Zwei Seelsorger berichten über den Einsatz im Hochwassergebiet

Wenn das Wasser weicht: Wie Notfallseelsorger bei der Flut helfen

Anzeige

Das Hochwasser kam über Nacht und hinterließ in Teilen Westdeutschlands ein Bild der Zerstörung. Viele Menschen verloren ihr gesamtes Hab und Gut und stehen vor dem Nichts. Diese enorme psychische Belastung zu lindern, genau da setzt Notfallseelsorge an. Wie zwei Einsatzkräfte die Situation erlebt haben, schildern sie im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“.

Überraschend ist der Strom weg, als er aufwacht. Nur langsam realisiert Wolfgang Henn, dass der Morgen des 15. Juli kein normaler für den Pastoralreferenten aus Sinzig werden wird. Da lässt ihn auch schon der Piepser aufschrecken. Der Notfallseelsorger wird zum Lagezentrum auf dem Betriebsgelände eines weltbekannten Süßwarenherstellers gerufen. Er müsse die Einsatzkräfte dort ablösen. Auf der Anfahrt bekommt er erste Informationen zur Lage. „Es wirkte auf mich surreal“, sagt Henn.

Kurze Zeit später ist der Pastoralreferent schon mitten im Geschehen. Ein Unimog der Bundeswehr bringt erste Gerettete aus den Überschwemmungsgebieten. Wolfgang Henn, einer von 13 Notfallseelsorgern im Landkreis Ahrweiler, funktioniert. Er betreut die Menschen, geht auf sie zu und versucht sie in ersten Gesprächen zu stabilisieren, wie er sagt. Er meint damit, den Gegenüber den Umständen entsprechend zu beruhigen, ohne dass psychischer Zusammenbruch zu befürchten ist. Später fährt er in den Ort und spricht mit vielen Opfern mitten im Chaos.

 

Im Einsatz funktionieren die Leute

 

„Ich bin auf ganz unterschiedliche Typen getroffen“, sagt der Seelsorger. Da ist der eine Betroffene, der zusehen musste, wie die eigene Schwester ertrunken ist. Ein Mann sucht seine Frau. Der Kontakt sei abgebrochen, die Telefonverbindungen im Katastrophengebiet sind zusammengebrochen. Wolfgang Henn hört zu, bietet umgehend seine Hilfe an und fragt bei den Rettungskräften nach. „Ich wende mich immer nur einer Person zu. Wenn mir mein Bauchgefühl sagt, dass jemand einigermaßen stabil ist, gehe ich weiter“, sagt der Pastoralreferent in Ruhestand mit jahrelanger Erfahrung in Krisensituationen.

Selbst erfahrene Rettungskräfte brauchen mal eine „Auszeit“, weiß Henn. Wenn sie erlebt haben, nicht retten zu können, oder das Wasser zurück geht und Leichen zum Vorschein kommen. „Im Einsatz funktionieren die Leute, aber wenn sie fertig sind, setzt die Verarbeitung ein“, erklärt der Notfallseelsorger und schließt sich durchaus mit ein.

Dieser Einsatz im Landkreis Ahrweiler sei alles andere als normal und bringt auch ihn an seine Grenzen. Die Ahr sei nicht der Rhein, die Menschen seien nicht auf solche Hochwasser eingerichtet. Deswegen komme die Situation Wolfgang Henn auch so surreal vor. Er wandle zwischen einer heilen Welt, dem Chaos mit Schlamm und Dreck und der Tragödie, wo Häuser verschwunden und Menschen gestorben sind. Diese Schicksale berühren den Mann aus Sinzig, der nach seiner Ablösung erstmal kräftig durchatmen musste.

 

Notfallseelsorger aus dem Kreis Steinfurt vor Ort

 

Notfallseelsorger Eugen Chrost
Eugen Chrost ist Notfallseelsorger im Kreis Steinfurt und war nun auch im Überschwemmungsgebiet im Einsatz. | Foto: privat

Einer der Notfallseelsorger, der zur Ablösung ins Überschwemmungsgebiet gefahren ist, ist Eugen Chrost aus dem Kreis Steinfurt. Obwohl sich der Diakon mit großen Lagen, wie Hausexplosionen oder Busunfällen, auskennt, sagt er rückblickend: „Das war definitiv kein normaler Einsatz.“ Eindrücklich schildert er, dass dort Menschen durch Hubschrauber von ihren Hausdächern vor den Fluten gerettet wurden. In einer Notunterkunft standen Chrost und eine evangelische Pfarrerin parat, um mit den Menschen nach der Rettung ins Gespräch zu kommen.

„Es war erstaunlich, wie ruhig es dort war“, berichtet der Mann, der ebenfalls als Polizeiseelsorger tätig ist. Die Leute saßen in Kleingruppen zusammen und waren sehr redselig, wann immer sich Eugen Chrost dazusetzte. Hier und da vermissten Betroffene Angehörige. Ein älteres Ehepaar konnte seine Kinder nicht erreichen. „Das Handy hatte einen Wasserschaden“, erzählt er. Er fragte sich durch und konnte schließlich helfen. Doch nicht immer ging es so glatt aus. Viele Menschen haben alles verloren. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Dies sei auch für einen Notfallseelsorger eine sehr belastende Situation. Umso bemerkenswerter findet Chrost einige Betroffene mit Kölner Schnauze, die mit Trotz reagieren: „Wir lassen uns nicht unterkriegen“ ist ihr Motto.

 

Ergreifende Momente bestärken Notfallseelsorger

 

Nach 24 Stunden im Einsatz ist der Diakon aus dem Kreis Steinfurt abgelöst worden. Zusammen mit dem Betreuungsverband der Malteser und des Deutschen Roten Kreuzes machte er sich auf den Heimweg. Bei der Abreise hat er noch eine besondere Szene erlebt. Die Betroffenen, die vor kurzem erst gerettet wurden, standen an den Bussen und dankten den Einsatzkräften für ihr Engagement. Es sind genau diese ergreifenden Momente, die Wolfgang Henn und Eugen Chrost als Notfallseelsorger bestärken und bereitstehen lassen, wenn der Piepser zum nächsten Einsatz ruft.

Stichwort psychosoziale Hilfe: Für den Malteser Hilfsdienst rückt mit dem Rückgang der unmittelbaren Bedrohung durch die Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands die psychosoziale Hilfe in den Vordergrund. Noch immer würden Menschen vermisst, das Leben vieler sei „von der Katastrophe gezeichnet“, sagte der Präsident der Organisation, Georg Khevenhüller. Der Einsatz sei für die Helfer „eine maximale Herausforderung“. Von körperlicher Anstrengung könnten sie sich rasch erholen, „die Seele aller - Betroffener wie Helfer - aber braucht Zeit.“ Um die psychosoziale Notversorgung für sämtliche Einsatzkräfte im nordrhein-westfälischen Landkreis Euskirchen übernehmen zu können, werden den Angaben zufolge Fachkräfte aus dem Bundesgebiet zusammengezogen. „Wir sind vor Ort in den Straßen und an den Verpflegungspunkten. Wir sind gut erkennbar und werden von Menschen angesprochen“, sagte der Leiter der Einsatznachsorge der Malteser, Frank Waldschmidt. Er rechne damit, dass viele Menschen erst in den kommenden Wochen so weit zur Ruhe kämen, dass sie seelische Leiden zulassen und bearbeiten könnten. (KNA)

Anzeige