Themenwoche "Die Lage in katholischen Krankenhäusern" (1)

Wie katholische Kliniken auf die schlechte Pflege-Situation reagieren

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„Pflege am Limit“, „Krankenhäuser vor der Zerreißprobe“ sind nur einige der Überschriften, die diesen Sommer auf die bedrohliche Situation in der Pflege und deren Einrichtungen mehr als deutlich hinweisen. Ein Grund für "Kirche-und-Leben.de" einmal genauer nachzufragen und zu schauen, wie die Situation an Häusern in katholischer Trägerschaft ist. Marcus Proff, Referatsleiter Krankenhäuser und Pflegeausbildung beim Diözesancaritasverband in Münster und Markus Wahlers, seit Jahresbeginn Pflegedirektor am St.-Franziskus-Hospital in Münster, haben Rede und Antwort gestanden.

Herr Wahlers, Sie sind seit Anfang des Jahres Pflegedirektor im St.-Franziskus-Hospital in Münster. Wie nehmen Sie die Stimmung auf den Stationen wahr?

Markus Wahlers: Dazu eine kleine Anekdote: Kurz vor Dienstantritt saß ich zusammen mit meinem Stellvertreter in einer Münsteraner Gastronomie, um die ersten Dinge zu besprechen, als plötzlich eine Kellnerin zu uns kam, ein Bier vor mir abstellte und sagte: Das ist von dem Tisch da hinten. Herzlich Willkommen im Franziskus. Da saß doch tatsächlich eine ganze Abteilung mit Sekretariat und Pflegekräften zusammen und prostete mir zu. Diese Geschichte spiegelt die Stimmung im Haus gut wider: wir sind klein genug, um einen familiären Umgang miteinander pflegen zu können. Es gibt ein positives Zusammengehörigkeitsgefühl. Man kennt und grüßt sich im Haus.

Sie arbeiten also im gelobten Land?

Wahlers: Nein, natürlich nicht. Mich erreicht sehr häufig auch die Unzufriedenheit der Belegschaft. Personalmangel, Stress und hohe Arbeitsbelastung lassen sich ja nicht weggrüßen. Ich kann die Zufriedenheit meiner Mitarbeitenden nicht persönlich steigern. Ich kann nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sie zufrieden arbeiten könnten. Aber wenn die anderen Bedingungen des Lebens so mies sind, wie sie gerade sind, habe ich es als Arbeitgeber nochmal schwerer. Wo soll denn gerade angesichts der ungewissen Zukunft die gute Stimmung herkommen? Die Belegschaft eines Krankenhauses ist schließlich nichts anderes als der Spiegel der Gesellschaft.

Herr Proff, die Caritas vertritt mehr als 60 Krankenhausstandorte und Verbünde im Bistum Münster. Was bekommen Sie aus den Häusern zu hören?

Marcus Proff ist Referatsleiter Krankenhäuser und Pflegeausbildung beim Diözesancaritasverband in Münster. | Foto: Jürgen Flatken
Marcus Proff ist Referatsleiter Krankenhäuser und Pflegeausbildung beim Diözesancaritasverband in Münster. | Foto: Jürgen Flatken

Marcus Proff: Die Situation ist in allen Kliniken ähnlich: die Träger haben mit Fachkräftemangel, Corona und explodierende Kosten zu kämpfen. Gleichzeitig wünscht man sich in der Pflege flexiblere Arbeitszeiten und verbindliche Zusagen, was die Freizeit angeht. Pflegekräfte wollen nicht aus ihrem Frei herausgerufen werden, um personelle Lücken zu stopfen. Hier sind unsere Träger am Ball und bieten zunehmend flexible und verlässliche Arbeitsmodelle an. Und natürlich geht es auch um ein angemessenes Gehalt – nicht nur, um mehr in der Tasche zu haben. Geld ist auch Wertschätzung. Und gute Arbeit verdient eine dementsprechende Entlohnung. Die Caritas bezahlt da im Vergleich recht gut. Von über 40.000 Euro im ersten Berufsjahr bis zu über 50.000 Euro in der Endstufe sind drin.

Und wie ist die Stimmung?

