Ausblick auf das Jahr 2023

Was uns trotz allem hoffen lässt – Gedanken aus der Redaktion

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Krieg, Klimawandel, Corona, Kirchenaustritte, Pflegenotstand ... 2022 hat gleich einen ganzen Berg von Problemen mit sich gebracht. Und doch zeigt sich trotz vieler berechtigt banger Fragen zuweilen ein Hoffnungsschimmer. Wer oder was kann Grund zur Hoffnung geben – trotz allem?

Mitglieder der Redaktion von Kirche-und-Leben.de haben ihre Gedanken dazu aufgeschrieben. Reporter und Fotograf Michael Bönte hat das Foto beigesteuert: ein Kind, das hoffen lässt.

Menschen, die fragen und helfen

Michael Rottmann:
Vor allen Dingen lassen mich Menschen hoffen. Kinder zum Beispiel, die mit unvoreingenommenen Fragen scheinbar Festgefügtes und sicher Geglaubtes infrage stellen können. Junge Leute, die mutiger und konsequenter als die meisten meiner Generation heute auf spürbare Veränderungen drängen, etwa in der Klimapolitik. Aber auch Menschen, die sich als Ehrenamtliche in Dienst nehmen lassen: Die Rentnerin, die sich regelmäßig im Hospiz um Gäste und ihre Familien kümmert. Der Familienvater, der ganz selbstverständlich in seiner Freizeit als Malteser oder bei der freiwilligen Feuerwehr im Einsatz ist. Die Frau, die einmal in der Woche bei der Tafel die gespendeten Lebensmittel sortiert. Die mit ihrem Einsatz in all dem Dunkel, den Sorgen und der Verzweiflung ein bisschen von einer Welt aufscheinen lassen, die anders und besser sein könnte.

Der Glaube, dass wir im Kern gut sind

Markus Nolte:
Noch nie habe ich so deutlich erlebt, wozu Menschen fähig sind: Sie greifen ein anderes Land an, töten Menschen, gefährden den Frieden weltweit, sie nutzen die Notlagen aus und machen damit Profit. Und doch glaube ich daran, dass wir Menschen im Kern gut sind. Aus meinem Glauben heraus sage ich: Als von Gott geschaffene und darum geliebte Geschöpfe glüht dieses Seelenfünklein, dieses Göttliche in jedem und jeder von uns. Daher kommt alle Sehnsucht, alle Hoffnung. Gerade jetzt zu Weihnachten machen sie mit jedem kleinen Licht die Dunkelheit um uns und in uns heller – auch wenn nicht alle damit den neugeborenen, ganz eigenen König der Welt verbinden. Für mich ist er einmal mehr das unerschütterliche Ja Gottes zu seiner Welt. Darum: Ich will dem Bösen nicht die Macht überlassen, diesen Glauben zu zerstören.

Das Wissen, dass Gott größer ist

Jens Joest:
Die Krisen scheinen übermächtig: Ist Corona vorbei? Wie rational reagiert der Aggressor Putin auf berechtigte Sanktionen? Was richtet der Krieg in der Ukraine, bei uns und in meinem Leben an? Können die Menschen den Klimawandel so beherrschen, dass Leben auf der Welt überhaupt möglich bleibt? Diese Fragen könnten mich auf Dauer betrüben, wäre da nicht der Ignatius von Loyola zugeschriebene Satz „Deus semper maior“: Gott ist immer größer. Wüssten wir, wie er handelt und könnten ihn erklären, dann wäre er auf menschliches Maß geschrumpft. Aber Gott handelt außerhalb unserer Vorstellungskraft. Er ist als Mensch „auf die Erde nieder“ gekommen – wer könnte das erklären? Auf einen Gott, dessen Liebe den Menschen so nahe ist, hoffe ich. Und darauf, dass sein Geist in den Menschen wirkt, die Lösungen suchen.

