Elisabeth Wiengarten setzt sich in Beelen seit Jahren für Migranten ein

Wie eine Frau hilft, Geflüchteten Heimat im Münsterland zu geben

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Wer als Flüchtling nach Beelen im östlichen Münsterland kommt, kann sicher sein, dass er nicht allein gelassen wird. Dafür sorgt neben der allgemeinen Willkommens-Atmosphäre vor allem Elisabeth Wiengarten.

Es gibt ein geflügeltes Wort in Beelen. Wenn ein Flüchtling über die vielen administrativen und organisatorischen Problemen stöhnt, vor denen ein Migrant in Deutschland steht, sagen ihm die anderen: „Aber du hast doch Frau Wiengarten!“ Das stimmt. Denn mit ihr hat er eine Frau, die ihr ganzes Leben der Hilfe für die Menschen verschrieben hat, die vor Krieg, Verfolgung und Not in die Gemeinde im östlichen Münsterland geflohen sind.

„Wir haben das hier tatsächlich geschafft“, sagt die 68-Jährige mit Blick auf die programmatischen Worte der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. 2015 war das, als mit dem Bürgerkrieg in Syrien hunderttausende Flüchtende auch nach Deutschland kamen. Beelen und Elisabeth Wiengarten traf das nicht unvorbereitet. „Wir hatten schon zuvor viel in der Flüchtlingsarbeit erreicht.“ Daran hatte sie keinen kleinen Anteil, denn damals war sie Integrationsbeauftragte der Gemeinde und – nicht weniger engagiert – ehrenamtliche Integrationsbeauftrage der St.-Johannes-Pfarrgemeinde.

Sie kennt auch die Kleidergrößen

Wenn Wiengarten von ihrer Arbeit berichtet, landet sie immer wieder schnell bei individuellen Flüchtlingsgeschichten. Sie kennt die Namen, die Fluchtwege, die Familienhintergründe und die heutige Situation. Nicht selten weiß sie auch Kleidergrößen, Krankheiten und Medikamente der Migranten. „Hinter jedem Fall steckt eine Geschichte, ein Schicksal, ein ganzes Leben“, sagt Wiengarten. Sie selbst kann die Menschen kaum noch zählen, denen sie Wohnraum besorgte, die sie durch die Bürokratie lotste oder Arztbesuche organisierte. Nicht selten sorgte sie auch mit viel Energie dafür, das Asylanträge anerkannt und der Aufenthaltsstatus geklärt wurde.

Die Lebensgeschichten der Flüchtlinge enden für Wiengarten nie mit ihrer Flucht. Sie gehen in Beelen weiter, und oft spielt ihr Engagement dabei eine entscheidende Rolle. Da ist der Afrikaner, dem sie einen Ausbildungsplatz besorgte, der syrische Junge, dem sie eine wichtige medizinische Versorgung ermöglichte oder der türkische Mann, der mittlerweile als Pädagoge in einer Schule arbeitet und sich selbst für Menschenrechte engagiert.

Von Anfang an willkommen

„Das alles war nur möglich, weil die Atmosphäre hier in Beelen stimmte“, sagt Wiengarten. „Von Anfang an waren die Migranten hier willkommen.“ Das hatte viele Gründe. Die Integrationsarbeit war intensiv, nicht zuletzt durch ein großes ehrenamtliches Engagement in der Pfarrgemeinde. „Wir hatten schnell viele Helfer, die Deutsch-Unterricht gaben.“ Begegnungsabende, gemeinsames Kochen, kulturelle Angebote für Beelener und Migranten wurden organisiert. 

Eine Entscheidung der Gemeinde sieht sie als „Glücksgriff“: Die Flüchtlinge wurden vorwiegend in Häuser auf den gesamten Ort verteilt und nicht in Massenunterkünften untergebracht. „Sie waren damit vor allem Nachbarn und keine fremde Großgruppe.“ Nachbarn, die quasi über den Gartenzaun unterstützt wurden, mit deren Kinder die eigenen gemeinsam zu Schule gingen. 

