Von Billig-Jeans bis Seitensprung

Woher weiß mein Gewissen, was richtig ist?

Vom „sanften Ruhekissen“ bis zur schweren Last: Irgendetwas tief drinnen weiß sehr genau, was richtig und was falsch ist. Hat das mit Gott zu tun?

Anzeige

Vom sanften Ruhekissen bis zur schweren Last: Irgendetwas tief drinnen weiß sehr genau, was richtig und was falsch ist. Hat das mit Gott zu tun?

Eine Jeans für zehn Euro, eine Pomelo, diese Kultfrucht aus China, für 1,59 Euro, Daunenbettwäsche von lebend gerupften Gänsen – darf man da guten Gewissens zugreifen? Oder wie sieht es hiermit aus: Muss ich für die pflegebedürftige Mutter meinen Beruf aufgeben – oder darf ich sie ins Heim geben? Ein Küsschen für die attraktive Kollegin – ist das noch so gerade in Ordnung oder schon ehelicher Treuebruch?

 

Abschiebung, Populismus, Sexualmoral

 

Die Situationen ließen sich beliebig fortsetzen – von kleinen Schummeleien bei der Steuererklärung über die „private Hilfe“ des befreundeten Handwerkers bis zu den großen Themen, die eine ganze Gesellschaft betreffen: Abschiebung von Flüchtlingen, politischer Populismus, Managergehälter, Sterbehilfe, Genforschung,  ... Und was ist mit den kirchlichen Gewissensfragen, von Sexualmoral und Sonntagspflicht, immerhin nach wie vor ein „Kirchengesetz“, bis zum freitäglichen Fastengebot?

Wie sieht es mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten als Ordnungsgröße aus? Denen gemäß wäre die kleine, abendliche Schwarzarbeit womöglich längst legitim – der Malerbetrieb um die Ecke muss dennoch dicht machen, weil die Aufträge ausbleiben. Und wie ist es um Bibel und Kirche als Maßstab für Gewissensentscheidungen bestellt? Die Zehn Gebote werden allgemein und auch außerhalb der Kirche anerkannt – und doch sind einer Umfrage zufolge rund ein Drittel der Deutschen für die Todesstrafe.

 

Mehr als Bauchgefühl und Intuition

 

Also, ganz grundsätzlich: Was ist überhaupt das Gewissen? Auf jeden Fall mehr als das, was seit einiger Zeit inflationär „Bauchgefühl“ genannt wird. Und etwas anderes als Intuition ist es auch.

In den Urtexten des Alten Testaments und der Evangelien gibt es das Wort „Gewissen“ überhaupt nicht. Spannenderweise wird dort aber das, was wir heute darunter verstehen, in den inneren Organen des Menschen verortet. In den Evangelien stehen dann eher Herz und Auge für diese Dimension des innersten Kerns des Menschen, und erst in den hinteren Teilen des Neuen Testaments, bei Paulus, ist konkreter vom Gewissen die Rede.

 

„Verborgenste Mitte“

 

Im Dezember 1965 hat das Zweite Vatikanische Konzil das Gewissen tatsächlich als oberste Instanz menschlicher Entscheidungen definiert. Und ich finde, mit sehr eindrucksvollen Worten: Das Gewissen sei nämlich „die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem Innersten zu hören ist“. (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Kapitel 16) Wer sich also schwer tut damit, an Gott zu glauben oder sich vorzustellen, wie er ihn erfahren kann – dem sei ein waches Gehör für diese innerste Stimme empfohlen.

Das alles aber setzt eine echte „Gewissensbildung“ voraus – durch Erziehung, Erfahrung, Auseinandersetzung. Das, sagt sogar der Katechismus der katholischen Kirche, sei „eine lebenslange Aufgabe“. Und Gewissenserforschung ist nicht nur in der Fastenzeit eine empfehlenswerte Angelegenheit, weil sie klärt, ob ich aufrecht vor Gott, meinen Mitmenschen und mir selber stehen kann.