Mehr als „Rabimmel, rabammel, rabumm“

Warum „St. Martin“ nicht nur ein Kinderfest ist

Anzeige

„Laterne, Laterne“ heißt es in diesem Jahr wieder um den 11. November: Je nach Corona-Lage ziehen Kinder und Eltern mit buntem Lichterschmuck in Gedenken an den Heiligen Martin von Tours durch die Straßen. In Rheine gibt es parallel zum St.-Martins-Spiel am 7. November ein Angebot für Erwachsene in der Kirche St. Elisabeth um 18 Uhr. Marga Voss, Dozentin am Exerzitien- und Bildungshaus Gertrudenstift des Bistums Münster in Rheine-Bentlage, ist im Team für „eXtra-Zeit mit Gott“, einem Gottesdienstangebot von freiwillig Engagierten der Pfarrei St. Dionysius Rheine. Im Interview erklärt die 66-jährige Medizinerin im Ruhestand, warum St. Martin auch ein Heiliger für Erwachsene ist, und warum es sich bei diesem Brauchtum lohnen kann, genauer hinzuschauen.

Warum ist St. Martin nicht nur ein Fest für Kinder?

St. Martin ist ein tolles Ereignis für Kinder, die mit allen Sinnen angesprochen werden. Da wird mit schauspielerischem Aufwand, mit Pferd und Requisiten dargestellt, wie Martin den Mantel teilt, gleichzeitig gibt es die Lichterumzüge und vielerorts auch noch Süßigkeiten. Aber die Grundbotschaft ist die: Ich gebe etwas von dem, was ich habe, damit ein anderer, der es nicht hat, auch etwas bekommt. Es geht beim Martinsfest um eine grundlegende Sache, die uns alle betrifft, nämlich das Teilen.

Wie kommt es jetzt zu dem Angebot „St. Martin für Erwachsene“ in Rheine?

Marga Voss
Marga Voss ist Dozentin am Exerzitien- und Bildungshaus Gertrudenstift des Bistums Münster in Rheine-Bentlage. | Foto: privat

Die Entwicklung war eher anders herum, wir hatten das Thema für den Gottesdienst „Wenn wir das Leben teilen“ bereits ins Auge gefasst. Die „eXtra-Zeit mit Gott“ gibt es in Rheine seit etwa zwei Jahren. Ein freiwilliges engagiertes Team gestaltet drei Mal im Jahr sonntagabends unter der Begleitung von Pastoralreferent Matthias Werth und in Kooperation mit dem Gertrudenstift Wortgottesdienste mit Impulsen aus der Bibel. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Mitteilen von persönlichen Erfahrungen. Am 7. November schlagen wir dann den Bogen von der Zeit und unseren Gedanken, die wir miteinander teilen, zu St. Martin.

Wie holt man denn Martin aus seinen Kindheitserinnerungen ins Erwachsenenleben?

Ich habe bei der Recherche auch nochmal viel über Sankt Martin gelernt, ich bin in den Legenden über Heilige nicht so super bewandert und auch keine Theologin. Martin war ein junger Mann, dessen Laufbahn völlig vorgezeichnet war. Er musste zum Militär, wie sein Vater, und er musste da als Soldat auch „was werden“.

Er hat treu gedient, aber er hat sich trotzdem einen tiefen Sinn dafür bewahrt, dass dieser Dienst nicht alles ist im Leben, sondern, dass es daneben noch etwas gibt, was aus dem Blick geraten ist.

Diese Einstellung lässt sich ganz gut mit einem Zitat von Martin Buber ergänzen, ‘alles Wirkliche im Leben ist Begegnung‘. Das erkennt Martin, als er dann der Legende nach auf den nackten Bettler am Stadttor trifft. Diese Begegnung erschüttert ihn. Die Mitmenschen interessiert das Schicksal des Bettlers überhaupt nicht, die gehen an der Szenerie vorbei. Martin kann aber gar nicht anders, als diesem Mann etwas zu geben, was ihn in dieser bitterkalten Nacht überleben lässt.

Was in der kindgerechten Martinsgeschichte kaum vorkommt: Das war kein Spaß für Sankt Martin. Wenn er nun mit nur einem halben Mantel in die Kaserne zurückkehrt, dann hat er nichts zu lachen. Er nimmt, wenn man die Legende ernst nimmt, in Kauf, für sein Verhalten ausgelacht und bestraft zu werden: Er erhält drei Tage Arrest für die „mutwillige Beschädigung von Militäreigentum.“

Vom Herzen her war für Martin klar, ’das ist das einzig Richtige, was ich tun konnte.‘ Das wird aber von Anderen nicht so gesehen.

Was wäre Ihr Wunsch, wenn sich Erwachsene näher mit diesem Heiligen beschäftigen?

Die Bereitschaft, tiefer einzusteigen: Zum Beispiel hat die Erzählung ja noch einen zweiten Teil, der zufolge Jesus Martin im Traum erscheint. Er trägt den halben Mantel und sagt zu den ihn umgebenen Engeln: „Dieser Mann, Martin, hier ist noch nicht einmal getauft, aber er hat mich bekleidet und vor dem Erfrieren bewahrt.“

Was Kinder dann übrigens fragen ist, warum denn Martin dem Bettler nicht den ganzen Mantel gegeben habe? Das kann ich für mich nur so beantworten: Martin hat sich beim Helfen und Teilen nicht überfordert.

Diese Einstellung kann Vorbild sein, auch für uns Ehrenamtliche, zu helfen, aber gleichzeitig auf uns zu achten, damit wir auch weiter helfen können. Auch der gute Samariter im Jesus-Gleichnis „ging wieder seinen Geschäften nach“, wie es dort heißt.

Es ist erstaunlich, dass diese Geschichten heute immer noch erzählt und gelesen werden. Das ist eine positive Form von Tradition. Letztlich kann man sagen: Gott teilt sich durch diese Geschichten uns mit, er lässt uns Teilhaberinnen und Teilhaber sein. Das befähigt uns wiederum, zu teilen.