Themenwoche "Bestattungskultur" (2) - Elisabeth Steineke aus Münster

Wie eine Frau die Leitung von Begräbnissen durch Laien erkämpfte

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Die Vorstellungen, wie und wo jemand seine letzte Ruhe finden will, sind vielfältiger geworden. Auch seitens der Kirche gibt es Aufbrüche: 2005 leiteten erstmals Laien im Bistum Münster Begräbnisse – wie Elisabeth Steineke.

Das Foto mit ihr in der grauen Albe liegt obenauf. 20 Jahre ist es alt und fällt trotzdem sofort ins Auge, wenn sie die Mappe mit dem Material für die Beerdigungsfeiern aufklappt. „Es war ein Zeichen, etwas ganz Neues, Revolutionäres…“ Elisabeth Steineke ist heute noch anzuhören, wie emotional das war, als sie 2005 vom Bistum Münster endlich als eine der ersten Laien für den Dienst der Trauerbegleitung und für die Leitung von Begräbnisdiensten beauftragt wurde. Sie selbst hatte den Weg bis zu dieser Entscheidung maßgeblich mitgestaltet. Es war kein leichter.

Denn sie war gewissermaßen vorgaloppiert. Schon ein paar Jahre zuvor war ihr damaliger Pfarrer in St. Margareta in Münster, Hans Gerd Paus, auf einige Frauen in der Pfarrgemeinde zugekommen und hatte gefragt, ob sie ihn nicht bei den Beerdigungen unterstützen wollten. „Nicht aus Zeitmangel“, sagt Steineke. „Sondern aus Überzeugung.“ Es ging um neue Verantwortung für Laien, um ihren Stellenwert in der Seelsorge, um ein Zeichen gegen veraltete Strukturen. „Das war rebellisch.“

Intensive Schulungen mit dem Pfarrer

Was zu ihr passte, gibt die 81-Jährige zu. „Ich mochte es schon immer bunt – fand es gut, Neues auszuprobieren, Dinge anders zu machen.“ Das galt auch für ihr vielseitiges ehrenamtliches Engagement in der Kirche. Liturgiearbeit, soziale Projekte oder Küsterdienste gehörten dazu. Da setzte sie gern überraschende Akzente. Etwa bei der Chrisam-Messe in der Karwoche, zu der aus allen Pfarrgemeinden des Bistums Abordnungen kamen, um die geweihten Öle abzuholen. „Alle in Schwarz-Weiß“, erinnert sich Steineke. „Und ich hatte mir extra das bunteste Kleid angezogen, das ich besaß.“

Als ihr Pfarrer sie also fragte, ob sie bei den Beerdigungen als Lektorin mit auf den Friedhof kommen könnte, war das auch nur der Anfang eines weiteren Zeichens, das sie gemeinsam setzen wollten. Denn ihr Engagement in der Trauerbegleitung und im Beerdigungsdienst wurde nach und nach mehr. Paus schulte sie intensiv, erarbeitete mit ihr Material, spielte mit ihr Trauergespräche durch, übte Ansprachen, stellte Lieder und Texte zusammen.

Unzählige Briefe an die Bistumsleitung

Irgendwann musste sie dann allein ins kalte Wasser springen, weil der Pfarrer verhindert war. „Die Ansprache am Grab hatte er schon geschrieben, ich musste sie nur noch vortragen“, erinnert sich Steineke. „Die Gebete sprechen, segnen und die liturgischen Handlungen am Grab vornehmen.“ Was eigentlich nicht erlaubt war. Und das ärgerte sie und ihre Mitstreiter gewaltig. Denn darunter litt auch die Akzeptanz ihrer Einsätze. Sie wurden von den Trauernden und Beerdigungsgesellschaften nicht selten mit hochgezogenen Augenbrauen empfangen. „Wir brauchten etwas Offizielles, mit dem wir die Vorurteile aufbrechen konnten.“

Immer wieder hatten sie versucht, beim Bistum Gehör für ihr Anliegen zu bekommen. „Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Briefe ich Bischof Reinhard Lettmann damals geschrieben habe.“ Es kam nie etwas zurück. Was sich „falsch“ anfühlte, sagt sie heute. „Irgendwie ohne Vertrauen und Wertschätzung.“ Erst als sie beim Bistumsjubiläum 2005 mit einem Stand am münsterschen Rathaus auf ihr Engagement aufmerksam machten, kam Bewegung in die Sache. Es gab Gespräche mit der Bistumsleitung, Rahmenbedingungen für eine Ausbildung wurden geschaffen, ein Pilotprojekt angestoßen. Das mündete in der zeitlich begrenzten Beauftragung von vier Laien. Steineke war dabei.

