Bewährte Erfahrungen aus der Welt der Klöster

Wie die Adventszeit wirklich eine stille Zeit wird

Endlich mal zur Ruhe zu kommen - das wünschen sich viele, nicht nur im Advent. Stille Tage im Kloster oder Schweige-Exerzitien boomen. Anderen macht zu viel Ruhe Angst. Doch Mönche sagen aus Erfahrung: immer schön entspannt bleiben.

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Endlich mal zur Ruhe zu kommen - das wünschen sich viele, nicht nur im Advent. Stille Tage im Kloster oder Schweige-Exerzitien boomen. Anderen macht zu viel Ruhe Angst. Doch Mönche sagen aus Erfahrung: immer schön entspannt bleiben.

Dass die Stille etwas sehr Friedliches ist, erschließt sich schon aus der Tatsache, dass ihr Gegenpart, das Wort „Lärm“, aus dem Militär stammt. „All' arme!“, hieß es da auf Französisch, „zu den Waffen!“ Alarm lässt aufschrecken – solange er laut genug ist. Die Feuerwehrsirene in New York etwa musste immer wieder verstärkt werden, damit sie im Getriebe der Stadt noch gehört wurde. Irgendwann war das Maximalgeheul erreicht, lauter ging es nicht. Das war in den 1920er Jahren.Seitdem dürfte es auch außerhalb von New York nicht gerade leiser geworden sein.

Im Gegenteil: Inzwischen ist Krach ein ernst zu nehmender Krankheitserreger. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat festgestellt, dass Lärm sogar der zweitgrößte „die Krankheitslast vergrößernde“ Faktor ist – nach Luftverschmutzung. Ganz oben auf der Liste der Radaumacher: der Straßenverkehr, gleich gefolgt vom Nachbarschaftslärm. So sagt es eine Studie des Umweltbundesamts.

 

So ruhig war die Welt lange nicht

 

Der stillste Ort der Welt
 Studio der „Orfield Laboratories“ im US-Bundesstaat Minnesota99,99 Prozent aller Geräusche werden im Studio der „Orfield Laboratories“ im US-Bundesstaat Minnesota absorbiert. Ein normales Gespräch ist 60 Dezibel laut, im stillsten Raum wurden minus neun Dezibel gemessen. In dem Raum soll man es angeblich nicht länger als 45 Minuten aushalten. | Foto: Yamato IBM research centre

Andere behaupten hingegen, so leise wie heute sei die Welt schon lange nicht mehr gewesen: die geräuschlosen E-Autos seien ja auf dem Vormarsch; Briefe würden ja nicht mehr mit Schreibmaschinen getippt, sondern lautlos als SMS per Smartphone verschickt; Jugendliche plärrten ihre Musik nicht mehr aus Ghetto-Blastern in die Parks, sondern hörten sie umweltfreundlich über ihre Ohrstöpsel. Wien sei übrigens wegen des Hufgeklappers und Peitschenknallens von den altmodischen Pferdekutschen lauter als etwa die Ruhrgebietsmetropole Essen, deren gummibereifte Autos weniger Dezibel zustande brächten als die österreichischen Fiaker.

Andererseits bietet sogar die Deutsche Bahn Ruhe-Abteile mit Handyverbot an: der Wunsch nach Stille ist offenbar nicht nur groß, sondern verkauft sich auch. Und das erst recht zur Winterszeit: Ein bäuerlicher Weihnachtsmarkt in Nordrhein-Westfalen wirbt in diesem Advent eigens damit, dass es neben seinem trubeligen Angebot doch glatt einen Ort für Besinnung gibt. Mit einer Krippe in der Mitte. Soll ein Renner sein.

