Wie die Ländliche Familienberatung Familien auf dem Hof hilft

Wenn es auf dem Hof so nicht mehr weitergeht

Viel Arbeit und gesellschaftlicher Druck: Auf Bauern liegt oft eine große Last. Die kann sich sogar auf die Beziehungen in den Familien auswirken. Die ländliche Familienberatung möchte bei solchen Problemen helfen.

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Heile Welt auf dem Land: Wo Kühe auf der Wiese grasen, Kinder in der Natur spielen und alle an einem Strang ziehen, kann es nur idyllisch sein. Doch das ist nicht immer so. Der steigende Druck auf Landwirte, die viele Arbeit und das Zusammenleben mehrerer Generationen können oft zu Streit führen – und werden zur Belastung für die ganze Familie.

Dieser Probleme nimmt sich die Ländliche Familienberatung im Bistum Münster an. Leiterin Irmgard Hüppe berät mit ihrem Team aus etwa 30 ehrenamtlichen Mitarbeitern Familien. Sie alle, die Familien, aber auch die Beraterinnen und Berater, bleiben anonym. Einer von ihnen, 52 Jahre alt, ist bereits seit acht Jahren dabei. Etwa 20 Familien hat er schon begleitet, die einen länger, die anderen kürzer.

 

Fehlende Kommunikation und Generationskonflikte

 

Wird der Druck in der Familie hoch, meldet sich meist ein Familienmitglied bei der Ländlichen Familienberatung und klagt sein Leid. Ein Zweier-Team aus den Beraterinnen und Beratern nimmt sich der Familie an.

Meistens seien es Generationskonflikte, sind sich Hüppe und der Berater einig. Dann wolle der abgebende Betriebsleiter, etwa der Vater, seinen Hof nicht an den Sohn vermachen. Oder es gibt Probleme mit den Schwiegereltern. „Die Wohnungen sind nicht klar getrennt, oder es wurde zu eng aneinander gebaut. Vieles ist da nicht abgesprochen“, sagt der Berater.

 

Berater: Landwirte stehen unter großem Druck

 

Der zweite Punkt, den er derzeit beobachtet, betrifft vor allem junge Landwirte, die nicht wissen, ob sie den Hof der Eltern überhaupt übernehmen wollen: „Sie würden ihn dann zum Beispiel bereits in der fünften Generation führen und fühlen sich unter Druck gesetzt.“

Darüber hinaus stünden Landwirte vor einem Strukturwandel und vielen neuen Aufgaben: „Der Druck in der Politik und Gesellschaft steigt. Sie wollen nicht in der Öffentlichkeit angeprangert werden.“

 

Hüppe: „Der Landwirt ist der Fußabtreter“

 

Das bestätigt auch Irmgard Hüppe: „Der Landwirt ist der Fußabtreter.“ So sei es auch beim Thema Grundwasser im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. „Das kommt allerdings von der Industrie und nicht vom Bauern. Er ist kein Chemiker“, betont die Leiterin der Ländlichen Familienberatung. Dennoch werde alles auf die Landwirtschaft abgewälzt: „Hinzu kommen Ängste vor Tierschutz-Aktivisten: Fremde kommen einfach so auf den Hof.“

All diese Punkte sorgten für Anspannung, was sich auf die Partnerschaft auswirke. „Der Landwirt trägt viel mit sich herum und muss sich beim Stammtisch oder Schützenfest für seinen Beruf rechtfertigen. Wenn eine Missernte droht, las­tet auch diese Sorge auf ihm. Die Sorge, dass die eigene Exis­tenz – und damit die Familie – bedroht ist“, sagt der Berater.

 

Sexualität, Alkoholismus und Gewalt

 

Manchmal sei auch das Sexuelle ein Thema, erklärt Hüppe: „Die Landwirte leben nur noch für den Hof. Da ist nichts mehr mit Kuscheln, denn die Liebe fehlt oft. Die eigene Fürsorge wird nicht beachtet.“

Hüppe beobachtet darüber hinaus, dass Gewalt innerhalb der Familien, beispielsweise Vater gegen Sohn, und Alkoholismus ein immer größeres Problem werden.

