Die Stars im Internet sind für Eltern manchmal schwer erträglich

Was taugen die Idole unserer Kinder?

Die Idole der Kinder sind andere als die der Eltern. Das war schon immer so. Wer heute auf die Stars  seines Nachwuchses im Internet schaut, kann sich aber durchaus gruseln.

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Da kann es Mutter und Vater schon mal schütteln: Der Blick über die Schulter der Kinder auf die Displays ihrer Tablets oder Smartphones offenbart nicht selten eine Fan-Kultur, die früheren Generationen fremd ist. Nicht, dass die Teenager in vergangenen Zeiten keine Idole hatten. Beatles, Madonna oder Take That haben die Jugendlichen seinerzeit auch hysterisch werden lassen. Fußballstars wie Diego Maradona oder David Beckham wurde auf den Bolzplätzen stundenlang nachgeeifert. Und Leinwandhelden wie ein Leonardo DiCaprio ließen ganze Generationen von Zahnspangenträgerinnen dahinschmachten.

Geändert hat sich aber doch etwas. Denn die klassischen Gruppen, in denen die Teenager seit Jahrzehnten ihre Idole finden, sind mittlerweile von einer neuen ein- oder sogar überholt worden. Musiker, Sportler oder Schauspieler sind nicht mehr die Nummer eins bei den Jugendlichen, sondern Internet-Stars. 36 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen gaben in einer Studie des Digitalverbands Bitkom im Jahr 2018 an, ihre Helden bei Youtube zu finden. Twitter, WhatsApp und Instagram sind vergleichbare Bühnen.

 

Eine neue Gattung Stars

 

Influencer werden sie genannt und sind eine neue Gattung der Stars. Sie haben eine so große Präsenz im Internet, dass Teenager nicht um sie herumkommen. Die Jugendhelden von heute müssen nicht singen können, keine herausragenden sportlichen Leistungen vollbringen oder schauspielerisches Talent mitbringen. Sie sind in der Regel gutaussehend, reich und von Beruf Trendsetter. Diese Voraussetzungen reichen, um die Jugend zu begeistern und sie per Videos, Fotos und Kurznachrichten mehr oder weniger rund um die Uhr an ihrem Leben teilhaben zu lassen.

Ilona Bürgel
Die promovierte Psychologin Ilona Bürgel aus Dresden. | Foto: pirvat

Damit schafft es zum Beispiel eine junge Frau wie Dagi Bee, allein auf Youtube fast vier Millionen Abonnenten um sich zu scharen. Ihre Themen: Welche Frisur ist angesagt, wie mache ich mein Make-Up, welcher Bikini passt zu meinem Urlaub? Wahlweise wird auch um die Wette Wasser gegurgelt und Wahrheit oder Pflicht gespielt. Das reicht mittlerweile, um einen Hype auszulösen. Die Mechanismus ist einfach: Wer mitreden möchte, muss mitgucken. Und so schafft sich die heutige Teenie-Generation ihre Idole selbst: Die Anhängerschaft wächst kontinuierlich. Und die Werbeindustrie hat ihre Chancen längst gewittert. Nicht wenige Influencer sind mittlerweile Millionäre.

 

Irritationen der Eltern sind normal

 

Ist es da nicht verständlich, dass manche Eltern irritiert auf die Displays ihres Nachwuchses schauen? Ihre Frage: Was wird aus meinem Kind, wenn es diesen Menschen nacheifert? „Die Irritation ist verständlich“, sagt die Psychologin Ilona Bürgel aus Dresden. „Aber eigentlich nicht nötig.“ Denn Fakt ist, dass Idole in der Jugendzeit wichtig sind. „Sie sind fester Bestandteil im Prozess des Umbruchs.“ Dass es dabei durchaus irrational, schwärmerisch und übersteigert zugehen kann, gehört dazu. Für die Eltern scheint es dann, als nähme der Verstand der Teenager eine Auszeit. Für ihre Kinder aber ist das Schwelgen in einer unerreichbaren, fast überirdischen Welt ein wichtiger Schritt. „Idole inspirieren, lassen träumen, weiten den Horizont.“

Und sie helfen bei der Emanzipation. Die Jugendlichen wollen weg von der Familie, hin zu Freunden. Sie wollen sich von ihrem kindlichen Leben abgrenzen, neue Bezugspersonen finden, andere Themenfelder besetzen. Das geschieht nicht nur beim Äußerlichen, auch der Kopf sucht diese Herausforderungen. Ein neues soziales System öffnet sich für sie: In der gemeinsamen Begeisterung für eine unerreichbare Person können sie eine neue Geborgenheit, Akzeptanz und Orientierung in der Gruppe finden.

