Wie Malteser mit Übergriffen umgehen

Wenn Retter im Einsatz Gewalt erfahren

Tritte und Schläge sind die Ausnahme, aber mit Beschimpfungen am Einsatzort haben es Rettungsassistenten oder Sanitäter öfter mal zu tun. Das kann Folgen für die Seele haben.

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Die Attacke kam aus dem Nichts, im Karneval in Bocholt. Jürgen Breumann hatte einen Mann mit verletzter Hand im Rettungswagen und wollte ihn ins Krankenhaus bringen. Routine eigentlich.

Der Patient war schon bei der Erstversorgung ausgerastet. Deshalb saß für den Transport außer dem Malteser auch ein Polizist mit im Wagen. Mittlerweile schien sich der Mann aber beruhigt zu haben.

 

Malteser Jürgen Breumann hat Gewalt im Einsatz erlebt

 

Doch plötzlich begann er in dem engen Fahrzeug wie wild um sich zu treten. Auch Rettungsassistent Breumann bekam gehörig etwas ab. Die Folge: Rippenprellungen und eine Woche Krankschreibung.

Angepöbelt, beschimpft oder beleidigt wurde er schon öfter. „Du Schwein!“ und Schlimmeres kann der Malteser aufzählen. „Einen körperlichen Angriff im Einsatz habe ich Gott-sei-Dank nur ein einziges Mal erlebt“, sagt er.

 

Gewalt gegen Retter wird medial verstärkt

 

Er ist nicht der einzige Sanitäter, der es schon mit Attacken im Dienst zu tun hatte. Regelmäßig ist in Zeitungen von solchen Übergriffen zu lesen. Da wird etwa 2018 ein Helfer bei einem Einsatz blindwütig zusammengeschlagen. Ein anderer kommt im selben Jahr mit Platzwunden davon, als er eine Patientin behandelt.

Ist der Beruf des Sanitäters heute riskanter als früher? „Das Thema wird natürlich medial verstärkt“, rückt Kai Vogelmann den Eindruck zurecht. Was der Leiter der Abteilung Presse und Kommunikation der nordrhein-westfälischen Malteser sagt, bedeutet im Klartext: Durch Schlagzeilen über solche Fälle wird das Ganze vergrößert wahrgenommen.

 

2016 rund 5.000 dokumentierte Übergriffe

 

Also alles nur aufgebauscht? Das nun auch wieder nicht, meint Vogelmann und verweist auf einen leichten messbaren Anstieg der Fälle in den vergangenen Jahren. Dennoch: Rein statistisch sei die Zahl körperlicher Attacken klein.

Die Zahl der dokumentierten Übergriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen lag 2016 bei rund 5.000, bei rund zwölf Millionen Einsätzen insgesamt. Aber jeder einzelne Übergriff ist natürlich einer zu viel.

 

Nicht alle Fälle von Gewalt sind gleich

 

Das sieht auch Oliver Peters so. Der Bereichsleiter Notfallvorsorge für die Landkreise Vechta und Cloppenburg warnt aber vor Fehlschlüssen. Stattdessen fordert er, genau zu unterscheiden. Auf der einen Seite gebe es Situationen mit aggressiven Betrunkenen, Menschen unter Drogen oder psychisch Kranken. „Diese Situationen kommen vor. Wir müssen sie erkennen und uns dann meist zunächst zurückziehen.“ Und warten, bis die Polizei Hilfe möglich macht.

Meist können die Helfer in Ruhe arbeiten, wie auf diesem Foto zu sehen. | Foto: Malteser
Meist können die Helfer in Ruhe arbeiten, wie auf diesem Foto zu sehen. | Foto: Malteser

Angriffe von Leuten, die ihren Frust loswerden wollen und dann Retter angreifen, seien dagegen sehr selten. „Auch wenn wegen Berichten in der Presse ein anderer Eindruck entstehen könnte – es stimmt einfach nicht, dass Retter ständig angegriffen werden. In den allermeisten Fällen sehen die Leute uns als die Guten. Weil sie wissen: Wir kommen, um zu helfen.“

 

Sanitäter arbeiten in ruppigem Umfeld

 

„Das Berufsfeld des Sanitäters war aber immer schon eines, das sehr ruppig sein kann“, sagt Kai Vogelmann. Er weiß, wovon er spricht. Seit 20 Jahren leistet er regelmäßig im Kölner Karneval Sanitätsdienst. Selbst dort, inmitten von Trubel und Heiterkeit, spürt er das.

„Wenn man dann etwa durch die Menschenmenge am Straßenrand gehen will, dann will keiner seinen Platz abgeben. Und wenn die Leute betrunken sind, bekomme ich auch schon mal einen dummen Spruch an den Kopf.“ Da nützt selbst die Malteser-Jacke nichts.

 

Nachts und am Wochenende ist der Dienst gefährlicher

 

Auch wenn Angriffe selten vorkommen – an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten sind sie wahrscheinlicher als anderswo.

Die Nacht von Samstag auf Sonntag, so haben Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum in einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Untersuchung herausgefunden, gilt in dieser Hinsicht als besonders riskante Zeit, besonders im Frühjahr und im Sommer.