 

Im Advent steigt der Lärmpegel

 

Die beste Hörerin der Welt
Die Große WachsmotteDie Große Wachsmotte kann von allen Tieren die höchsten Töne wahrnehmen – bis zu 300 Kilohertz. Beim Menschen liegt die Obergrenze bei 20 Kilohertz. Die Große Wachsmotte „hört“ übrigens mit zwei Hohlräumen im Brustbereich. | Foto: wikipedia

Es ist schon verrückt, wie ausgerechnet in der Adventszeit der Lärmpegel steigt: angefangen bei allgegenwärtiger Weihnachtsmusik über zusätzlich eingesetzte Paketdienst-Autos bis zu dem einen oder anderen Familienstreit darüber, in welcher Reihenfolge Wunsch- und Einkaufslisten abzuarbeiten und das Besuchsprogramm an den Festtagen zu gestalten wären. Jetzt einfach mal raus, einfach mal abschalten, jetzt einfach mal Stille – das wär's! Wenn man buchstäblich mehr als genug um die Ohren hat: Ruhe im Karton! Wenn das so einfach wäre ...

Damit es ein bisschen leichter wird, gibt es den Advent. Er bietet zumindest einen äußeren Rahmen oder ein Grundgerüst: eine besinnliche Zeit, die dazu einlädt, zur Besinnung zu kommen. Die Dinge ruhiger angehen zu lassen als sonst – und mit gutem Grund, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Natürlich liegt es an jedem selbst, die Einladung anzunehmen und diesen kirchlichen Zeitrahmen zu einer Zeit für sich selbst zu machen. Zu einer Zeit, die anders ist. Die still ist und still werden lassen kann.

 

Außen still, innen ganz laut

 

Stille-Film, kein Stummfilm
Wenn ein Film fast drei Stunden dauert, ist das schon nicht ohne. Aber 167 Minuten über „Die große Stille?“ In der Tat hat der Regisseur Philip Gröning sein Werk dem strengsten Schweigeorden der katholischen Kirche gewidmet: den Kartäusermönchen der Grande Chartreuse bei Grenoble. | Foto: Szenenbild aus „Die große Stille“ von Philip Gröning

Aber das muss man wollen – und man muss es aushalten. So groß die Sehnsucht nach Ruhe ist: Wenn es dann auf einmal wirklich ganz still ist, kann das auch Angst machen. „Wenn es außen still ist, wird es innen ganz laut“, sagen manche über ihre Erfahrung.

Dann sitzt man da oder kniet oder liegt. Und spürt plötzlich diesen akustischen Unterdruck auf dem Trommelfell. Hört das Blut im Kopf rauschen. Denkt an alles Mögliche und weiß nicht wohin mit diesen Gedankenfetzen. Experten der Stille sagen dann: Übertreib es nicht, fang klein an! Mach einen Spaziergang über die Felder, setz einen Schritt vor den anderen, spür die Kälte auf der Haut, hör den Wind, sieh in die Landschaft. Und geh und schweige. Gönn dir das!

Nicht ohne Grund schießen Räume und Häuser der Stille wie Pilze aus dem Boden, sind Schweigeseminare und „Tage im Kloster“ so sehr nachgefragt. Mit der Kirche mag man hier und da seine Probleme haben, mag vieles darin überholt und aus der Zeit gefallen empfinden. Aber wenn es darum geht, wieder zu sich zu kommen, die Stille zu entdecken – da ist das Vertrauen zumindest in die uralte, bewährte Kunst klösterlichen Lebens wieder groß.

 

Ein ganzes Haus für die Stille

 

Im sauerländischen Meschede haben Mönche vor einigen Jahren mit Bedacht ein solches „Haus der Stille“ gebaut. Gäste konnten zwar schon immer im eigentlichen Mönchsgebäude mitleben (soweit sie Männer waren), aber es sollte noch ein konzentrierteres Angebot geben – und das auch für Frauen. Bis in die Architektur hinein kommt darin die Kultur der Stille zum Ausdruck. Denn man kommt ja nicht ins Kloster und – peng – ist man ganz bei sich.

Ein Haus für die Stille
Das „Haus der Stille“ der Abtei KönigsmünsterDas „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster (Peter Kulka, 2001): Der rechte Teil beherbergt nichs als Treppen, der linke den Wohnbereich. | Foto: Markus Nolte

Das „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster, geplant von Peter Kulka, führt Schritt für Schritt vom Trubel draußen zur Ruhe innen: Wer die Eingangstür hinter sich schließt, findet sich in einem schmalen Gebäude wieder, das nichts als Treppen beinhaltet – ein Haus nur für den Weg nach innen. Dort geht es hinauf, dann auf einem gläsernen Steg wie über eine Schlucht ins eigentliche Wohnhaus mit den Gästezimmern.

