Zum 75. Todestag der Heiligen

Wie sich Edith Stein in Münster für den Karmel entschied

Am 9. August 1942 wurde Edith Stein im KZ Auschwitz vergast. Zehn Jahre zuvor erlebte die konvertierte Jüdin in Münster eine entscheidende Zeit: Sie verliert ihre Stellung als Dozentin und entscheidet sich für den Eintritt in den Kölner Karmel.

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Am 9. August 1942 wurde Edith Stein im Konzentrationslager Auschwitz vergast. Zehn Jahre zuvor erlebte die konvertierte Jüdin in Münster eine entscheidende Zeit: Sie verliert ihre Stellung als Dozentin, warnt Papst Pius XII. bereits vor den Nationalsozialisten und entscheidet sich für den Eintritt in den Kölner Karmel. Elisabeth Lammers beschreibt den Entschluss zum Klostereintritt:

„Als ich am Neujahrstage 1922 die heilige Taufe empfing, dachte ich, dass dies nur die Vorbereitung zum Eintritt in den Orden sei. Aber als ich einige Monate nach meiner Taufe zum ersten Mal meiner lieben Mutter gegenüberstand, wurde mir klar, dass sie dem zweiten Schlag vorläufig nicht gewachsen sei. (...) Ich musste in Geduld warten. So wurde mir auch von meinen geistlichen Beratern wieder versichert.“

Die geistlichen Berater, zuerst der Generalvikar von Speyer, Joseph Schwind, und später Erzabt Raphael Walzer, wollten, dass diese hochbegabte Frau mit ihren Geistesgaben für Christus und die Kirche in der Welt wirke. Mit großem Einsatz hat sie diese Aufgabe in der Schule in Speyer durch viele Vorträge und Veröffentlichungen zur katholischen Pädagogik und in ihren Vorlesungen in Münster verantwortungsvoll und überzeugend wahrgenommen.

 

Entscheidung für den Karmel

 

„Aber nun waren ja die hemmenden Mauern eingestürzt. Meine Wirksamkeit war am Ende. (...) Am 30. April (1933) - es war der Sonntag vom Guten Hirten - wurde in der Ludgerikirche das Fest des heiligen Ludgerus mit 13-stündigem Gebet gefeiert. Am späten Nachmittag ging ich dorthin und sagte mir: Ich gehe nicht wieder fort, ehe ich Klarheit habe, ob ich jetzt in den Karmel gehen darf. Als der Schlusssegen gegeben war, hatte ich das Jawort des Guten Hirten.“

Zwölf Jahre lang hat sie christliches Leben in der Welt kennen gelernt und überzeugt als Christin gelebt. Wegen ihrer jüdischen Herkunft verliert sie als erste aus ihrer Familie ihre Existenz. An ihrem Schicksal zeigt sich deutlich, dass der Hass der Nationalsozialisten der jüdischen Rasse gilt. Ob Juden wie beispielsweise Edith Stein Christen geworden sind, ist völlig gleichgültig. Das religiöse Anliegen interessiert die Nationalsozialisten nicht. Ihr Ziel ist es, das jüdische Volk zu vernichten. Von Anfang an erkennt Edith Stein die Gefährlichkeit dieser Bewegung.

 

Verlust der Existenz in Münster

 

Auf den Rat ihrer geistlichen Freunde ist sie in der Welt geblieben und nicht unmittelbar nach der Taufe in ein Karmelkloster eingetreten. In Münster erleidet sie gleich zu Beginn der Schreckensherrschaft das Schicksal ihres Volkes: Verlust der Existenz und Ausgeschlossensein aus der Gesellschaft. Sie ist bereit, das Schicksal ihres Volkes als ihr eigenes anzunehmen: „Ich war fast erleichtert, dass ich nun wirklich von dem allgemeinen Los mitbetroffen war.“

In der Stunde der Not bleibt Edith Stein ihrem Volk verbunden. Im Karmel will sie in Gebet und Opfer das Leid der Juden vor Gott tragen.

Edith Stein ist an „Jom Kippur“, dem großen Versöhnungsfest des jüdischen Volkes, geboren. Ihre Mutter hat die Geburt an diesem hohen Festtag stets als besondere Auszeichnung für ihre Tochter angesehen. In anderer Weise, als die Mutter es erwartet hat, sollte sich diese Auszeichnung erfüllen. Edith Stein hat ein Zeichen der Versöhnung gesetzt zwischen Juden und Christen und hat das Leid ihres Volkes als Teil des Kreuzes Christi mit dem Herrn getragen. Sie hat die Gebete des Alten und des Neuen Bundes gebetet und Judentum und Christentum miteinander versöhnt.

 

Vorstellung beim Orden

 

Edith Stein ist für das Wochenende am 18./19. Juni nach Köln eingeladen, um sich den Kapitularinnen - den stimmberechtigten Mitgliedern des Ordens - vorzustellen. Vorher muss sie dem Klosterkommissar, Prälat Dr. Lenne, ihr Anliegen vortragen. In dem fünf Jahre später von ihr verfassten Bericht und der sehr zurückhaltenden Beschreibung des Gespräches spürt man noch immer, wie demütigend sie behandelt wurde: Sie war angemeldet.