 

Was passiert bei einem Beratungstermin?

 

Treffen die Berater in den Familien ein, gilt es erst einmal, sie genauer kennenzulernen und eine Vertrauensebene zu schaffen. „Wir versuchen, einen Ton und eine Sprache zu finden, die die Landwirte annehmen können“, sagt der 52-jährige Berater. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Berater „Stallgeruch“ haben, sich also ein wenig in der Landwirtschaft auskennen, damit sie mehr Verständnis für die Familien aufbringen.

Die Berater fragen oft, ob die Familie weiß, warum sie überhaupt da sind. Miteinander reden ist für viele fremd. Sie sprechen zwar oft über die Arbeit, doch das Persönliche wird klein gehalten. Deshalb müssen sie erst einmal eine Plattform dafür schaffen und stellen Regeln auf. Die Berater sehen sich dabei als Gesprächsdirigenten. Sie beobachten und hören zu. „Oft bekommen wir zurückgemeldet, dass es toll war, dass endlich jemand den Personen mit absoluter Zugewandtheit und Blickkontakt zugehört hat“, sagt Hüppe.

 

Zuhörer und Beobachter

 

Alle sollen zu Wort kommen. Die Berater binden die Menschen in das Geschehen ein. „Wir fragen dann: ‚Haben Sie diese Wahrnehmung auch?‘ Oft werden Männer hellhörig, wenn sie die Beschwerden noch einmal von Außenstehenden hören“, erklärt der Berater. Deshalb sei es neben dem vielen Fragen hilfreich, das Gehörte noch einmal zu reflektieren.

Auch andere Methoden kommen zum Einsatz: Auf einem Familienbrett etwa ermitteln sie, wer wem an nächs­ten und auf welcher Seite steht. „Oft fühlt sich jemand wegen einer gesagten Sache verletzt, und das Gegenüber weiß gar nicht, dass es verletzend war“, sagt der Berater.

 

Wie oft kommen die Berater in die Familie?

 

Konkrete Ratschläge geben die Berater aber nicht: „Die Probleme und Lösungen liegen auf dem Tisch.“ Jedoch können sie auch zu einer Fachberatung weitervermitteln, beispielsweise zur Steuer- oder Eheberatung.

Manchmal reichen drei Sitzungen aus, in anderen Fällen sind es bis zu 15. Einige Familien melden sich Jahre später noch einmal und bitten um erneute Unterstützung. Die Probleme sind zwar gleich geblieben, jedoch fragen mehr Familien bei der Ländlichen Familienberatung an. Irmgard Hüppe denkt, dass die Familienberatung an Akzeptanz gewonnen hat.

 

Neue Berater werden gesucht und ausgebildet

 

Zudem werden die Beratungszeiten länger; das Team gilt es zu entlasten. Aus diesem Grund sucht die Ländliche Familienberatung neue Beraterinnen und Berater, die sich von 2020 bis 2021 ausbilden lassen. Fünf Blöcke à drei Tage dauert die Schulung. Der 52-jährige Berater hat sie als Bereicherung wahrgenommen: „Wir haben die Methoden am eigenen Familienleben und den eigenen Problemen ausprobiert.“

Entschieden habe er sich für die ehrenamtliche Arbeit als Berater, weil er dabei intensiv den Menschen zugewandt sein könne. Sieht er sich als guter Zuhörer? „Ich glaube schon“, sagt er und lächelt.

 

Welche Voraussetzungen braucht ein Berater?

 

Das sei auch wichtig für alle, die bei der Ländlichen ­Familienberatung mitwirken wollen: Empathisch, nicht emotionslos müssten neue Berater sein und sich Zeit nehmen. Außerdem sollten sie nicht über 60 Jahre alt sein und mobil. Menschen aus allen Berufsgruppen sind eingeladen, sich zu bewerben, sofern ihnen die Landwirt­­schaft nicht fremd ist. Dann steht der Hilfe für viele Familien auf dem Land nichts mehr im Wege.

Weitere Informationen unter Lfb-beratung(at)t-online.de oder unter Tel. 0251 / 5346349.

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