Proff: Vom Geschäftsführer, über die Ärzte bis hin zu den Pflegenden ist die Stimmung nicht gut. Corona hat tiefe Spuren hinterlassen. Seit längerem ziehen die Krankmeldungen wegen Covid an und wir erwarten im Herbst einen weiteren deutlichen Anstieg. Das führt insbesondere auf den Corona- und Intensivstationen zu Stress. Gleichzeitig stagnieren die Belegungszahlen seit längerem auf einem niedrigen Niveau bei noch nie so vielen Pflegekräften im System. Auch die Entlohnung ist überdurchschnittlich gestiegen im Gegensatz zu anderen Branchen. Und trotzdem ist die Stimmung besonders in der Pflege schlecht. Ein Gefühl, das die reinen Zahlen so aber nicht hergeben.

Wenn die Stimmung so schlecht ist, wie Sie sagen, warum wird in Ihren Häusern nicht gestreikt?

Proff: Es geht in unseren Häusern oft um Leben und Tod. Die Menschen sind ja nicht zum Spaß hier. Und das die bestreikt werden könnten, da sträubt sich bei mir alles. Das kann doch nicht sein. Daher haben Mitarbeitende an katholischen Krankenhäusern auch kein Streikrecht. Die katholische Kirche hat für sich und ihre Einrichtungen den sogenannten Dritten Weg geschaffen. Danach werden die Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifverträge, sondern durch paritätisch besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt. Wir sind auf Konsens aus.

Woran merke ich in Ihren Häusern, dass ich mich in einer katholischen Einrichtung befinde?

Proff: Das Katholische merkt man daran, dass der Druck auf die Belegschaft nicht so groß und die Rendite-Erwartung nicht hoch ist wie bei kommunalen Trägern. Im Fokus stehen der Patient und eine medizinisch gute Versorgung. Nicht die Gewinnmaximierung, sondern die Patientenversorgung. Die Haltung ist in unseren Häusern eine andere. Und natürlich spüren wir gleichzeitig den finanziellen Druck. Hier ist die Politik gefordert. Wir müssen weg von der Fixierung auf die Stückzahl der behandelten Patienten.

Herr Wahlers, Sie haben von guten Rahmenbedingungen gesprochen. Was tun Sie dafür?

Markus Wahlers ist Pflegedirektor am St. Franziskus-Hospital in Münster. | Foto: Jürgen Flatken
Markus Wahlers ist Pflegedirektor am St.-Franziskus-Hospital in Münster. | Foto: Jürgen Flatken

Wahlers: Indem zum Beispiel Chefarzt und Bereichsleitung der Pflege zusammen ihre Abteilung führen. Ich weiß, dass die Idee der dualen Führung nicht wahnsinnig neu ist. Aber wir reden nicht darüber, sondern wenden es an. Man begegnet sich bei uns auf Augenhöhe. Wenn ein Arzt früher Anordnungen gegeben hast, wusste er meist gar nicht, was das für Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung in der Pflege hatte. Jetzt sprechen wir miteinander und schauen, was unsere personellen Möglichkeiten hergeben und wie wir gemeinsam den Patienten bestmöglich versorgen können. Das ist der franziskanische Geist, der hier zu spüren ist. Das Franziskus ist weniger Fabrik denn Familie.

Sie reden also miteinander…

Wahlers: Dadurch, dass wir im Gespräch sind, sind wir auch viel näher dran an den Beschäftigten und können auf Belastungsschwankungen schneller reagieren und an Stellschrauben drehen. Als in einer Abteilung die Arbeitsbelastung zu hoch war, haben wir die Bettenzahl von 30 Patienten auf 20 verringert. Wir sind gemeinsam zu der Erkenntnis gekommen, dass gerade nichts anders geht, haben sofort gehandelt und damit Druck vom Kessel genommen.

Das heißt, Sie haben das Team kurzfristig entlastet. Aber das ist doch keine Lösung auf Dauer.

