In die Herz-Jesu-Kita Hamm kommen Kinder aus 18 Nationen

Wie können Kindergärten noch katholisch sein?

Lebensorte des Glaubens heißt das Programm im Bistum Münster, mit dem Kindertagesstätten ihr katholisches Profil stärken können. Im Herz-Jesus-Kindergarten in Hamm ist dabei eine neue Atmosphäre entstanden.

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Das mit der deutschen Pünktlichkeit klappt nicht. Da haben viele Familien im Hammer Norden andere Vorstellungen. Kein Wunder, denn ein großer Teil kommt aus Nationen und Kulturen, in denen der Umgang mit Terminen locker ist. Im Kindergarten Herz-Jesu ist das genauso. „Das müssen wir einfach einrechnen“, sagt Nicole Schreckenberg. Die Leiterin des Kita-Verbunds in der Kardinal-von-Galen-Gemeinde hadert nicht damit. „Wir haben doch viel Wertvolleres zu vermitteln, als nur den korrekten Umgang mit Terminen.“

In dieser Einstellung steckt viel von der Idee, auf die sich die drei Kindergärten in ihrer Verantwortung in den vergangenen Jahren eingelassen haben. Gerade mit Blick auf die religiöse Ausrichtung sagt sie: „Wir wollen keinen Glauben überstülpen oder gar missionieren – sondern eine christliche Haltung einnehmen, unseren Hintergrund erklären und unsere Religion verständlich machen.“

 

Knapp die Hälfte der Kinder ist muslimisch

 

„Sozialraum mit Entwicklungsbedarf“ heißt der Norden der Ruhrgebietsstadt offiziell. „Sozialer Brennpunkt“ wird er auf der Straße genannt. Viele Migrationsgeschichten und eine hohe Arbeitslosigkeit gibt es hier. Im Kindergarten spiegelt sich das wider: Ein Drittel der 70 Kinder besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, 13 Prozent die türkische. Der Rest setzt sich aus 16 weiteren Nationen zusammen. Bei den Religionen sieht die Mischung nicht weniger bunt aus: Knapp die Hälfte ist muslimisch, 21 Prozent sind katholisch. Dazu gibt es orthodoxe und evangelische Christen, mehr als zehn Prozent sind konfessionslos.

Herz-Jesu-Kita in Hamm
Nicole Schreckenberg (links) und Sabine Schmidt spielen mit Kindern der Kindertagesstätte Herz -Jesu in Hamm. | Foto: Michael Bönte

Wie weit die Lebenswirklichkeiten der Familien zum Teil auseinander liegen, macht Sabine Schmidt an einem Beispiel deutlich: Die Leiterin des Herz-Jesu-Kindergartens berichtet von einer Mutter, die ihr Kind jeden Morgen mit einem Hamburger als Verpflegung in die Gruppe brachte. „Wir haben ihr einen Zettel mitgegeben, dass wir es schöner fänden, wenn sie ein Brot einpacken könnte.“ Am kommenden Tag kam die Frau stolz und freudestrahlend in die Kita. „Sie hatte ihrem Kind einen ganzen Brotlaib in den Rucksack gesteckt.“

 

Sensible religiöse Fragen

 

Das fehlende Wissen hört nicht beim Alltäglichen auf. Gerade in religiösen Fragen braucht es viel Sensibilität bei der Verständigung. „Es geht nicht, dass wir allen Kindern das Kreuzzeichen beibringen oder das Vater-Unser auswendig lernen“, sagt Schreckenberg. „Das kann nicht das Ziel sein.“ Der Transport grundsätzlicher religiöser Werte ist für die Erzieher wichtiger geworden. Gelegenheiten dafür gibt es jede Menge, unabhängig von Kultur und Religion. „Jedes Kind hat Lebensfragen, auf die der Glaube Antworten gibt – und die wollen wir mit unserem christlichen Hintergrund ernst nehmen.“

Glaubensrunde in der Kita Herz-Jesu in Hamm
Offene Gebetshaltung bei der Glaubensrunde in der Kita Herz-Jesu. | Foto: Michael Bönte

Diese Einstellung bekam 2018 durch die Teilnahme des Kindergartens am Projekt „Kita – Lebensort des Glaubens“ Nahrung. Den „entscheidenden Wechsel in unserer Blickrichtung dabei“ beschreibt Sabine Schmidt so: „Wir haben nicht mehr gefragt, was wir wollen, sondern was die Kinder und ihre Familien brauchen.“ Zusammen mit einer weiteren, entscheidenden Frage: „Was dürfen wir überhaupt?“ Denn Veränderungen der religiösen Angebote waren zuvor nur mit sehr spitzen Fingern angegangen worden. Den Kindergartengottesdienst in der großen benachbarten Pfarrkirche etwa hatte niemand als Programmpunkt angezweifelt. „Von der großen Kirche, der Liturgie und den Gebeten waren ein Großteil der Kinder aber überfordert“, sagt Schmidt.

