Die Mutmach-Stiftung für Münster-Kinderhaus

Warum Ursula Tölle aus Münster-Kinderhaus Stifterin wurde

  • Ursula Tölle ist Professorin und hat in Münster-Kinderhaus ein ökumenisches Sozialbüro mitgegründet und ein Sozialkaufhaus ins Leben gerufen.
  • Tölle ärgert es, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt werden. Sie ist davon überzeugt, dass vor allem Bildung für gleiche Chancen sorgt.
  • Jetzt hat die 61-Jährige unter dem Schirm des Diözesan-Caritasverbands Münster eine Mutmach-Stiftung gegründet. Sie will vor allem Grundschulkindern helfen.

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Als Ursula Tölle in den Siebzigerjahren mit ihren Eltern von Tübingen nach Münster zog, konnte sie über die Gartenhecke beobachten, wie im Stadtteil Kinderhaus gleichförmige Betonhochhäuser hochgezogen wurden. Bald hatten die den Namen „Nordwest-Schleife“ weg. Damals war Tölle zwölf und wusste bereits, was sich dort zusammenbraute. „Quartiere zu bauen, in die arme Menschen gezielt hingeschoben werden, sind schlechte städtebauliche Entscheidung“, sagt die Professorin für Sozialwesen an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Münster.

Nicht missverstehen: Tölle liebt ihren Stadtteil, sie ist dort nie weggezogen. Ihr Name ist mit Kinderhaus fest verbunden. Seit ihrer Jugend engagiert sich die 61-Jährige in der kirchlichen Arbeit vor Ort. Das Ehrenamt ist ihre zweite Natur geworden.

 

Sie mangte ehrenamtlich 170 Helfern

 

Karl Stindt, der damalige Pfarrer, habe früh verstanden, dass sich ein Brennpunkt in Kinderhaus entwickelte. „Er holte Ordensfrauen, die Vorsehungsschwestern, in den Stadtteil, die Hausbesuche machten. Gottesdienste wurden in der ‚Schleife‘ gefeiert, Kinder zu Ferienfreizeiten eingeladen.“ Tölle selbst engagierte sich in der Jugendarbeit.

Ab den Achtzigern habe die Caritasarbeit feste Strukturen bekommen. Auch dabei mischte Ursula Tölle kräftig mit. Sie hat das ökumenische Sozialbüro mitbegründet, war bei der Entstehung der Kinderhauser Arbeitslosen-Initiative dabei, rief das Sozialkaufhaus Obolus mit ins Leben. Mehr als zehn Jahre war sie Vorsitzende des Caritasvorstands in St. Josef Kinderhaus, managte den Einsatz von bis zu 170 Ehrenamtliche, stellte Förderanträge, initiierte Projekte. Bis die promovierte Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin immer weniger Zeit hatte und alles in professionelle Hände überging.

 

Wohngegenden und Lebenschancen

 

Bereits als junge Referendarin stellte Tölle fest, dass schulische Bildung oft darauf gründet, „aus Menschen das zu machen, was sie meist schon sind“. Sie fordert stattdessen, „auf die Anlagen, Interessen, Fähigkeiten, Charakterzüge und die Biographie von Kindern und Jugendlichen zu schauen“.

„Es ärgert mich, dass Menschen, die in bestimmte Wohngegenden hineingeboren sind oder dort aufwachsen, schlechtere Startchancen haben. Anstrengung allein nutzt oft nichts.“ Viele Eltern könnten die Entwicklung ihrer Kinder nicht genügend fördern. Die Wohnverhältnisse seien eng, die Kinder hätten keinen Schreibtisch, es fehle an technischer Ausstattung wie Computer.

 

Bildung verändert Leben

 

Den Schlüssel zu Veränderungen sieht sie in der Bereitstellung eines Umfeldes, in dem Kinder gut lernen können. Hier knüpft ihre Mutmach-Stiftung an. „Ich möchte Mut machen für Ideen, für die es keine öffentlichen Mittel gibt. Ungewöhnliche Ideen.“

Grundschulen in Kinderhaus können beispielsweise einen Zuschuss für Lern-Projekte durch die Stiftung erhalten. So hat sie in den Ferien ein Freizeitangebot gefördert, bei dem die Kinder neben viel Spaß auch den während des ersten Lockdowns verlorenen Unterricht nachholen konnten. Zur Stiftung gehört zudem ein Brillen-Projekt. Wer staatliche Transferleistungen erhalte, müsse auf einfache Kassengestelle zurückgreifen, sagt sie. Tölles Stiftung bezahlt Grundschulkindern die Entspiegelung der Gläser.

 

Mehr Zusammenhalt im Stadtteil

 

Mehr Infos zur Stiftung bei der Caritas im Bistum Münster.

Den Boden für ihr Engagement sieht sie in der Botschaft Jesu. „Die ist eindeutig. Arme, die unverschuldet nicht so leben können, wie es ihrer Würde entspricht, muss man helfen.“ Gerechtigkeit gelinge besonders gut in Beziehungen. „Ein Stadtteil kann eine Gemeinschaft sein, in der Menschen in gegenseitiger Verantwortung leben.“

Für Tölle ist das auch Wesensaufgabe der Kirchen. „Wenn Gemeinden sich auflösen, fehlt die Bildungskraft in den Stadtteilen“, fürchtet sie. Für die Bildung vor Ort hat sie ihre Mutmach-Stiftung unter dem Dach der Gemeinschafts-Stiftungen des Diözesancaritasverbandes Münster gegründet. In ihrem Testament hat sie verfügt, dass auch nach ihrem Tod ein großer Teil des Vermögens in die Stiftung fließen wird.

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