 

Was können Influencer eigentlich?

 

Reichen dafür wirklich Influencer, deren einzige Fähigkeiten es zu sein scheint, die Fingernägel zu lackieren oder den Dreitage-Bart zu trimmen? „Auch diese Idole vermitteln mehr als nur das Vordergründige“, sagt Bürgel. „Da ist nicht nur heiße Luft.“ Ihre Ideen, ihr Fleiß, ihre Fähigkeit zu organisieren wird mittransportiert. Auch darin können die jungen Menschen ein Wertesystem finden. Es muss nicht immer gleich der Weltfrieden sein. Denn wie gesagt: Es muss den Teenies gefallen, nicht ihren Eltern.

Grafik Youtube-Stars
Idole der Zehn- bis 18-Jährigen: YouTube-Stars nehmen einen wichtigen Platz im Leben der Jugendlichen ein. | Grafik: Michael Bönte

Die sollten ohnehin Ruhe bewahren: Denn wenn Heranwachsende ihrem Idol nacheifern, ist eine Entwicklung hin zur Differenzierung zu erkennen. Das diffuse Bild des reichen und schönen Alleskönners, der alles hat und alles darf, wird in späteren Phasen auseinander genommen. Vielleicht gefallen dem Teenie dann noch die Einrichtungs-Ideen des Influencers, seine Kleidung aber schon nicht mehr.

 

Vorbilder sind anders als Idole

 

Im besten Fall bleibt ein Idol übrig, bei dem die Jugendlichen schlechte Eigenschaften von erstrebenswerten unterscheiden können. „Mit dem ich abklopfen kann, was wirklich wünschenswert ist, was in meiner Reichweite liegt, welches meiner Talente ich wiedererkenne“, sagt Bürgel. „Die große Herausforderung dabei ist es, zu erkennen, was von der großen Angebotspalette eigentlich wirklich zu mir passt, wo ich mich mit meinen Fähigkeiten einordnen kann.“

An diesem Punkt kommt eine andere Größe ins Spiel, sagt Bürgel: „Das Vorbild.“ Quasi ein geerdetes Idol – ohne Verherrlichung oder Schwärmerei, sondern konkret und greifbar. Oft sind es Personen aus der Familie und aus dem sozialen Umfeld. Oder Menschen, die man aufgrund einer speziellen Fähigkeit nachahmenswert findet. „Wie mein Opa mit Menschen gesprochen hat“, nennt Bürgel ein Beispiel. Oder: „Wie mein Lehrer Streit schlichtet.“ Oder auch: „Wie dieser Schauspieler sein Privatleben meistert.“

 

Mama und Papa tauchen irgendwann wieder auf

 

Vorbilder gibt es manchmal  mehrere. Das Idol nimmt das ganze Leben in Beschlag, Vorbilder hingegen besetzen einzelne Lebensbereiche. Sie helfen dabei, das Verrückt-Schwärmerische der Teenagerzeit in die Wirklichkeit zu holen, und sie bringen erreichbare Zielsetzungen. Auch wenn Kinder in der Pubertät in ihren Eltern ungern Vorbilder sehen wollen, so ist doch sicher, dass sie in der Familie ein grundlegendes Gefühl für die Wahl ihrer Vorbilder mitbekommen.

Bürgel beruhigt alle besorgten Eltern zusätzlich: „Idole und Vorbilder verändern sich von Lebensphase zu Lebensphase – schauen Sie doch mal in die eigene Vergangenheit.“ Nicht selten tauchen irgendwann auch Mama und Papa in der Rangliste der Vorbilder wieder auf. Der Stellenwert von Idolen wird hingegen geringer, wenn mit dem Älterwerden die Fähigkeit zu schwärmen schwindet. Bürgel aber rät, „das spielerisch Leichte des Idols auch im Erwachsenenalter nicht zu verlieren, um aus Träumen Machbares entwickeln zu können“.

Was ist ein Influencer?
Der Begriff Influencer kommt  aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Beeinflusser“. Das Angebot an Influencern ist unübersichtlich. Es gibt bei ihnen nichts, was es nicht gibt. Zu jedem Thema finden sich in den sozialen Netzwerken Akteure, die sich Fragen jeglicher Art stellen. Oft steht dabei das Alltägliche im Mittelpunkt. Es gibt Stars auf dieser Bühne, etwa die 24-jährige Dagi Bee mit vier Millionen YouTube-Abonnenten, die vermehrt Beauty-Tipps gibt. Oder Sami Slimani, der seinen 1,6 Millionen Anhängern gerne Koch- und Einrichtungsvorschläge macht.

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