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Wenn die Kirche die Menschen im 21. Jahrhundert mit der Botschaft der Liebe und Barmherzigkeit erreichen will, muss sie sich mit den Menschen von heute beschäftigen und ihnen Angebote machen – den Alten wie den Jungen. Sagt die Journalistin Maria Kessing aus Ahlen in ihrem Gast-Kommentar.
Die Kirchen werden immer leerer. Nicht nur als Folge der Corona-Pandemie, sondern auch und vor allem wegen des Missbrauchsskandals und Reformstaus in der katholischen Kirche. Im vergangenen Jahr sind so viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten wie nie zuvor. Laut Deutscher Bischofskonferenz (DBK) kehrten 2021 deutschlandweit 359.338 Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken – etwa 86.000 mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Erstmals sind die Mitglieder der beiden Kirchen in der Minderheit.
In dem Sonntags-Gottesdienst, den ich regemäßig besuche, schwankt die Zahl der Teilnehmer zwischen 15 und wenn es hochkommt 30. Und ich bin mit 62 Jahren eine der Jüngsten. Für mich sind die verbliebenen Kirchgänger die Dinosaurier des 21. Jahrhunderts. Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der „Schäfchen“ abnimmt und auch die Hirten immer weniger werden. Sie sterben aus. Für ganz viele Menschen ist die Kirche nur noch ein Dienstleistungsunternehmen für schöne Trauungen, Erstkommunionfeiern und Beerdigungen. Die Schwelle über die Kirchentür ist riesig geworden.
Fitnessstudio statt Frühmesse
Die Autorin
Maria Kessing, 62 Jahre, Katholikin, 30 Jahre Redaktionsleitung für die Tageszeitung „Die Glocke“ in Ahlen. Jetzt freie Journalistin auch für „Kirche-und-Leben.de“ und Moderatorin.
Für viele gibt es Wichtigeres als Kirche und Religion, man hat zum Beispiel während der Gottesdienstzeiten schlichtweg Besseres zu tun. Zur Freizeitgestaltung ziehen immer mehr Menschen am Sonntagvormittag den Weg ins Fitness-Studio oder auf den Sportplatz dem Kirchgang vor. Je mehr die Menschen auf Selbstbestimmung, Lebensgenuss und Selbstverwirklichung Wert legen, desto distanzierter stehen sie den Kirchen gegenüber.
Wenn die Kirche die Menschen im 21. Jahrhundert mit der Botschaft der Liebe und Barmherzigkeit erreichen will, muss sie sich mit den Menschen von heute beschäftigen und ihnen Angebote machen – den Alten wie den Jungen. Pastor ist lateinisch und bedeutet übersetzt: Hirte. Ein guter Hirte führt seine Schafe auf gute saftige Weiden, versorgt und beschützt sie. Er sucht nach den verirrten, sorgt sich um die kranken und er trägt die schwachen Schafe nach Hause.
Wir brauchen Gemeinden, in denen Menschen sich aufgehoben fühlen, wo sie vertrauen können und Hilfe zum Leben finden. Die Kirche wird angesichts der vielen Herausforderungen in unserer Gesellschaft dringender denn je gebraucht. Sie kann viel Gutes bewirken. Die Hirten – und gerne auch Hirtinnen – müssen sich vor allem um die Seele ihrer Herde kümmern.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.