 

Ein neues Selbstbewusstsein ist entstanden

 

Um Raum für neue Ideen der elf Erzieherinnen zu schaffen waren zwei wichtige Schritte notwendig, sagt Schreckenberg. „Wir wollten uns unseres eigenen Glaubens noch einmal bewusst werden.“ Und: „Das Gespräch mit den pastoralen Mitarbeitern wurde gesucht, um Veränderungen und Zusammenarbeit zu besprechen.“ Das Ergebnis war ein neues Selbstbewusstsein, mit dem das Kindergarten-Team an die Gestaltung religiöser Angebote ging. So wurde etwa aus dem alljährlichen Krippenspiel im vergangenen Jahr ein Adventsspaziergang. „Denn von den muslimischen Familien konnte keiner etwas mit der Aufführung anfangen.“ Also ging es in die Kirche, wo spielerisch die Krippe erklärt wurde. Das Interesse der Kinder und Eltern war groß, es gab viele Frage und viele Antworten.

Glaubenstruhe in der Kita Herz-Jesu
Die Glaubenstruhe in der Kita Herz-Jesu: Hier gibt es Spielmaterial, das zum Glaubensthema der Woche passe. | Foto: Michael Bönte

Nach und nach entwickelten sich weitere Formen, die religiöse Werte zurückhaltend vermitteln sollten. So gibt es mittlerweile regelmäßige Glaubensrunden, zu denen etwa zehn Kinder zusammenkommen. Es wird wie in den bisherigen Gottesdiensten weiterhin ein biblisches Thema angesprochen, gesungen und gebetet. Aber so, dass sich jedes Kind darin wiederfinden kann. Mit „Freundschaft“ steht etwa ein Thema im Mittelpunkt, das für alle eine Rolle spielt: Die Freunde der Kinder kommen zur Sprache, aber auch die Freunde Jesu, Petrus und Andreas. Ihr gemeinsamer Fischfang auf dem See Genezareth wird mit kleinen Requisiten nachgespielt. Das Gebet am Ende geschieht nicht mit gefalteten Händen, sondern in einer offenen Gebetshaltung.

 

Keine Verleumdung, aber eine andere Haltung

 

Kein Kreuzzeichen, kein Vaterunser – verleugnet man damit nicht das christliche Fundament dieses Angebots? „Wir verzichten nicht darauf, wir nehmen dafür aber eine andere Haltung ein“, sagt Schreckenberg. „Das Gebet ist nicht abhängig vom Kreuzzeichen und festen Worten.“ Die neue Haltung aber schaffe eine Situation, in der alle Kinder ihren Glauben erleben könnten. „Die Schnittmenge sind dann Werte wie Nächstenliebe und Toleranz – diese Schnittmenge bei uns ist Gott.“

Kita - Lebensort des Glaubens
Nach fünf Jahren ist aus dem Projekt „Kita – Lebensort des Glaubens“ im Bistum Münster Anfang 2019 ein festes Aktionsprogramm geworden. Entwickelt vom Diözesancaritasverband und der Abteilung Seelsorge im bischöflichen Generalvikariat in Münster zielt es darauf ab, dem religiösen Leben in den Kindertagesstätten mit ihren aktuellen Herausforderungen einen neuen Rahmen zu geben.
Der Zusammenarbeit der Seelsorgeteams mit den Erzieherinnen wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 660 der 735 Kindergärten im Bistum sind in Trägerschaft von Pfarreien. 150 von Ihnen nahmen an der Projektphase teil, derzeit haben sich weitere 64 Einrichtungen angemeldet. Viele weitere Kitas im Bistum haben zusätzlich durch Fortbildungen und in Beratungen ihre Konzepte weiterentwickelt. Zur Bewerbung für die intensive Betreuung als fester Standort wird immer zum Jahresende eingeladen.
www.kita-lebensort-des-glaubens.de

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