 

Auch das Umfeld der Rettungs-Einsätze spielt eine Rolle

 

Auch das Umfeld der Einsätze spielt eine Rolle. Etwa, wenn sich Alkohol und Emotionen zu einer gefährlichen Mischung verbinden, vor Fußballstadien, beim Einsatz rund um den Bahnhof oder vor Kneipen und Diskotheken in Innenstädten.

Dazu kommt manchmal die Situation selber, wo es die Retter meist mit Menschen in extremen Situationen zu tun haben. „Wenn Sie zum Beispiel ein Kind erfolglos zu reanimieren versuchen, dann werden die Eltern das nicht einfach klaglos hinnehmen“, sagt Malteser Vogelmann.

 

Oliver Peters: Kampftraining wäre der falsche Weg

 

Bei Patienten und Angehörigen mit Migrationshintergrund kommt manchmal noch Unverständnis hinzu. Zum Beispiel, wenn ein männlicher Sanitäter einer Muslima den Schleier abnimmt, um eine Kopfwunde behandeln zu können.

Und wenn die Lage doch mal eskaliert? Wäre dafür vielleicht Kampftraining eine gute Vorbereitung? Karate, Stichschutz-Westen, Pfefferspray?

 

Pfefferspray gaukelt eine falsche Sicherheit vor

 

„Auf gar keinen Fall!“, warnt Oliver Peters. „Weil wir damit unseren Leuten eine falsche Sicherheit vorgaukeln würden, das Gefühl, sie kennen die richtigen Handgriffe. Etwa, um Leute unschädlich zu machen oder zu entwaffnen. Das ist Quatsch.“ Wichtiger ist ihm: Dass Sanitäter lernen, eine Situation im Vorfeld einzuschätzen – und im Notfall rechtzeitig zu verlassen.

Deshalb müssen alle Rettungsdienstler in den Landkreisen Vechta und Cloppenburg mittlerweile ein so genanntes Deeskalations-Training absolvieren. Um ein Gespür für gefährliche Situationen zu entwickeln und im Falle eines Falles richtig handeln zu können. Peters: „Wir brauchen keine Helden, wir brauchen gute Mitarbeiter, die richtig reagieren.“

 

Kai Vogelmann: Auch Smartphones sind ein Problem

 

Körperliche Gewalt ist das eine. Dazu kommen Beleidigungen und Beschimpfungen. Laut einer wissenschaftzlichen Studie wurden 9 von 10 Helfern in den vergangenen 12 Monaten angepöbelt. „Viele meiner Kollegen haben das Gefühl, das sei mehr geworden, gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren“, sagt Rettungsassistent Jürgen Breumann.

Kai Vogelmann hat dafür auch eine Erklärung parat. Für ihn liegt es in erster Linie daran, dass heute jeder ein Smartphone bei sich trägt. „Damit hat jetzt jeder die Möglichkeit, ganz nah an Situationen heran zugehen, seine Fotos zu machen und sie sofort im Internet hochzuladen.“ Das habe zum Beispiel das Gaffer-Problem noch einmal verstärkt.

 

Nicht alle Retter melden Übergriffe

 

Jürgen Breumann hat den Angreifer im Bocholter Karneval bei der Polizei angezeigt. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Immerhin: Bei einer aktuellen Befragung der Universität Bochum gaben 70 Prozent der Betroffenen an, den zuletzt erlebten körperlichen Angriff gemeldet zu haben.

Anders bei Beleidigungen und Beschimpfungen. Da wurde nur jeder fünfte Fall aktenkundig. Die meisten Sanitäter sahen das entweder als Bagatelle oder waren der Meinung, dass eine Meldung nichts bringe. Dabei können auch Beleidigungen und Drohungen nachhaltige seelische Verletzungen hinterlassen.

 

Manche Situationen lösen anhaltende Ängste aus

 

Als besonders belastend werten Fachleute Situationen, in denen Helfer selbst bedroht werden. So etwas könne Ängste und Verunsicherung auslösen.

Antworten aus einer Studie von 2011 lassen ihre Not erahnen: „Ich hatte mal furchtbare Angst auszusteigen, um zu helfen, weil es auf der Straße sehr aggressiv zuging; und man sich sogar schlug.“ Oder: „Wir kümmerten uns um einen Obdachlosen Mitbürger. Plötzlich kamen Dritte, behinderten uns bei der Arbeit und beleidigten uns. Auch nahmen sie unseren Koffer und kippten ihn aus.“

 

Aber es gibt auch viel Anerkennung

 

Kai Vogelmann betont aber auch: „Unsere Rettungskräfte bekommen sehr viel an Anerkennung und Unterstützung zurück.“ Nach der Amokfahrt im vergangenen Jahr in Münster zum Beispiel hätten vor manchen Dienststellen Rosen gelegen. „Das war eine sehr schöne Geste“, so der Malteser.

Auch für Jürgen Breumann überwiegt immer noch das Schöne am Beruf. Seit 37 Jahren ist er im Rettungsdienst. Schon eine Woche nach dem Vorfall im Rettungswagen hat er wieder Einsätze übernommen. Alles sei wie vorher.

Nur, dass er heute vorsichtiger ist. Gerade wenn es um Betrunkene geht. „Ich denke oft: Karneval, Betrunkene, Alkohol – Vorsicht!“

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