Frau Friedek macht auch Luther

Wie gemeinsamer Religionsunterricht in Niedersachsen läuft

An manchen Schulen in der niedersächsischen Diaspora liegt der Anteil katholischer Kinder bei gerade mal fünf Prozent. Nicht nur dort ist es hilfreich, dass Religion in Niedersachsen inzwischen konfessionell-kooperativ unterrichtet werden kann.

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Der Schlüsselbund ist deutlich kleiner als früher. Aber immer noch klimpern daran Schlüssel von drei Schulen. Einmal in der Woche unterrichtet Ulrike Friedek an der Grundschule im friesländischen Zetel. Heute früh in den ersten beiden Stunden stand sie vor Achtjährigen an der Grundschule Büppel. Jetzt, in der sechsten  Stunde, diskutiert sie mit Zehntklässlern an der Vareler Oberschule über Sekten. Alles mit einer Art Spezialauftrag: katholischer Religionsunterricht in der Diaspora.

Seit 26 Jahren ist es ihr einziges Fach. Das ist der Normalzustand für  die Pädagogen, die als so genannte katechetische Lehrkräfte die katholische Lücke füllen, in Landstrichen wie Friesland oder dem Ammerland zum Beispiel. Wo nicht einmal jeder Zehnte katholisch ist und katholische Religionslehrer Exoten sind.

 

Früher war sie an neun Schulen unterwegs

 

Es gab Zeiten, da klapperte sie jede Woche neun verschiedene Schulen ab, um für ein Häuflein katholischer Kinder den Religionsunterricht zu gewährleisten, meist mehrere Jahrgänge gemeinsam – und dennoch oft kaum mehr als ein Dutzend pro Gruppe. Doch das ist Vergangenheit, seit Schulen in Niedersachsens Diaspora  Religionsunterricht in neuer Form anbieten können. „Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht“ heißt das Zauberwort. Dort sitzen evangelische und katholische Kinder in einer Klasse.

„Es ist leichter zu organisieren und für alle Seiten vorteilhaft, wenn die Konfessionsgrenze keine Trennung mehr bedeutet“, freut sich Andreas Michalke über die seit 1998 bestehende Möglichkeit. Früher musste der Schulleiter der Vareler Oberschule Stundenpläne aufwendig nach einem passenden Zeitfenster für den Religionsunterricht der wenigen katholischen Schüler durchforsten. Im laufenden Schuljahr sind das 15 von insgesamt 366 Jungen und Mädchen.

 

Die Kinder reden im Klassenverband über Gott

 

Seit Religion an der Oberschule konfessionell-kooperativ erteilt wird, ist das vorbei. Die Kinder können für den Religionsunterricht im Klassenverband bleiben, werden gemeinsam unterrichtet. Das Konzept dafür hat Ulrike Friedek als Leiterin der Fachkonferenz Religion mit ihren evangelischen Kollegen erarbeitet, die Landesschulbehörde hat es im Einvernehmen mit den kirchlichen Stellen bestätigt.

Wie der Schulleiter sieht auch die Religionslehrerin durchaus die Vorteile des neuen Weges. Die Schüler würden nicht mehr auseinandergerissen und könnten in Diskussionen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede  viel voneinander lernen. Auch das Miteinander könne wachsen. Bei Erstkommunionfeiern ist auch schon mal die gesamte Klasse beim Gottesdienst  dabei. Darüber freut sich Friedek.

 

Die Einheitsübersetzung hat die Lutherbibel abgelöst

 

Manches habe sich aber deutlich verändert, für beide Konfessionen. Weil für den kooperative Unterricht Kompromisse nötig waren. Statt in Lutherbibeln lesen die Kinder heute in der Einheitsübersetzung. Und das gemeinsame Gebet zu Beginn oder am Ende einer Stunde gehört der Vergangenheit an.

