Interview mit Regens Hartmut Niehues

Wie der Missbrauchsskandal die Priesterausbildung verändern muss

Der Missbrauchsskandal muss Konsequenzen für die Ausbildung und die Ausbilder künftiger Priester haben, sagt Hartmut Niehues. Er leitet als Regens das Priesterseminar in Münster und ist auch Vorsitzender der deutschen Regentenkonferenz.

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Der Missbrauchsskandal muss Konsequenzen für die Ausbildung und die Ausbilder künftiger Priester haben, sagt Hartmut Niehues im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“. Er leitet als Regens das Priesterseminar in Münster und ist auch Vorsitzender der deutschen Regentenkonferenz.

Herr Niehues, was geht in Ihnen vor, wenn fast fünf Prozent der Priester mit Missbrauch Minderjähriger in Kontakt gebracht werden?

Ich bin erschüttert über die hohe Zahl der Betroffenen, der Opfer. Was die Zahl der beschuldigten Geistlichen angeht: Ich hatte gehofft, dass es nicht derart viele sind. Ich konnte es mir nicht vorstellen.

Was ist falsch gelaufen in der Priesterausbildung?

Es gab und gibt offenbar zu wenig Einheiten zur Auseinandersetzung mit der Sexualität. Die Studie stellt fest, dass es bis heute Unterschiede zwischen den Priesterseminaren gibt. Es braucht mehr sexualpädagogische Module, und wir müssen Standards festlegen für die Auseinandersetzung mit der Sexualität und mit Blick auf die menschliche Reife.

Was passiert da konkret?

Schon beim ersten Vorstellungsgespräch mit einem möglichen Kandidaten frage ich ihn: Sind Sie sich Ihrer Sexualität bewusst? Ich stelle diese ja nun wirklich sehr intime Frage nicht, um herauszufinden, ob einer nun hetero- oder homosexuell ist. Ich möchte vielmehr erfahren, ob sich jemand mit seiner Sexualität auseinander gesetzt hat. Und ich will ihm signalisieren: Dieses Thema ist kein Tabu, es wird sich wie ein roter Faden durch die Ausbildung ziehen.

Bislang dürfen homosexuelle Männer nicht geweiht werden. Die Missbrauchs-Studie kritisiert das. Wie hängen dieses Verbot und Missbrauch zusammen?

Ich habe die Verfasser der Studie so verstanden, dass die Bestimmung der Kirche, Männer mit „tief sitzenden homosexuellen Tendenzen“ nicht zu Priestern zu weihen, dazu führt, dass mögliche Kandidaten daraus bewusst oder unbewusst den Schluss ziehen, ihre sexuelle Orientierung auszuklammern. Aus einer solchen Blockade der Auseinandersetzung mit der Sexualität könne folgen, dass sich später Bedürfnisse Bahn brechen, die zu Missbrauch führen können.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?

An der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität kommen wir nicht vorbei – ganz gleich, ob sie hetero- oder homosexuell ausgerichtet ist.

Haben Sie schon Kandidaten abgelehnt, weil sie unreif waren?

Ja, das habe ich.

Wie stellen Sie das fest?

Ich nehme wahr, wie ein Priesterkandidat in Beziehung zu anderen lebt. Und ob er einen Zugang zu sich selber, zu seinem Körper hat. Das Entscheidende sind Beziehungen: Kann er gut mit dem anderen Geschlecht umgehen, kann er gut mit dem eigenen Geschlecht umgehen und mit sich selbst? Aber das Ganze beginnt, wie gesagt, schon vor dem Beginn hier im Seminar. Man meldet sich ja nicht einfach an – und dann geht’s los.

Sondern?

Es gibt ein längeres Bewerbungsverfahren. Der erste Schritt sind aber drei Gespräche, die die drei Mitglieder der Aufnahmekommission unabhängig voneinander mit dem möglichen Bewerber führen. Zu dieser Kommission gehören neben mir mein Stellvertreter und Frau Professorin Dr. Ahlers vom Generalvikariat. Anschließend stecken wir die Köpfe zusammen und überlegen, ob wir überhaupt das Bewerbungsverfahren für eine Person in Gang setzen können. Wenn wir das bejahen, folgt auch noch eine sogenannte Evaluation der psychosozialen Kompetenzen. Dabei arbeiten wir mit Professor Dr. Heuft von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie hier in Münster zusammen.

Das klingt sehr anspruchsvoll ...

Ja, das ist es. Wer hier mit 18, 19 Jahren oder auch etwas älter anfängt, der muss natürlich noch nicht „fertig“ sein, sondern darf sich auch entwickeln. Aber wenn wir im Lauf der Ausbildung durch regelmäßige Gespräche erkennen, dass es diese Entwicklung nicht gibt, dann machen wir auch Schluss.

Was bedeutet das für die Kompetenz der Ausbilder?

Ich glaube, dass auch wir stärker in diesen Bereichen geschult werden müssen. Natürlich gibt es Kurse, die meine Kollegen und auch ich selber absolviert haben. Aber mir wäre es ein Anliegen, einen Lernplan für die Ausbilder zu entwickeln, der transparent macht: Dies hier sind die Rahmenbedingungen, unter denen jemand diese Aufgabe wahrnehmen kann.

Und die müssten verpflichtend sein?

Ich meine schon. Es darf nicht dem Zufall überlassen bleiben.

Finden Sie eigentlich, dass das Leben eines Kandidaten im Priesterseminar wirklich vor Klerikalismus schützt?

Gefahren in dieser Richtung mag es in Priesterseminaren immer geben. Auf der anderen Seite sind Priesterseminare auch Orte, um Leben in der Gemeinschaft einzuüben: Wir wollen Priester aus dem Volk Gottes, für das Volk Gottes, und wir leben mitten im Volk Gottes. Wir denken bei uns ja schon in die Richtung und arbeiten auch schon so, indem wir Studenten anderer Fächer in unserem Haus haben.

Reizt da nicht doch eher eine einigermaßen günstige Unterkunft mitten in der Stadt als ein Leben im Volk Gottes?

Das mag so sein. Bei denen, die wir für das Mitleben hier im Haus gewinnen konnten, habe ich den Eindruck: Das geht gut so.

Warum leben Priesterkandidaten nicht wie jeder Student in einer WG, treffen Freundinne­­n und Freunde – und haben ab und an Kurse oder ein Semester im Priesterseminar? Wäre das nicht eher „Leben unter dem Volk Gottes“, als das Volk Gottes ins Priesterseminar einzuladen?

Für mich nicht, weil ich die Priesterkandidaten intensiv kennenlernen möchte. Denn am Ende sollen wir dem Bischof eine Empfehlung geben, wen er weihen kann. Und das geht am besten, wenn man zusammenlebt.

Bischof Genn hat es unlängst abgelehnt, „vorkonziliare klerikale Typen“ zu weihen. Kann sich das Bistum seine Priester bei diesem Priestermangel noch aussuchen?

Der Priestermangel hindert uns nicht daran, die Eignung der Kandidaten an die erste Stelle zu stellen. Es wäre fatal, mit Blick auf die Zahlen einen Kandidaten anzunehmen, von dem wir befürchten müssten: Das geht nicht gut. Wenn wir keine geeigneten Kandidaten haben, dann haben wir keine. Das muss man dann auch aushalten.

Darüber hinaus: Für mich ist es selbstverständlich, dass wir nur Kandidaten in der Ausbildung weiterführen, die sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil identifizieren – und damit mit der Kirche heute.

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