Wahlers: Ich nenne es das atmende System. Wir haben auf eine Krise reagiert. Das heißt jetzt aber nicht, dass wir bis zum Nimmerleinstag bei 20 Betten bleiben, sondern die duale Führung den Stresslevel im Blick hat. Wir handeln gemeinsam aus, was möglich ist. Wenn sich die Lage personell wieder entspannt, wird geschaut, ob und wie die Bettenzahl langsam wieder erhöht werden kann. Mit dem Ziel, wieder in eine normale Belegung zu kommen.

Was also tun?

Wahlers: Wichtig ist, dass die Pflege als das angesehen wird, was sie ist: als enorme Leistung am Menschen. Ich habe eine große Hochachtung vor dem Job, den die Pflegenden tun. Gleichzeitig hat ihre Arbeit einen wahrhaftigen Sinn. Von daher appelliere ich: bei all dem, was schiefläuft, nicht immer nur an die Schattenseiten denken.

Den Stresslevel zu senken und Druck aus dem Kessel zu nehmen ist das eine. Wie versuchen Sie, eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen?

Wahlers: Am 12. Mai stand der Tag der Pflege an. Und alle machten sich große Gedanken, was man der Belegschaft Gutes tun könnte. Wir haben uns gefragt, was in den letzten zweieinhalb Jahren dank Covid nicht stattfinden konnte, die Belegschaft aber an sich sehr gerne macht. Und was soll ich sagen: Wir feiern hier eigentlich ganz gerne. Was vielleicht auch mit unserem katholischen Background zu tun haben könnte. (Wahlers lacht) Also haben wir gesagt, der Pflegedirektor ist neu und lädt das Haus auf ein Bier ein. Was soll ich sagen, wir haben ordentlich Party gemacht.

Was hat es gebracht, außer einem gemeinsamen Gelage?

Wahlers: Unsere Mitarbeitenden tragen Hoodys oder Polo-Shirts mit „Team Franziskus“ hinten drauf. Das ist kein hohler Werbespruch, sondern das wird hier gelebt. Und ist gleichzeitig ein Identität-stiftendes Element. Und auch der Abend hat auf symbolischer Ebene einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu geleistet. Es war einfach so viel Freude zu spüren, ein harmonisches Miteinander zu erleben. Gleichzeitig war die Einladung als Wertschätzung und Dank für die harten Corona-Jahre gedacht: Wir haben die Krise gemeinsam geschultert und geschafft und dürfen das jetzt gemeinsam feiern und genießen. Gute Arbeit muss auch gut honoriert werden. Darauf achten wir zu wenig.

Ein paar Partys im Jahr und alles ist gut?

Wahlers: Es ist bei uns ein franziskanischer Wert, jedem auf Augenhöhe zu begegnen: Patienten, Angehörigen, Mitarbeitenden. Und jeden einzelnen wahrzunehmen, seine Stärken zu erkennen und zu fördern. Wir haben so viele engagierte und qualifizierte Leute bei uns im Haus. Neben sehr erfahrenen Mitarbeitenden gibt es Pflegekräfte, die ein abgeschlossenes Studium im Bereich Pflege vorweisen können. Dieses Knowhow lag zu großen Teilen brach. Und es liegt an uns, diese schlummernden Schätze zu heben und die Menschen mit in die Entwicklung unseres Hauses einzubinden.

Wenden wir uns noch kurz der Nachwuchsförderung zu. Was tun Sie beide, um neue Mitarbeitende zu gewinnen?

Proff: Ich glaube ja, dass die Pflege sich selber zu klein macht. So hat es letztes Jahr in Münster eine Aktion gegeben, bei der sich Pflegefachkräfte auf einem zentralen Platz auf den Boden gelegt haben. Nach dem Motto: Die Pflege ist am Boden. Wenn du das als junger Mensch siehst, dann entscheidest du dich doch nicht für einen Job in der Pflege.

Wahlers: Wenn junge Menschen einmal bei uns hospitiert haben, dann sind sie davon überzeugt, dass sie hier arbeiten wollen. Denn die Atmosphäre bei uns ist, wie sie ist und spricht für sich selbst: herzlich und einladend. Gleichzeitig bereiten wir gerade eine Kampagne vor. Nicht um zu werben, sondern um uns vorzustellen und zu zeigen, was wir sind: nämlich das Team Franziskus.

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