Gebete, die für Ulrike Friedek früher ganz selbstverständlich als Ritual zum katholischen Religionsunterricht zählten, sind heute eher Unterrichtsstoff. „Sie lernen zwar die Grundgebete, aber sie sind als Gebete nicht mehr vorgesehen, ebenso wenig wie das Kreuzzeichen.“

 

Kein gemeinsames Kreuzzeichen mehr

 

In der Grundschule wird stattdessen gesungen. Dort macht die Religionslehrerin aber ab und zu mit den katholischen Kindern ein Kreuzzeichen. „Den evangelischen Kindern erklären wir es dann und haben damit gleich ein Thema für den Unterricht.“ Gemäß der Anforderung an konfessionell-kooperativen Unterricht: konfessionsbewusst, aber auch konfessionssensibel vorzugehen.

Eine andere Folge des neuen Konzepts wurde Ulrike Friedek als ehrenamtliche Helferin in der Kommunionvorbereitung von St. Bonifatius Varel deutlich. „Früher kannten die Kinder die wichtigsten Gebete oder Kreuzzeichen aus dem Religionsunterricht. Mittlerweile müssen viele das erst neu lernen.“

 

„Ich musste vieles ganz neu lernen“

 

Auch die 61-Jährige musste manches ganz neu lernen. Denn zum neuen Konzept zählt auch, dass Religionslehrer ein gewisses Grundwissen über die Konfessionsgeschwister mitbringen. Um auf Fragen vorbereitet zu sein und  die Unterrichtseinheiten mit evangelischem Schwerpunkt übernehmen zu können.


Ulrike Friedek im Religionsunterricht an der Oberschule Varel. | Foto: Michael Rottmann

„Luther musste ich üben“, sagt Ulrike Friedek lächelnd. „Ich habe mich aber intensiv damit beschäftigt, gerade für das Lutherjahr. Ich wusste: Das Thema kommt im Religionsunterricht immer mal wieder vor.“ Im Gegenzug kennen sich ihre evangelischen Kollegen mittlerweile deutlich besser als früher mit Heiligen und Feiertagen wie Allerheiligen, Fronleichnam oder Mariä Himmelfahrt aus.

Für den Unterricht gilt: Der Lehrer macht den Unterschied. Ist er katholisch, ist es katholischer Religionsunterricht, konfessionell-kooperativ erteilt. Und zwar unabhängig davon, ob ein katholischer Schüler in der Klasse sitzt oder nicht. Ulrike Friedek hat das schon erlebt. Auch dann bekommt jeder Schüler auf dem Zeugnis eine Note in katholischer Religion, ergänzt um die Bemerkung „Der Religionsunterricht wurde konfessionell-kooperativ erteilt“.

 

Ab kommendem Schuljahr auch in NRW

 

Auch Grund- und weiterführende Schulen im Bistum Münster können ab dem Schuljahr 2018/19 Religionsunterricht konfessionell-kooperativ ähnlich wie in Niedersachsen anbieten. Vier der fünf katholischen Bistümer und die drei evangelischen Landeskirchen in NRW haben sich im vergangenen Jahr auf ein entsprechendes Konzept geeinigt. Nur das Erzbistum Köln hält zunächst am ausschließlich konfessionell erteilten Unterricht fest.

Katechetische Lehrkräfte
An manchen Schulen in der niedersächsischen Diaspora liegt der Anteil katholischer Schüler bei unter fünf Prozent. Um auch dort Religionsunterricht möglich zu machen, setzten Kirche und Landesregierung lange auf den Einsatz so genannter katechetischer Lehrkräfte. Das sind Frauen und Männer, von der Kirche ausgebildet und vom Land Niedersachsen bezahlt, die als ambulante Religionslehrer oft an mehreren Schulen gleichzeitig unterrichten. Mit der seit 16 Jahren bestehenden Möglichkeit für Schulen in Niedersachsen, das Fach Religion konfessionell-kooperativ zu unterrichten, hat sich die Lage verändert. Heute sind nur noch halb so viele Katechetische Lehrkräfte wie noch vor zehn Jahren im Einsatz. Derzeit sind es im Oldenburger Land nach Informationen der Schulabteilung im Offizialat noch zehn.

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