Vertrauen öffnet Türen 

Und: Wiengarten war vernetzt. „Ich wusste immer, wo ich anrufen konnte.“ Ob bei den Ämtern des Kreises Warendorf, ob bei Ärzten, bei Betrieben oder bei Flüchtlingsinitiativen im Umland – wenn Wiengarten sich meldete, war sie keine Unbekannte. Sie hatte sich über die vielen Jahre ein Vertrauen erarbeitet, mit dem sie den Flüchtlingen Türen öffnen konnte.

Die allgemeine Atmosphäre in Beelen unterstütze das. „Hier gab es eigentlich keinen Gegenwind für die Flüchtlingsarbeit.“ Im Gegenteil – sie kennt viele Beispiele, in denen Einzelpersonen oder Gruppen sich der Migranten annahmen. Wie war so ein Klima möglich? „Es hat sich keiner getraut, öffentlich etwas dagegen zu sagen“, sagt Wiengarten selbstbewusst. „Dazu waren die Helfer zu dominant.“ Keine kleine Rolle spielte in ihren Augen der damalige Pfarrer Happe, der mittlerweile emeritiert ist. „Seine Predigten hatten Gewicht, er bezog vehement Position für die Flüchtlinge.“ Auch als er 2005 drei Syrer in seiner Kirche Asyl gewährte.

Viele Migranten sind heute Beelener

Wenn Wiengarten heute Spazieren oder Einkaufen geht, dauert es nicht lange, bis sie von Migranten angesprochen wird. Viele sind in Beelen geblieben, haben sich und ihren Familien ein Leben aufbauen können. Manchmal klingeln sie einfach an ihrer Haustür und schenken ihr eine Blume. „Die Herzlichkeit, die ich gegeben habe, bekomme ich um ein Vielfaches zurück.“

Nour Abo Hayla gehört zu den vielen, die Wiengarten immer wieder „Danke“ sagen wollen. „Beelen ist jetzt mein Zuhause“, sagt die 32-Jährige Syrerin, die vor sieben Jahren nach Deutschland flüchtete. „Hier will ich nicht mehr weg.“ Sie habe damals über die Willkommens-Atmosphäre gestaunt, mit der sie und ihre Familie im Ort empfangen wurden. „Die Menschen hier grüßten und lächelten, obwohl sie uns nicht kannten – sie haben uns damit Angst genommen.“

Flüchtlinge wollen selber helfen

Mittlerweile arbeitet Hayla in einer Kindertagesstätte in Beelen. Sie hat eine Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft absolviert und wird dort auch wegen ihrer integrativen Möglichkeiten geschätzt. Zudem setzt sie sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge ein, die weiterhin in den Ort kommen. „Die Menschen hier haben etwas für mich getan, obwohl sie es eigentlich nicht gemusst hätten.“ Genau das inspiriert sie heute selbst, zu helfen.

Seit einigen Monaten kommen vermehrt auch ukrainische Flüchtlinge nach Beelen. Eine völlig neue Situation, findet Wiengarten. „Sie sind sehr zurückgezogen, suchen kaum Kontakt.“ Vielleicht weil sie ihre Situation als nur vorübergehend sehen, sagt sie. „Das ist in Ordnung – entscheidend ist, dass sie sich wohlfühlen.“ Aber sie wird nicht müde, Hilfe anzubieten. Sie verteilt Flyer, nennt Ansprechpartner und lädt zu Veranstaltungen ein. „Ich freue mich über jeden, der kommt, will aber keinen zwingen.“

„Ich bin selbst die Beschenkte“

Die Flüchtlinge aus Afrika, Syrien, der Türkei und Afghanistan erleben diese Freude von Wiengarten immer noch täglich. „Ich bin doch selbst die Beschenkte“, sagt sie immer wieder. Es gibt Momente, in denen sie das besonders fühlt: „Als ich mit einem muslimischen Mann im Gottesdienst unter dem großen Kreuz im Altarraum stand und wir gemeinsam das Vaterunser gebetet haben.“

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