Großes Interview über Klimawandel, Politik, Kirchenzukunft und Corona

Weihbischof Rolf Lohmann: Ja, diese Kirche ist reformfähig

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Wie kann die Kirche glaubwürdiger werden? Worauf kommt es in einer neuen Bundesregierung an? Was ist für mehr Klimaschutz notwendig? Wie hat seine Corona-Erkrankung ihn verändert? Ein Interview mit dem Weihbischof für den Niederrhein und das Kreisdekanat Recklinghausen im Bistum Münster.

Auch für Weihbischöfe gilt das Wahlgeheimnis. Dennoch: Welches Kriterium ist ausschlaggebend dafür, welcher Partei Sie bei der Bundestagswahl am Sonntag Ihre Stimme geben?

Mich beschäftigt vor allem unser Umgang mit der Schöpfung, aber auch der Zusammenhalt der Gesellschaft. Wie sorgen wir dafür, dass sie nicht auseinanderbricht, dass es nicht zu weiteren Polarisierungen kommt – etwa mit Blick auf Antisemitismus und das Zusammenleben der Religionen? Kurzum: Wie führen wir die Menschen zusammen? Das sind für mich ganz wichtige Kriterien sicherlich auch für eine Wahl.

Der Weltklimarat IPCC prognostiziert, dass schon 2030, zehn Jahre früher als bisher angenommen, eine Erd-Erwärmung um 1,5 Grad droht. Wie bringt man die Politik zu mutigerem Einsatz in Sachen Klimaschutz?

Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen – und zwar mit allen Positionen an einem gemeinsamen Tisch. Wir haben keine Zeit mehr, das zu verschieben. Ich freue mich sehr auf ein Umweltfestival im nächsten Jahr am Niederrhein – zusammen mit jungen Menschen aus dem ökologischen Bereich, von Fridays-for-Future, aus der Land- und Forstwirtschaft. Klar ist aber auch: Reden alleine reicht nicht.

Wie klimafreundlich lebt der deutsche Umweltbischof?

Ich bin da ganz ehrlich: Da gibt es sicherlich Luft nach oben. Ich bemühe mich, ausgewogen und regional einzukaufen. Bei der Mobilität wird‘s schwieriger. Ich bin im Jahr mehr als 50.000 Kilometer unterwegs, inzwischen immerhin mit einem Hybridfahrzeug, sodass ich versuche, wenigstens die regionalen Strecken elektrisch zu fahren. Aber auch da muss sich etwas tun, gerade was die Lade-Infrastruktur auf dem Land angeht. Davon abgesehen, bin ich sehr gern mit dem Fahrrad unterwegs – aber damit komme ich schlecht zu Firmungen in der Region.

Sie haben sich im Dezember mit dem Coronavirus infiziert, mussten sogar ins Krankenhaus. Wie hat Sie diese Zeit verändert? Sind Sie wieder richtig fit?

Ja, ich bin Gott sei Dank wieder richtig fit. Aber es war schon eine Grenzerfahrung. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich ganz einfache Dinge nicht mehr ohne die Hilfe anderer tun, Treppensteigen etwa. Da kommen schon Fragen auf: Wie hast du eigentlich gelebt? Wirst du wieder die Kraft haben, deinen Dienst zu tun? Oder war es das jetzt?

Braucht ein Weihbischof dann eigentlich auch seelsorgliche Begleitung?

Die gab es in der Tat, und ich bin sehr dankbar dafür, dass Freunde und Mitbrüder da waren – allerdings am besten mittels Nachrichten übers Smartphone. Schon das Sprechen war zu anstrengend.

Aus dieser Erfahrung: Sollte es eine Impfpflicht geben?

Sagen wir mal so: Ich rate und empfehle jedem dringend, sich impfen zu lassen! Das ist eine Frage der Solidarität. Erst wenn mehr als 80 Prozent geimpft sind, haben wir die Herdenimmunität, vorher nicht. Das hat zu tun mit der Sorge vor dem Leben der Menschen insgesamt. Die muss vorne stehen, ganz vorne.

Welche Auswirkungen wird Corona auf den Gottesdienstbesuch haben, wenn wir mal ganz durch sind mit der Pandemie?

Ich bin kein Prophet, aber Corona hat so etwas wie einen Brennglas-Effekt. Schon vor der Pandemie gab es ja massiv weniger Gottesdienstbesucher. Aber in der Tat werden die Leute wohl nicht mehr in der Zahl zurückkommen wie vorher. Daran ist aber sicherlich nicht nur Corona schuld, wir stehen schon auch vor vielen kirchlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen. Umso mehr sollten wir uns fragen: An welchen Stellen müssen wir uns neu und anders aufstellen? Was ist zu tun, damit Menschen gerne in die Kirche kommen und in den Gottesdiensten Gemeinschaft mit Gott und den Schwes­tern und Brüdern erfahren?

Bis heute sind weltweit mehr als 4,5 Millionen Menschen an oder mit Corona gestorben, in Deutschland mehr als 92.000. Wie kann Gott das zulassen?

Da wird es keine einfache Antwort geben, und ich warne sogar vor einfachen Antworten. Sie werden dem Leid in keiner Weise gerecht. Ich habe immer Sorge davor, zu fertig und sicher über Gott zu sprechen. Womöglich möchte Gott uns in einer solchen Krise auch zeigen, was jetzt unser Dienst ist, wie wir einander beistehen können – seelsorglich, medizinisch-pflegerisch, solidarisch. Für die Kirche muss das heißen, da zu sein und sich nicht wegzuducken. In der Krise sind wir gefordert. Jesus ist da unser Vorbild.

