„Bild des Papstes muss womöglich vielschichtiger gezeichnet werden“

Wolf: Tausende Juden schrieben Pius XII. – viele bekamen Hilfe

  • Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat in Vatikanarchiven rund 15.000 Bittschriften von Juden entdeckt, die sich wegen ihrer Verfolgung durch die Nazis hilfesuchend an Papst Pius XII. wandten.
  • Der Heilige Stuhl habe, wann immer möglich, auf die Hilferufe reagiert, so Wolf.
  • Er erwartet, dass nach Ende der Archiv-Forschungen das Bild des Papstes vielschichtiger gezeichnet werden muss.

Anzeige

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster hat in den Vatikanarchiven rund 15.000 Bittschriften von Juden aus ganz Europa entdeckt, die sich wegen ihrer Verfolgung durch die Nationalsozialisten hilfesuchend an Papst Pius XII. wandten. „Diese Briefe sind eindrucksvolle Egodokumente, erschütternde Zeugnisse der Verfolgung, der Not und des Schreckens“, sagte Wolf der Zeitschrift „Herder-Korrespondenz“.

Der Heilige Stuhl habe, wann immer möglich, auf die Hilferufe reagiert, sagte Wolf - etwa mit „Geld, Essen oder einem Unterschlupf“. Auch bei Anfragen nach einem Visum oder Geld für eine Schiffspassage, um der Deportation in die Vernichtungslager zu entkommen, habe der Papst manchmal helfen können. Die Quellen zeigten, dass Pius XII. „nicht wenige“ Bittschreiben selbst gelesen und dann eine Entscheidung zur Hilfe getroffen habe.

 

Noch zu früh für grundsätzliche Neubewertung

 

Ausführlich geht Wolf auf Bitten einer Gruppe Juden ein, die aus Portugal nach Brasilien fliehen konnte. Hier habe sich der Papst selbst für Visa eingesetzt. Der Nuntius in Portugal habe die Gruppe, darunter Kinder, zum Hafen in Lissabon begleitet, von wo aus sie nach Rio de Janeiro fliehen konnten.

Zugleich betont Wolf, es sei noch zu früh für eine Einschätzung, ob das Handeln Pius' XII. in der Zeit des Nationalsozialismus grundsätzlich neu bewertet werden müsse. Er sei aber überzeugt, dass das Bild von Papst Pius XII. vielschichtiger gezeichnet werden müsse, „als es derzeit oft geschieht“.

 

Bittbriefe sollen im Internet veröffentlicht werden

 

Die von einem Historiker-Team unter Leitung von Wolf entdeckten Dokumente liegen in den Archivbereichen zum Pontifikat von Pius XII., die der Vatikan vor einem Jahr für die Forschung öffnete. Die Auswertung und Bewertung der Briefe wie des gesamten, neu zugänglichen Archivmaterials stünden noch am Anfang, so Wolf.

Der Historiker kündigte an, die Bittbriefe online zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Wünschenswert sei, möglichst viele Biografien der Briefeschreiber zu erforschen. Dazu brauche es die Hilfe interessierter Bürger im Sinne von „Citizen Scienceship“, sagte Wolf.

Anzeige