Themenwoche „Dauerbrenner im Ehrenamt“ (4) - Georg und Johannes Mesus, Berlin

Wenn niemand zur Beerdigung kommt, sind Vater und Sohn zur Stelle

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Ein Berliner Vater und sein Sohn besuchen ehrenamtlich 50 Begräbnisse pro Jahr – bei jeder zehnten sind sie die einzigen. 2021 wurden in der Hauptstadt rund 2.600 Menschen ordnungsbehördlich bestattet.

Wer war Brigitte Paul*? Wen hat sie geliebt? Was hat sie gern gemacht? Worüber konnte sie wütend werden? Bei ihrem Begräbnis an einem herbstlich-kalten Tag auf dem Sankt-Philippus-Apostel-Kirchhof in Berlin-Wedding bleiben diese Fragen unbeantwortet. Die 81-Jährige wird bestattet, und niemand ist da, der etwas über sie erzählen könnte. Der mit ihr zur Schule ging, im Nachbarhaus wohnte, mit ihr verheiratet oder befreundet war.

Auch Georg und Johannes Mesus kannten sie nicht. Trotzdem sind sie zur Stelle, als an diesem grauen Mittag die Glocke der Friedhofskapelle bimmelt und zur Trauerfeier für die Verstorbene ruft. Johannes, 38 Jahre alt, hat über den Kapuzenpulli sein schwarz-weißes Messdienergewand gezogen und trägt ein langstieliges Kreuz.

Die Stühle in der Kapelle bleiben leer

Er steht neben Dominikanerpater Thomas Treutler vor der Urne, die mit roten Blumen geschmückt ist und vor der Kerzen brennen. Sein Vater, 68 Jahre alt, in dunkelblauer Windjacke, hält sich im Hintergrund. Um 13 Uhr schließt der Urnenträger die Tür. Alle Stühle in der Kapelle sind leer.

50 Bestattungen pro Jahr besuchen Vater und Sohn Mesus ehrenamtlich, jede zehnte davon findet ohne Angehörige und Freunde des Toten statt. Sie kämen „aus einem inneren Antrieb“ heraus, sagt Georg Mesus. „Jeder Mensch, der gelebt hat, muss auch würdig bestattet werden“, findet der Familienvater. Es sei einfach „zu deprimierend“, wenn niemand komme.

Zahl der Bestattungen ohne Angehörige steigt

Sein Sohn Johannes, der das Down-Syndrom hat und seit mehr als 20 Jahren Messdiener ist, ergänzt: „Es ist traurig. Aber es macht auch Spaß.“ Von der Behindertenwerkstatt, wo er Etiketten auf Popcorn-Tüten klebt, wird er für die Teilnahme an den Beerdigungen eigens freigestellt. Ab und zu gibt es auch ein paar Euro Trinkgeld von den Angehörigen – wenn denn welche kommen. Johannes greift nach der Hand seines Vaters, während er erzählt. Er weiß um den Schutz, den eine Familie bieten kann.

Ein einsames Begräbnis ist ein Phänomen, das – zumindest für Berlin – zuzunehmen scheint: Im Jahr 2017 gab es rund 2.180 ordnungsbehördliche Bestattungen, im Jahr 2021 waren es etwas mehr als 2.600. Eine solche Bestattung erfolgt, wenn keine Angehörigen des Verstorbenen vorhanden oder zu ermitteln sind, keine Vorsorge getroffen wurde und auch kein anderer für die Bestattung sorgt.

Rechtzeitig über Bestattung Gedanken machen

Meist finden solche Begräbnisse auf dem Domfriedhof Sankt Hedwig in Berlin-Mitte statt, den eine Berliner Tageszeitung einmal „den Armenfriedhof der Stadt“ nannte – obwohl hier auch Berliner Prominente wie die Hotelier-Familie Adlon ihre Grabstätte haben.

„Die Single-Gesellschaft setzt sich auch im Tod fort“, sagt Olaf Tuszewski, Diakon der Gemeinde Sankt Elisabeth. Er kennt Georg und Johannes Mesus schon lange. Gemeinsam hatten sie die Idee zur ehrenamtlichen Begräbnisbegleitung. Diese funktioniere aber nur, wenn die Gemeinde rechtzeitig davon erfahre, betont Tuszewski. „Es ist wichtig, Vorsorge zu treffen und sich Gedanken über die eigene Bestattung zu machen“, sagt er. „Die Leute schieben das raus“.

Katholischer Priester soll Gebete sprechen

Bei Brigitte Paul war es anders: Sie hinterließ bei ihrem Bestatter, als sie im vergangenen Jahr vorsorglich alles für ihren Tod regelte, eine handschriftliche Notiz, dass ein katholischer Priester bei ihrem Tod die Gebete sprechen soll.

„Vater unser im Himmel“ betet Dominikanerpater Treutler an ihrem Grab. Außer, dass sie katholisch und geschieden war, weiß er nichts über die Frau. Er hat Brigitte Paul nie gesehen und diese Informationen vom Bestatter erhalten.

Tod im Getümmel von Berlin

Ihr Name steht nun neben vielen anderen auf einer Stele des Urnengrabs auf dem Friedhof, der mit seinen großen alten Bäumen, dem Geruch nach Erde, Laub und Schnittblumen ein Ort des Friedens an der belebten Müllerstraße ist. Dönerbuden und Geschäfte reihen sich hier aneinander, Autos hupen, und die Menschen, die hier zu sehen sind, stammen aus unterschiedlichen Ecken der Welt.

Im Getümmel der Großstadt kann man einsam sein, auch Angehörige sind keine Garantie. Das weiß Diakon Tuszewski, der viele Menschen beerdigt und viele Geschichten gehört hat. „Es gibt nichts Gutes über meinen Mann zu erzählen“, sagte etwa einmal eine Frau, als er sie vor der Bestattung nach ihrem verstorbenen Gatten fragte. Tuszewski geht es vor allem darum, die Menschen füreinander zu sensibilisieren – auch im Tod. „Wir suchen noch mehr Leute, die sich vorstellen können, ehrenamtlich das letzte Geleit zu geben“, sagt der 60-Jährige.

*Name geändert.

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