Viele Menschen treten aus der Kirche aus – auch bei Ihnen am Niederrhein. Was bekommen Sie persönlich als Bischof davon mit? Kennen Sie Menschen, die gegangen sind?

Das macht mit traurig, auch fassungslos. Es gehen ja inzwischen viele hochengagierte Leute aus den Gemeinden, weil sie den Eindruck haben, nicht mehr ernst genommen zu werden und sie glauben, dass Reformen keine Chance haben. Ein älteres Ehepaar, immer eng mit der Kirche verbunden, hat mir geschrieben: Wir können nicht mehr bleiben. Und gleichzeitig wollten sie von mir ein soziales Projekt genannt haben, dem sie künftig das doppelte ihrer bisherigen Kirchensteuer spenden wollten.

Sie haben in einem Interview gesagt, Sie wollten keine sektiererisch ausgrenzende Kirche. Ist sie nicht sehr wohl immer noch ausgrenzend – etwa mit Blick auf Laien und Leitung, Frauen und Amt, Homosexuelle und Segnung?

Das sind ja alles die Themen, die wir nicht zuletzt beim Synodalen Weg erörtern, die aber auch in vielen Gemeinden besprochen werden. Ich halte das für wichtig. Auch dass wir humanwissenschaftliche Erkenntnisse mit einbeziehen. Menschen auszugrenzen, geht gar nicht, schon vom Evangelium her. Ich möchte, dass die Menschen spüren: Egal, was ist, Gottes Liebe umgibt uns. Und das heißt, dass sein Segen sie umgibt. Das zu vermitteln, ist mein Auftrag, das ist mein Dienst. Für alle Menschen.

Manche Fragen sind nicht vom Synodalen Weg, auch nicht von der Bischofskonferenz zu entscheiden. Warum überhaupt dann in diesem Rahmen darüber reden?

Weil wir darüber reden müssen, wenn Lehre und Lebenswirklichkeit nicht mehr zusammenpassen. Für viele spielen diese Fragen ja längst keine Rolle mehr, das müssen wir ganz klar sehen. Für die Generation meiner Neffen etwa ist das alles kein Thema mehr. Wir brauchen daher den Austausch und den ehrlichen Dialog. Sonst geht es nicht.

Was sagen Sie Kritikern des Synodalen Wegs – zum Beispiel Ihrem Mitbruder Bischof Voderholzer aus Regensburg?

Wir haben uns vorgenommen, bei diesem Weg nicht nur auf der Ebene der Bischöfe und der Theologen zu diskutieren, sondern mit dem Volk Gottes insgesamt. Und auch mit Menschen, die nicht zu uns gehören, was eine immer größere Zahl ist. Ich halte es für wesentlich, dass alle Meinungen gehört werden, dass man Kritik einbringen kann, man dann wieder nachdenkt, zuhört, betet, betrachtet, die eigene Meinung natürlich auch überdenkt und dann weitergeht. Das ist dieser geistliche Prozess eines Synodalen Weges. So haben wir es vereinbart. Nicht parallel in anderen Räumen, sondern da.

Wann ist der Synodale Weg gelungen?

Für mich ist der Weg gelungen, wenn wir als Christinnen und Christen uns genau auf so einen Prozess weiter einlassen. Ich werde von immer mehr Menschen gefragt: Glauben Sie eigentlich, dass die Kirche reformfähig ist? Und ich sage: Ja, diese Kirche ist reformfähig, und auch ich selbst innerhalb dieser Kirche bin reformfähig, muss es sein. Und ich möchte, dass wir am Ende zeigen, dass wir den Abgrund des Missbrauchsskandals wirklich aufarbeiten. Das gelingt nur mit diesen Themen, über die wir gerade gesprochen haben. Dazu müssen wir die Fehler ausmachen, Konsequenzen ziehen und dann wirklich mit Reformschritten nach vorne gehen. Das ist ein geistlicher Lernprozess.

Sie waren 27 Jahre lang in der Pfarrseelsorge tätig, bevor Sie Weihbischof wurden. Wie soll es in Zukunft bei immer größeren pastoralen Räumen noch gelingen, Kirche bei den Menschen zu sein?

Es ist natürlich bedauerlich, dass wir nicht mehr so präsent sein können, wie ich das in meiner Zeit in den Pfarreien gewohnt war. Aber es nützt nichts, wir müssen die Realitäten in den Blick nehmen. Wir haben in allen kirchlichen Berufen wirklich große Probleme. Wie können wir trotzdem vor Ort diese Superbotschaft des Evangeliums verkünden und leben – und was brauchen wir dafür? Ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht, müssen wir möglichst viele Frauen und Männer, getaufte und gefirmte, engagierte Christinnen und Christen ansprechen, motivieren und qualifizieren für den Dienst, das Evangelium in unseren vielen Kirchen und Kirchorten zu verkünden, zu leben und zu bezeugen, auch Leitung und Verantwortung zu übernehmen: Wie können wir Gottesdienste feiern? Wie kann das karitative und das soziale Leben stark bleiben?

Darüber sprechen wir im Bistum offen, darum geht es ja auch in unserem Pastoralen Strukturprozess, der jetzt beginnt. Sicher, wir haben weniger Hauptamtliche, auch weniger Ehrenamtliche. Und doch hoffe ich, dass Menschen sich herausgerufen fühlen, ihre Sendung wahrzunehmen, jetzt für diesen Gemeindeteil oder für diese Gemeinde zu sorgen, da zu sein, zusammenzuführen. Nur so kann es gehen. Gott wird uns neue Wege aufzeigen.

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