„Auf dem Weg zu Herrn Dr. Lenne wurde ich vom Gewitter überrascht und kam ganz durchnässt an. Ich musste eine Stunde warten, ehe er sich zeigte. Nach der Begrüßung strich er sich mit der Hand über die Stirn und sagte: 'Was war es doch, was du von mir wolltest? Ich habe es ganz vergessen.' Ich antwortete, ich sei Postulantin für den Karmel und bei ihm angemeldet. Er war nun im Bilde und hörte auf, mich zu duzen. Später wurde mir klar, dass er mich damit auf die Probe stellen wollte. Ich hatte es hinuntergeschluckt, ohne mit der Wimper zu zucken.“

Buchtipp:
Elisabeth Lammers: „Als die Zukunft noch offen war: Edith Stein - das entscheidende Jahr in Münster“, 224 Seiten, 4,80 Euro, Dialogverlag Münster, ISBN 978-3-933144-65-2

„Das war eine Heldentat“, hatte Professor Husserl in Göttingen einst der jungen Studentin bescheinigt, als sie ihm bei der ersten Vorstellung von ihrem Studium der „logischen Untersuchungen“ berichtete. Es war auch wie eine Heldentat, ohne mit der Wimper zu zucken eine derartige Behandlung hinunterzuschlucken.

 

Die Kapitularinnen

 

Sie stellt noch einmal ihr Anliegen vor; er nennt ihr seine Einwände, versichert ihr aber, dass er sich gütlich mit den Schwestern zu einigen pflege.

Zum Glück verläuft die Vorstellung bei den Kapitularinnen freundlich. Sie darf von der Liturgie in Beuron erzählen und muss, wie vorher angekündigt, ein Lied vorsingen. Die Ankündigung hatte sie als Scherz aufgefasst, so dass sie ein wenig zaghaft singt „Segne Du, Maria“. „Hinterher sagte ich, es sei mir schwerer gefallen, als vor 1.000 Menschen zu sprechen. Wie ich später hörte, verstanden das die Schwestern nicht, weil sie noch nichts von meiner Rednertätigkeit wussten.“ Ohne endgültige Entscheidung muss sie wieder nach Münster zurückfahren, da die Abstimmung erst am nächsten Morgen erfolgen kann.

 

Zustimmung aus Köln

 

Die Kapitularinnen versammeln sich am 19. Juni früh um 8 Uhr und stimmen der Aufnahme Edith Steins in den Karmel zu. Noch am gleichen Tag erhält Edith Stein das zugesagte Telegramm: „Freudige Zustimmung. Gruß Karmel.“ „Ich las es und ging in die Kapelle, um zu danken.“

Im letzten Brief aus Münster vom 21. Juni 1933 an ihre französischen Freunde Raissa und Jacques Maritain erinnert Edith Stein an ihren Besuch im September 1932 anlässlich des Philosophenkongresses in Jusivy: „Ich habe meine Stelle im Pädagogischen Institut nicht mehr und werde Münster in einigen Wochen verlassen. Aber machen Sie sich keine Sorge um mich: Diligentibus Deum omnia cooperantur in bonum. Dennoch - ich bin sehr dankbar für Ihre Hilfe im Gebet.“ Mit der Zusage des heiligen Paulus: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“ verabschiedet sich Edith Stein.

 

Stiller Abschied von Münster

 

Nun muss bis zum 13. Juli der Haushalt aufgelöst sein; dieser Termin wurde beim letzten Gespräch im Karmel vereinbart. Der größte Teil der Arbeit besteht im Packen der Bücher. Sechs große Bücherkisten werden auf den Weg nach Köln gebracht: eine Aussteuer besonderer Art.

Der Abschied von Münster ist sehr still. Es ist nicht bekannt, ob und bei welchen Freunden sich Edith Stein persönlich verabschiedet hat. „In Münster wussten nur wenige Menschen, wohin ich ging. Ich wollte es möglichst geheim halten, solange meine Angehörigen nicht unterrichtet waren. Zu den wenigen gehörte die Oberin des Marianums. Ihr hatte ich es gleich anvertraut, nachdem das Telegramm gekommen war. Sie hatte sich sehr um mich gesorgt und war nun ganz glücklich. Im Musikzimmer wurde kurz vor meiner Abreise ein Abschiedsabend veranstaltet. Die Studentinnen hatten ihn mit großer Liebe vorbereitet, auch die Klosterfrauen nahmen daran teil. Ich dankte ihnen mit ein paar Worten und sagte ihnen, wenn sie später hören würden, wo ich sei, würden sie sich mit mir freuen.

 

„Dankbare Erinnerung“ an Münster und das Münsterland

 

Die Schwestern des Hauses gaben mir ein Reliquienkreuz mit, das ihnen der verstorbene Bischof Johannes Poggenburg geschenkt hatte. Schwester Oberin brachte es mir auf einer Patene mit Rosen bedeckt. Fünf Studentinnen und die Bibliothekarin des Instituts brachten mich zur Bahn. Große Rosensträuße konnte ich der Karmelkönigin zu ihrem Fest mitbringen. Vor weniger als eineinhalb Jahren war ich fremd nach Münster gekommen. Abgesehen von meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich in klösterlicher Zurückgezogenheit gelebt. Trotzdem ließ ich jetzt einen großen Kreis von Menschen zurück, die in Liebe und Treue zu mir standen. Ich habe die schöne alte Stadt und das ganze Münsterland in liebevoller und dankbarer Erinnerung behalten.“

Als Abschiedsgeschenk von Münster ein Kreuz! Nach einigen Umwegen infolge der Kriegswirren befindet sich das Kreuz wieder im Karmel zu Köln. Zur Seligsprechung am 1. Mai 1987 in Köln ließ es Joseph Kardinal Höffner als Vortragekreuz fassen. Bei feierlichen Anlässen steht dieses Kreuz auf dem Altar der Klosterkirche.

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