Nicht nur positive Rückmeldungen

Seitdem konnte sie all das offiziell machen, was sie zuvor verbotenerweise getan hatte: zu den Menschen gehen, die einen Angehörigen verloren hatten. Sie in ihrer tiefen Trauer daheim besuchen, über das Leben des Verstorbenen sprechen. Ängste nehmen und Hilfen geben. Sie konnte aus diesen Gesprächen heraushören, was ihnen wichtig in dem gemeinsamen Leben gewesen war, um daraus die passenden Worte am Grab zu formulieren. Sie konnten das alles mit einer größeren Freiheit als so mancher Theologe, sagt sie: „Es mussten nicht immer biblische Texte sein, und wenn eine Familie allergisch auf das Wort ‚Gott‘ reagierte, musste ich es auch nicht aussprechen.“ Und sie brachte Zeit mit, die viele Geistliche in ihrem Seelsorgealltag kaum hatten. „0-8-15 gab es bei mir nicht – ich konnte in jede Situation viel Herz und Kopf einbringen.“

Trotzdem blieb es Überzeugungsarbeit. Sie kann sich durchaus an die Sargträger erinnern, die sich immer noch stöhnend umdrehten, wenn sie die Trauerhalle betrat. Und an die vielen Rückmeldungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, die sie erreichten, nachdem ihre Beauftragung durch die Medien gegangen war. „Das ist verboten, was ihr da macht – das darf man nicht“, stand in einem Brief aus Österreich. Auch ein Priester aus dem Süddeutschen belehrte sie einmal: „So etwas hätte meine Mutter nie getan.“ Das alles war Wasser auf ihre Mühlen. „Vielleicht hat es uns gerade wegen dieser Rückmeldungen besonders viel Spaß gemacht.“ Wenn sie das sagt, ist die Rebellin deutlich herauszuhören.

Laie am Grab ist Alltag

Sie lächelt, wenn sie an die damalige Zeit zurückdenkt. „Eigentlich haben wir damals aus Überzeugung das gestartet, was bei den zurückgehenden Priesterzahlen heute zur Notwendigkeit geworden ist.“ Nicht nur überall im Bistum Münster gibt es mittlerweile Laien in der Trauer- und Beerdigungsbegleitung. Andere Bistümer sind nachgezogen. Der Laie mit Albe am Grab ist längst kein Fremdkörper mehr, mit dem nicht wenige Trauernde früher ihre Probleme hatten.

„Es waren aber weiterhin ganz unterschiedliche Trauergesellschaften, mit denen ich auf dem Friedhof stand“, sagt Steineke. Nicht jede konnte mit ihr als Frau und mit ihrem offenen Zugehen auf die Situation etwas anfangen – trotz offizieller Erlaubnis. „Da musste ich immer noch sensibel sein.“ Und eigene Vorurteile überwinden. Das gibt sie zu. „Ich war manchmal überrascht, wie beweglich Menschen dann doch waren, die ich stur eingeschätzt hatte.“ Etwa jene Kinder, die sie mit kurzer Hose beim Grillen im Garten empfingen, um über die Beerdigung des Vaters zu sprechen. „Ich hatte nicht viel an Reflexion erwartet, aber sie gestalteten den Gottesdienst intensiv mit.“

2017 hörte sie auf

2017, mehr als 100 Beerdigungen später, beendete Steineke ihren Dienst in der Trauerbegleitung und in der Leitung von Begräbnisfeiern. „Als damals mein Mann starb, war das für mich eine Zäsur.“ Nicht nur, weil das Thema Tod noch einmal ganz anders an sie herantrat. Auch, weil ihr eine wichtige Hilfe in der Vorbereitung ihrer Einsätze fehlte. „Ich habe ihm die Grabreden vorher immer gehalten, um sie zu testen.“

Die Mappe mit dem Material aus den Vorbereitungskursen steht aber weiterhin in Griffweite. „Die Texte und Lieder sind einfach zu berührend“, sagt Steineke. „Ich lese sie immer noch regelmäßig.“ Dazwischen sind immer wieder Zeitungsartikel abgeheftet. In ganz Deutschland berichteten die Medien damals über den außergewöhnlichen Schritt, den das Bistum Münster wagte. Einen Schritt, den sie und ihre Mitstreiterinnen schon viel früher gemacht hatten.

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