Das Beispiel Engagierter

Annette Saal:
Mich lassen Menschen hoffen, die anpacken, wo gerade Not ist. Zum Beispiel die vielen Ehrenamtlichen in den Pfarreien, von denen häufig in „Kirche+Leben“ zu lesen ist. Mir geben diejenigen Hoffnung, die mit Charisma, Wissen und Empathie für Menschenrechte, Klimaschutz und andere gute Ziele eintreten. Hoffnung verbreitet auch der Jugendliche, der als Einziger in seiner Klasse noch Messdiener ist. Und der Rettungssanitäter, der in Kauf nimmt, bei seiner Arbeit angepöbelt zu werden. Mit ihrem unbeirrten Einsatz machen diese Menschen wiederum anderen Mut – und teilen so ihre Hoffnung auf bessere Zeiten. Dass wir überhaupt hoffen dürfen, ist für uns Christen ein großes Glück, das uns ein bisschen froher machen könnte. Wir dürfen das Lächeln nicht verlieren. Auch wenn manches unerreichbar scheint.

Das berührende Foto des neugeborenen Kindes

Michael Bönte:
Bei all dem Chaos in der Welt ist mir in den vergangenen Monaten ein Blick immer wichtiger geworden. Und der geht bewusst nicht in die Welt, auf die Pandemiezahlen, auf die Krisenherde in der Kirche oder den Energiepreis. Der geht ganz in die Nähe. Auf die Dinge, die ich bei allem Frust übersehen könnte. Auf das gewinnende Lachen einer Krankenschwester. Auf das berührende Gespräch mit einem geretteten Flüchtling. Auf das frohe Zusammensein von ehrenamtlichen Helfern einer Pfarrgemeinde. Oder noch kleiner: Auf das Foto meines Sohns direkt nach seiner Geburt, das über meinem Schreibtisch hängt. Das sind für mich persönliche Mutmacher, die für mich auch im kommenden Jahr die großen Nachrichten erträglich machen werden.

Die Sternsinger, die für Kinder sammeln

Petra Helmers:
Wenn ich bei dieser Frage nicht das große Weltgeschehen oder die täglichen Nachrichten-Schlagzeilen in den Blick nehme, sondern in mein direktes Umfeld schaue, gibt es viele Dinge und vor allem Menschen, die mir Hoffnung schenken. Ich denke dabei beispielsweise an die vielen Kinder, die Anfang Januar als Sternsinger durch die Straßen ziehen werden. Bei Wind und Wetter wollen sie an fremden Türen klingeln, um Geld für Kinder zu sammeln, die sie wohl nie kennenlernen werden. Das ist beeindruckend. Dieser Einsatz ohne Selbstzweck, den Ehrenamtliche an vielen Stellen leisten, lässt mich auf ein besseres Miteinander im Kleinen hoffen. So kann jeder durch sein Engagement für andere zum Hoffnungsträger werden. Und wenn das im Kleinen klappt, warum sollte das nicht auch auf größere Bereiche ausstrahlen?

Die Jugendlichen, die sich engagieren

Paul Hintzke:
In meiner Heimatgemeinde St. Mauritius in Hildesheim war ich gemeinsam mit Freunden vor einigen Jahren Jugendleiter. Wir gestalteten einen Jugendraum, organisierten Gruppenstunden und bildeten Messdiener aus. Dann wurden wir als Jugendleiter in der Gemeinde verabschiedet. Wir hätten nicht gedacht, dass es ein paar Monate später durch Corona keine Gruppenstunden mehr geben würde. Am ersten Adventswochenende haben die Messdiener, die wir vor Jahren selbst ausgebildet haben, wieder eine Messdienerübernachtung veranstaltet. Mich begeistert, dass es nach vielen Kirchenaustritten und der Corona-Pandemie immer noch junge Menschen gibt, die sich in der katholischen Kirche für die Jugendarbeit engagieren. Das lässt mich hoffen, dass wir auch in einigen Jahren noch eine starke Jugendarbeit haben.

