Interview mit Landesjugendseelsorger Holger Ungruhe

Wenn Jugendliche nicht mehr zur Kirche wollen

Vier Jugendliche erzählen in unserer Fotostrecke, warum sie gern zur Kirche gehen. Und was, wenn nicht? Ein Experte gibt Tipps für Eltern.

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Vier Jugendliche erzählen in unserer Fotostrecke, warum sie gern zur Kirche gehen. Und was, wenn nicht? Ein Experte gibt Tipps für Eltern.

Kirche+Leben: Wie war das bei Ihnen, Pfarrer Ungruhe,  Sind Sie als junger Mensch immer zur Kirche gegangen?

Holger Ungruhe: Es gab sogar Zeiten, da hatte ich überhaupt keinen inneren Bezug zur Kirche. Das begann etwa mit der Pubertät und endete ungefähr mit der Firmvorbereitung in der zehnten Klasse.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Indem sie Freiheit gelassen haben. Wir wurden nicht gezwungen. Es hieß nie: Du musst! Weder von Eltern, noch von Oma, Opa oder sonst wem. Und das war genau richtig.

Warum sehen Sie das so?

Irgendwann muss man den Schritt von kindlichen Gottesbildern weg machen. Auch der Glaube will erwachsen werden. Und bei mir bedeutete das: Da musste auch mal etwas kaputtgehen.

Aber drohen heute nicht viele Jugendliche den Bezug zur Kirche ganz zu verlieren?
Das stimmt. Aber wenn wir ehrlich sind, dann ist das nicht nur eine Frage von Jugendlichen, sondern betrifft auch die Eltern. Zum Beispiel die, die jetzt Kinder im Jugendalter haben. Auch die haben ja weitestgehend den Bezug zum Glauben und damit auch zum Kirchgang verloren.

Es ist also nicht nur eine Frage von Jugendlichen?

Nein, es ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass sich Religiosität wandelt. Dass sie weggeht von traditionellen Vorgaben, dass sie individueller wird und auch, dass es eine Grundskepsis gegen Vorschriften gibt.

Also ist der ausbleibende Kirchgang nicht unbedingt ein Zeichen für Mangel an Glauben.
Nein. Denn ich glaube nicht, dass man allein daran festmachen könnte, dass Menschen nicht mehr religiös sind. Eine Distanz zur Kirche, die wird aber in jedem Fall deutlich.

Es bleiben sonntags auch junge Leute weg, die sonst in der Gemeinde aktiv sind.
Genau, alles Jugendliche und junge Leute, die durchaus eine Bindung an die Kirchengemeinde haben und die dennoch nicht jede Woche kommen. Sonst wären die Kirchen ja  voller. Manche von ihnen sagen: Einmal im Monat ist auch regelmäßiger Kirchgang. Es gibt auch Jugendliche, die bei besonderen Anlässen wie Feiertagen immer gerne zum  Gottesdienst kommen. Und es gibt Jugendliche, die sich das für sie passende Angebot bewusst aussuchen. Alle über einen Kamm scheren, das geht nicht.

Was raten Sie Eltern?

Landesjugendseelsorger Holger Ungruhe. | Foto: Michael Bönte
Landesjugendseelsorger Holger Ungruhe. | Foto: Michael Bönte

Das ist abhängig von der Lebensphase. Ich beobachte aber beispielsweise oft, dass kleine Kinder ganz selbstverständlich ein Interesse an dem haben, was ihre Eltern tun. Und wenn die gerne und aus Überzeugung zum Gottesdienst gehen, dann finden sie das spannend. Der Glaube wird durch Zeugen weitergegeben. An erster Stelle steht da die Familie.

Und dann wollen sie mit dreizehn nicht mehr mit. Viele Eltern kapitulieren dann.
Auch hier gilt:  Wenn Eltern vorleben, wie der Glaube ihr Leben bereichert, dass er ihnen wichtig ist, dann führt das irgendwann zu einer Auseinandersetzung. Zwang ist nie gut. Zeugnis durch Vorleben aber immer.

Sind weniger Jugendliche in der Kirche auch eine Anfrage an das Gottesdienstangebot?
Ja. Eine Gemeinde, die sich fragt: Wo bleiben die Jüngeren? muss sich auch fragen, ob sie es schafft, dass Themen und Fragen dieser Generation im Gottesdienst genügend vorkommen.

Können denn besondere Gottesdienste eine Lösung sein?

Ich glaube die erste Frage muss sein: Was interessiert junge Menschen? Man kann dann die Entdeckung machen, dass es viele Schnittstellen zwischen dem Evangelium und zum Beispiel der Musik gibt, die Jugendliche gerne hören. Ich würde mir wünschen, dass wir dies viel öfter als Chance für unsere Verkündigung begreifen, beispielsweise  in besonderen Gottesdiensten. Eines bleibt doch: Auch für Jugendliche haben wir mit dem Evangelium die beste Botschaft überhaupt!

Überfordert das Gemeinden nicht?

Es kommt auf den Versuch an.  Wenn man sich ansieht, in wie vielen Kirchen heute sonntags mehr oder weniger dasselbe Programm läuft, kann man sich doch auch fragen:  Warum nicht öfter einmal  ein differenziertes Angebot?

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