Doch selbst da öffnet sich hinter der Tür nicht einfach eine Klosterzelle, vielmehr wird der Gast erneut um eine Wand herumgeführt – und erst dann weitet sich der Raum und gibt den Blick frei in den eigenen Stille-Raum. Ein großes, bodentiefes Fenster lässt in den Apfelgarten des Kloster und auf die sanften Hügel des Sauerlands schauen. Das beruhigt.

 

Eine Wache vor dem Mund

 

Schweigen gehört zum Programm für den, der die Stille erfahren will. Dabei geht es weniger darum, nicht sprechen zu dürfen als vielmehr darum, nicht reden zu müssen. Morgenmuffel kennen das. Ohnehin werden häufig viele Worte gemacht, ohne dass wirklich etwas gesagt würde. Einfach mal den Mund halten – wer wüsste nicht, wie wertvoll das sein kann?

Liebhaber der Stille
 Benedikt von Nursia„Ich stelle eine Wache vor meinen Mund“, schreibt der Mönchsvater Benedikt von Nursia in seiner Klosterregel. Unser Foto zeigt den Heiligen in der Benediktinerabtei von Subiaco (Italien), wo er im 5. Jahrhundert als Einsiedler lebte. | Foto: Markus Nolte

Benedikt von Nursia, der große Mönchsvater und Menschenkenner, empfiehlt in seiner vor 1500 Jahren geschriebenen Klosterregel, auf den Weg der eigenen Worte zu achten und durch das Schweigen eine „Wache vor den Mund“ zu stellen. Er schätzt die Schweigsamkeit sogar so sehr, dass er den Mönchen empfiehlt, „bisweilen sogar auf gute Gespräche zu verzichten, mag es sich um noch so gute, heilige und aufbauende Gespräche handeln“. Ihm ist etwas anderes wichtiger: das Hören. „Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden“, fasst das ein bekannter Kanon zusammen.

 

Warum schweigen?

 

Doch warum das Ganze? Warum Schweigen? Weil erst wer sich in die tiefe Ruhe wagt, auch den wesentlichen Dingen auf die Spur kommt. Stille mag anfangs irritieren – aber mit der Zeit hilft sie beim Sortieren. Dabei kann es wichtig sein, einen Helfer in der Nähe zu haben, der zur rechten Zeit das rechte Wort zu sagen weiß.

Stille, schweigen, hören: In der christlichen Tradition ist das immer schon auch mit der Suche nach Gott verbunden gewesen. Nicht unbedingt, weil Gott so leise spräche, aber weil unsere Wahrnehmung bewusster und konzentrierter funktioniert. So wie sich unsere Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen, um etwas erkennen zu können.

 

Thomas Merton, der Meister der Stille

 

Der Meister der Stille
Thomas MertonThomas Merton, aus Frankreich stammender Trappistenmönch (1915-1968), lebte in der Abtei Gethsemani im US-Bundesstaat Kentucky. | Foto: Jim Forest

Und das kann Großes sein. Thomas Merton (1915-1968), aus Frankreich stammender amerikanischer Trappistenmönch, einer der großen Mystiker und politischen Theologen des 20. Jahrhunderts, schreibt, der schweigende Mönch „ist sich bewusst, dass der Mensch irgendwie von einem tiefen Geheimnis des Schweigens und der Unbegreiflichkeit umfangen ist – von Gottes Willen und Gottes Liebe, und er fühlt, dass er persönlich gerufen ist, in engerer Verbindung mit diesem Geheimnis zu leben“.

Und: „Wir würden Gott nicht suchen, wenn er nicht schon ›in uns‹ wäre.“ Merton sollte es wissen. – Und darum heißt Advent, was ja wörtlich die Ankunft Gottes bei uns bedeutet: ihm tief in unserem Innern entgegenzugehen. So still und leise, wie er zu uns gekommen ist.

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