Die Solidarität der Armen

Norbert Ortmanns:
Auf meinen Reportage-Reisen habe ich gerade in den ärmeren Gegenden der Welt immer wieder die Solidarität der Armen erleben können. Dabei durfte ich auch den Steyler-Pater Heinz Kulüke kennenlernen, der sich auf den Philippinen um Menschen auf den Müllkippen, Straßenkinder und Obdachlose kümmert. Er schreibt in seinem Weihnachtsbrief: „An einer Trinkwasserstelle stehen die Menschen viele Stunden an, ehe sie in einem Eimer Wasser mit nach Hause nehmen können. So auch Chona, eine 18-Jährige, die seit zwei Uhr morgens in der Schlange steht. Als sie an der Reihe ist und mit ihrem Eimer weggehen will, sieht sie eine ältere, obdachlose Frau auf Krücken kommen, die sich hinten an die Schlange anstellt. Chona geht zu ihr rüber, schüttet ihr Wasser in den Eimer der alten Frau und stellt sich erneut hinten an. Eine wahre Begebenheit, die Hoffnung macht.“

Die guten Dinge in der Nachbarschaft

Jan Dirk Wiewelhove:
Klirrende Kälte in der Ukraine, verzweifelte Menschen auf dem Mittelmeer, die auf der Flucht sind, und der Klimawandel, der unseren Lebensstil drastisch verändern wird – irgendwie erdrückend, oder? Genau dann hilft es mir, mich in meiner Nachbarschaft, in meiner Region umzuschauen, was tagtäglich an guten Dingen passiert. Da ist zum Beispiel der örtliche Caritasverband, der dank fleißiger Adventssammlerinnen und Adventssammler  Bedürftigen in der Not zur Seite steht. Oder der Sportverein, der Christbäume verkauft und so Freude in die Häuser bringt, oder auch mein Patenkind, das beim Bauen eines Lebkuchenhäuschens mit ihrem Lächeln auch mir eine Freude bereitet. In diesen Momenten denke ich: Da ist viel Gutes in der Welt, bei all den Schattenseiten, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Die vielen, die nicht die Krise kriegen

Johannes Bernard:
Krieg, Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung, Krankheit und der eigene Tod, der gewiss ist – man kann verzweifeln, wenn man daran denkt. Ich versuche, mit der Angst und dem Zerstörerischen umzugehen. Positiv denken, lautet die Ermunterung von vielen Seiten, die auch ich mir gern zu Herzen nehme. Vor wenigen Tagen las ich die Titelseite der neuen „Apotheken-Umschau“. Die Schlagzeile: „Positiv bleiben – Wie Sie in Krisenzeiten nicht selbst die Krise kriegen“. Es gibt viele Tipps, wie man zwischen Virusangst, Krieg und Klimakrise trotzdem noch abschalten kann. Abschalten ist aber nicht mein Ding. Vielmehr freue ich mich über Begegnungen in meinem privaten und beruflichen Umfeld. Da ist der 85-jährige Landwirt aus dem Sauerland, der vor Jahren nach einem gewaltigen Sturm 5000 neue Bäume gepflanzt hat. Da ist der Kommunalpolitiker, der jede Stunde seiner Freizeit damit verbringt, sichere Verkehrswege zu planen, der sich um die ärztliche Versorgung im Ort kümmert und als Schülerlotse fungiert. Da ist die freundliche Frau aus der Ukraine, die mit ihren Deutschkenntnissen Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet hilft. Da ich die Liste beliebig fortsetzen kann, habe ich die Hoffnung, dass sich vieles zum Guten wendet.

Das Riesen-Interesse am Riesen-Mond

Bernd Schumacher:
City-Advent in Münster. Ein riesiger Mond schwebt im Gewölbe der Überwasserkirche. Die Kunststoffkugel ist eine Nachbildung, die der Künstler Luke Jerram geschaffen hat. 500.000-mal kleiner als der große Bruder am Himmel, aber täuschend echt. Die Oberfläche ist mit Original-Fotos der NASA bestückt. Mehr als 100.000 Besucherinnen und Besucher wollen sich das nicht entgehen lassen: Sie zücken ihre Handys, machen Selfies, staunen fast ungläubig, sind ergriffen, entzünden Kerzen, singen „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius. „Wunderbar geborgen“ haben die Initiatoren diese Präsentation genannt. Tatsächlich scheinen zumindest für den Moment die alltäglichen Krisen und Ängste vergessen, lassen sich die Besucher auf das Angebot einer Kirche ein, die vielen scheinbar nichts mehr zu sagen hat.

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