Wie eine Dominikanerin aus dem Rheinland in Lettland wirkt

Zwischen Boxsack und Frauengefängnis: Schwester Hannah-Rita in Riga

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Diaspora – da gelingt Kirche nur mit persönlichem Einsatz, nicht zuletzt von Frauen. In der lettischen Hauptstadt Riga wirkt Schwester Hannah-Rita. Die Dominikanerin von Bethanien, die aus dem Rheinland stammt, hat sich durch die eine oder andere Herausforderung hindurch geboxt.

Gegenüber der Kapelle auf dem Dachboden des katholischen „Hauses der Familie“ in der lettischen Hauptstadt Riga hängt ein Sandsack. Schwester Hannah-Rita greift sich die daneben liegenden Handschuhe: „Ich kann an keinem Sandsack vorübergehen, ohne dagegen zu boxen.“ Als Jugendliche habe sie – neben anderen Sportarten – auch Kampfsport ausprobiert.

Dass die 39-Jährige, die aus Niederkassel-Mondorf zwischen Köln und Bonn stammt, heute den Dominikanerinnen von Bethanien angehört, hat viel mit dem Gedanken der „zweiten Chance“ zu tun, der auch die Geschichte des Ordens prägt. Er wurde 1866 gegründet, um auch Frauen mit belasteter Geschichte – vor allem ehemaligen Gefängnis-Insassinnen – ein Ordensleben zu ermöglichen. Denn im Orden ist nicht mehr ersichtlich, woher jemand kommt.

Gemobbt als Jugendliche

„Gott hat mir eine zweite Chance gegeben“, beschreibt Schwester Hannah-Rita. Als Jugendliche sei sie gemobbt worden, habe sogar über Suizid nachgedacht.

Für den Anlass der Diskriminierung kann sie nichts: „Ich habe etwas anders geformte Augen.“ Eine genetisch bedingte Muskelschwäche verhindert, dass sie ihre Lider ganz hochziehen kann. Deswegen sei sie als Jugendliche oft für eine Asiatin gehalten und verunglimpft wurde: „Das ging so weit, dass mir wildfremde Erwachsene auf der Straße Geld für Sex angeboten haben.“

„Das Leben nicht einfach wegschmeißen“

Der Gedanke kam, „dass es besser wäre, mich würde es nicht geben“. Aber dann erinnerte die Jugendliche sich an ihre Taufe mit 13 Jahren. „Damals habe ich anerkannt, dass ich nicht alleinige Herrin meines Lebens bin. Das heißt, ich darf es nicht einfach wegschmeißen.“

Sie habe erlebt, von Gott angenommen zu sein. Auch deshalb informierte sie sich als Heranwachsende im Internet über Orden. „Ein bisschen verrückt“ sei das gewesen: „Das ist wahrscheinlich eh nichts für mich.“ Aber die Idee blieb, und die Erkenntnis: „Ehe auf Probe – das geht nicht. Aber Kloster auf Probe – das geht.“ Und passte.

Als angehende Ordensfrau erstmals in Lettland

Schwester Hannah-Rita
Schwester Hannah-Rita vor der ältesten Kirche Lettlands. Der heilige Meinhard verließ 1184 das Kloster Segeberg in Holstein, um im Gebiet des Flusses Daugava (Düna) zu missionieren. Auf einer Insel im Fluss nahe Ikskile (Uexküll) errichtete er eine Steinkirche, deren Ruinen erhalten sind. | Foto: Marius Thöne (Bonifatiuswerk)

Nach Lettland kam Schwester Hannah-Rita erstmals als Postulantin. „Es gab eine junge Frau, die zusammen mit mir ausgebildet werden sollte. Die Ordensleitung hielt es für sinnvoll, dass ich ihr Heimatland kennenlerne, Lettland.“ Dort waren die Dominikanerinnen von Bethanien seit 1995 vertreten. Eineinhalb Jahre verbrachten die beiden angehenden Ordensfrauen ab 2004 in dem baltischen Staat, wo 20 Prozent der Menschen katholisch sind – in einigen Landesteilen erheblich weniger.

Danach studierte Schwester Hannah-Rita in Bonn zu Ende, legte ihr Diplom in Theologie ab. „Vor zehn Jahren kam dann der Anruf, ob ich für länger nach Riga gehen möchte“, erinnert sie sich. „Wann?“, habe sie sofort gefragt.

Wo sich die Glaubenspraxis unterscheidet

„Mir gefallen die Wälder unglaublich gut, die bis an den Strand reichen.“ Und die Menschen haben Hannah-Rita beeindruckt: „Wie verbunden sie mit ihrem Land und mit der Natur sind“, auch wenn nicht wenige in ländlichen Gebieten in Armut leben.

Unterschiede zu Deutschland nimmt sie in der Glaubenspraxis wahr. Zum Beispiel sei in Lettland das Rosenkranzgebet beliebt, auch in Gruppen von jungen Leuten: „Das ist etwas Selbstverständliches. Man trifft sich, um miteinander und füreinander zu beten.“

Respekt vor dem Glauben der Älteren

Messdienerinnen seien noch kaum verbreitet. Liberalen Ideen von Kirche stünden eher jüngere Katholiken – nicht zuletzt Frauen – nahe. Viel Respekt gelte aber „den Formen und Ansichten der Älteren, weil diese Menschen den Glauben durch die Unterdrückung der Sowjet-Zeit getragen haben“.

Schwester Hannah-Rita lebt mit zwei weiteren Dominikanerinnen in einem kleinen Kloster am Stadtrand von Riga. Sie spricht inzwischen fließend Lettisch. In der Seelsorge sind die Ordensfrauen – der Geschichte ihres Ordens verpflichtet – auch im einzigen Frauengefängnis des Landes tätig.

Gespräche im Frauengefängnis

Hannah-Rita bietet den Insassinnen Gespräche an, eine Anwältin Rechtsberatung, wieder andere Ehrenamtliche Bewerbungstrainings und lebenspraktische Kurse – von Handarbeit bis zum Fertigen von Deko-Artikeln. Die Angebote gelten als Rehabilitationsmaßnahme, die gesamte Arbeit der Caritas für die Frauen wird vom Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken gefördert.

Gut möglich indes, dass Schwester Hannah-Ritas Zeit in Lettland nach zehn Jahren endet: Das Generalkapitel ihres Ordens im Februar könnte entscheiden, dass sie als Novizenmeisterin nach Deutschland zurückkehrt und angehende Schwestern begleitet.

„Ich habe wohl eine Stärke in der geistlichen Begleitung von Menschen, die auf der Suche sind“, sagt die 39-Jährige. Außerdem: „Zehn Jahre sind der Zeitraum, nach dem man etwas ändern sollte, damit man nicht zu bequem wird.“

Lettland und das Bonifatiuswerk
Die katholische Kirche in Lettland wird vom Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken unterstützt. 2021 förderte es 741 Projekte in Skandinavien, in Lettland, Estland sowie den deutschen Diaspora-Gebieten vor allem im Norden und Osten mit 10,9 Millionen Euro. 246.000 Euro davon gingen an zwölf Projekte in Lettland. Seine Spendenaktion 2022 eröffnet das Bonifatiuswerk am 6. November in Speyer. Die Kollekte in allen katholischen Gottesdiensten wird am 19. und 20. November gehalten. | jjo.

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