Kirche+Leben Lexikon

Was bedeutet Gnade?

Für den Jesuiten-Theologe Karl Rahner war „Gnade“ nicht wie eine Sache, ein Ding, ein Gegenstand, sondern etwas „Personales“; er sprach von der „Selbstmitteilung Gottes“ und meinte damit, dass Gott sich selbst den Menschen schenkt; in seinem Wort, in seinem Sohn, in seinem Heiligen Geist, der in uns, in unserer eigenen Person lebt und wirkt.

Anzeige

Als ich meine erste Bekanntschaft mit der Theologie in den Jahren vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil machte, war die „Gnadenlehre“ ein besonders kompliziertes Kapitel, weil eine ziemlich große Zahl von verschiedenen Arten der Gnade vorgestellt wurde, von denen die „heiligmachende Gnade“ qualitativ an erster Stelle stand, dicht gefolgt von der „helfenden Gnade“. Wer die „heiligmachende Gnade“ durch schwere Sünde verlor, war ganz von Gott getrennt. Die Vorstellung von „Gnade“ war sehr gegenständlich, und wo von der „Ausgießung der Gnade“ gesprochen wurde, dachte mancher an eine kostbare Flüssigkeit, die leicht verschüttet werden kann, wenn der Empfänger sein Glas nicht ruhig hält und zittert!

Zitat:
Die Gnade ist keine dinghafte Größe. Gnade ist Gott selbst in seiner Selbstmitteilung an uns durch Jesus Christus im Heiligen Geist. Gnade bedeutet deshalb im tiefsten, dass wir von Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist unbedingt angenommen, bejaht und geliebt sind und dass wir in dieser Liebe ganz eins sind mit ihm. Gnade ist also personale Gemeinschaft und Freundschaft mit Gott, personale Teilhabe am Leben Gottes. Diese unbedingte Annahme in der Begegnung mit der unendlichen Liebe Gottes ist die letzte und höchste Erfüllung des Menschen, das Heil des Menschen.
(Katholischer Erwachsenen-Katechismus Band 1, S. 249)

Der große Jesuiten-Theologe Karl Rahner hat „Gnade“ in ein neues Licht gebracht: Für ihn war es nicht wie eine Sache, ein Ding, ein Gegenstand, sondern etwas „Personales“; er sprach von der „Selbstmitteilung Gottes“ und meinte damit, dass Gott sich selbst den Menschen schenkt; in seinem Wort, in seinem Sohn, in seinem Heiligen Geist, der in uns, in unserer eigenen Person lebt und wirkt.

Man kann das ja auch vergleichen mit Eltern, die ihr Kind überaus lieben: Sie können das durch ein Geschenk zum Ausdruck bringen, aber das Geliebtwerden braucht für das Kind gar nicht mehr in einem dinghaften Geschenk ausgedrückt zu werden, wenn das Kind ganz sicher weiß: Es sind ja die Eltern selbst, die sich mir tagtäglich schenken in dem, was sie für mich tun, vor allem, weil sie einfach für mich da sind. Die Eltern geben letztlich nicht irgendetwas, sondern sich selbst!

Und wenn wir das jetzt auf Gott übertragen, merken wir: Gottes Gnade ist nicht eine Sache, sondern eine Person: Gott selbst! Wenn wir uns daran erinnern, dass wir in unserem alltäglichen Sprachgebrauch auch das Wort „Gnade“ kennen (z.B. „Gnade vor Recht ergehen lassen“, „einen Straftäter begnadigen“ usw.), merken wir, wie buchstäblich „himmelweit“ der Begriff von dem abweicht, was Christen mit „Gnade“ meinen: Nicht der großzügige Erlass einer an sich berechtigten Strafe, sondern das Sich-schenken des großen Gottes selbst an uns kleine Menschen.

Medientipp:
Glaube im Wandel
60 Schlüsselbegriffe erklärt.
Ulrich Zurkuhlen
144 Seiten, 3,50 Euro
ISBN 978-3-933144-20-1
Dieses Buch bestellen...

Da wird dann erst richtig deutlich, wie herrlich „Gnade“ ist: Gottes Geist ist mitten unter uns und „wohnt“ in uns, und wir sind „Tempel des Gottesgeistes“. Kann man von der liebenden Zuwendung Gottes zu uns Menschen etwas Schöneres sagen, als dass Gott sich selbst uns mitteilt? Das ist viel, viel mehr als die „Ausgießung der heiligmachenden Gnade“ und erst recht viel mehr als eine eigentlich nicht verdiente „Begnadigung“.

Anzeige