Mitglied des Ensembles der „Stunksitzung“ gibt Antwort

Wo ist die Grenze bei Witzen über Kirche und Religion?

Kirchliche Repräsentanten und ihre Meinungsäußerungen stehen oft im Fokus der Kölner „Stunksitzung“. Welche Grenzen die Schauspieler und Regisseure der kabarettistischen Karnevalssitzung einhalten.

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Es geht gut los. Die Kirche macht den Aufschlag in der diesjährigen Kölner Stunksitzung: Karl Marx und Friedrich Engels stehen auf einem Podest der Bühne im „E-Werk“ und suchen mit Ferngläsern nach populären Personen, die sich für die Interessen der Arbeiter einsetzen. Viele bekannte Gesichter laufen an ihnen vorbei. Zum Beispiel der amerikanische Präsident Donald Trump, der, so behauptet er jedenfalls, ein Herz für amerikanische Arbeiter hat. Und natürlich darf auch Sahra Wagenknecht nicht fehlen, die mit scharfer Intelligenz die Rechte der proletarischen Masse medienwirksam einfordert.

Doch Marx und Engels sind nicht zufrieden. Immer wieder schütteln sie die Köpfe. Am Schluss läuft Papst Franziskus am Podium vorbei. Die beiden Kommunisten sind begeistert. Der Papst ist ein Mann nach dem Geschmack der beiden. Doch bei aller Begeisterung sind sie sehr irritiert über die Veränderung in der Kirche.

 

Kardinal Meisner war oft ein Ziel

 

So gut kommt die Kirche selten während der Stunksitzung weg. In der Vergangenheit wurden Vertreter des kirchlichen Bodenpersonals und ihre Äußerungen häufig aufgespießt. So häufig, dass für eingefleischte Katholiken die Grenzen des guten Geschmacks übertreten wurden.

„Kardinal Meisner ist ja nicht mehr unter den Lebenden, und der neue Erzbischof Woelki gibt wenig Anlass zur Auseinandersetzung“, sagt Winni Rau. Der 58-Jährige ist nicht nur Pressesprecher der Stunksitzung, sondern als Keyboarder und Akkordeonspieler Mitglied der Band „Köbes Underground“. Rau gehört zum Urgestein der Stunksitzung und ist seit der ersten Sitzung 1984 dabei. Er tritt nicht nur als Musiker auf, sondern begeistert das Publikum in der Session in seiner Rolle als Bauer, eine der Traditionsfiguren im Kölner Dreigestirn.

 

Kreuz mit falschem Schild

 

Rau erinnert sich noch gut an die Jahre, in denen die Auseinandersetzungen mit kirchlichen Repräsentanten mitunter sehr heftig waren. So gab es häufig Diskussionen beim Westdeutschen Rundfunk (WDR). Immer wieder wurde darüber gestritten, welche Szenen man schneiden müsse und welche man senden dürfe. Nach Ansicht von Winni Rau machte sich dabei der verlängerte Arm der Kirche im Rundfunkrat bemerkbar.

Gut erinnert sich Rau an die Szene, in der in einer Autobahnkapelle über dem Kreuz nicht das Schild „INRI“, sondern „Tünnes“ hing. Da kochten kirchliche Vertreter, und auch für manche Fans der Stunksitzung war damals die Grenze des guten Geschmacks übertreten. Bei der Staatsanwaltschaft wurde Strafanzeige wegen Verletzung der religiösen Gefühle gestellt.

 

Keine Schmerzgrenze

 

Nach Ansicht von Rau wurde diese Anzeige aus Westfalen lanciert. „Morgens um sechs Uhr lief die Polizei im Kölner E-Werk auf und beschlagnahmte das Tünnes-Schild“, berichtet Rau. Gegen den Regisseur wurde Anklage erhoben. Es kam zum Prozess, doch der Regisseur und damit die Stunksitzung wurden frei gesprochen. „Die Freiheit der Kunst wurde damals höher gewertet“, sagt Rau.

Auf die Frage, ob es eine Schmerzgrenze gebe, wenn es um Kirche und Religion gehe, antwortet Rau mit einem klaren „Nein“. Das liege am Selbstverständnis der Gruppe, die die Sitzung vorbereite. „Wir machen vor allem Kabarett“, sagt Rau. Der erste Präsident der Sitzung, Jürgen Becker, habe es trefflich beschrieben: Wer ins Bordell gehe, beschwere sich ja auch nicht darüber, dass er nackte Frauen sehe.

 

Missstände aufspießen

 

Dem Team, das etwa vier Monate vor der Session die Sitzung thematisch konzipiere, gehe es darum, politische und gesellschaftliche Missstände aufzuspießen. „Da macht die Kirche keine Ausnahme. Wir stehen immer auf der Seite der Leidtragenden“, sagt Rau.

Zum Beispiel, wenn es um das Thema Missbrauch gehe. Rau erzählt, dass man damals Bischof Mixa in einer Nummer aufs Korn genommen habe. „Das hat wütende Proteste hervorgerufen, bis hin zu persönlichen Drohungen.“ Für Rau ist das eine Bestätigung. „Wir wissen, wo es weh tut“, sagt er.

Immer wieder habe man auch das Thema Homosexualität und Kirche aufgegriffen und den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger und seinen Amtskollegen Joachim Meisner in einer homoerotischen Szene dargestellt. Beim WDR gab es Bedenken. Der Redakteur entschied, nur die bedenklichen Sätze mit einem Piepton zu unterlegen. Seine Karriere war nach der Erinnerung von Rau damit allerdings zu Ende.

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