Abschlussbericht: Mindestens 19 Opfer

Missbrauchs-Täter Dillinger „lebte Gegenteil dessen, was er predigte“

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Es ist ein verstörendes Fazit: Der Priester Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier habe über Jahrzehnte das Gegenteil“ dessen gelebt, was er gepredigt habe, so Sonderermittler im Abschlussbericht zum Missbrauchskomplex.

Der Missbrauchskomplex um den Priester Edmund Dillinger (1935-2022) aus dem Bistum Trier hat ein größeres Ausmaß als bislang bekannt. Nach Erkenntnissen von Sonderermittlern hat Dillinger mindestens 19 Personen sexuell missbraucht. Die Missbrauchstaten in verschiedenen Schweregraden“ habe er in der Zeit von 1961 bis 2018 begangen, heißt es in dem am Dienstag in Trier vorgestellten vorläufigen Abschlussbericht des ehemaligen Koblenzer Generalstaatsanwalts Jürgen Brauer und des früheren stellvertretenden Leiters der Staatsanwaltschaft Trier, Ingo Hromada. Elf Opfer seien namentlich bekannt.

Zudem seien sehr viele Personen“, deren Zahl nicht annähernd zu beziffern sei, Opfer von sexuell motiviertem Verhalten Dillingers geworden, indem sie in sexualisierten Posen fotografiert wurden, Berührungen in allen Körperregionen ausgesetzt waren oder Annäherungsversuche abwehren mussten“. Die 96-seitige Studie kommt zu dem Schluss, dass Dillinger über Jahrzehnte das Gegenteil dessen vorlebte“, was er predigte.

Unangemessene Reaktionen auf Missbrauchsfälle

Die Verantwortlichen im Bistum Trier“ hätten insbesondere 1964 und 1970 unangemessen auf bekanntgewordene Missbrauchsfälle reagiert und diese vertuscht“, heißt es in dem Bericht weiter. Bischöfe im Bistum Trier seit den 1960er Jahren waren Matthias Wehr (1951-1966), Bernhard Stein (1967-1980), Hermann Josef Spital (1981-2001), Reinhard Marx (2002-2008) und Stephan Ackermannn (seit 2009).

In den Pfarreien, in denen Dillinger als Seelsorger tätig war oder wohnte, sowie in Vereinen, Verbänden und Verbindungen seien Vorfälle totgeschwiegen“ und Hinweisen oder offenen Geheimnissen“ nicht nachgegangen worden, so der Bericht. Zudem habe die frühere Schulleitung des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis Dillinger nicht ausreichend überwacht“; dort war er von 1979 bis 1999 Religionslehrer.

Tausende Fotos gefunden

Brauer und Hromada untersuchen den Komplex im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier (UAK). Dillinger (1935-2022) war Priester in Kirchengemeinden im Saarland und in Rheinland-Pfalz. In seinem Besitz wurden nach seinem Tod tausende Fotos gefunden - darunter laut Staatsanwaltschaft Mainz zehn strafrechtlich relevante jugendpornografische Aufnahmen und zwölf Fotos im Grenzbereich zur Jugendpornografie.

Es ist kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte - trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten“, unterstreicht die UAK. Erst 2012 verbot das Bistum Dillinger, Messen zu feiern und Kontakt zu Jugendlichen zu haben.

„Alle Hinweise wurden weitgehend ignoriert“

Die Tatenlosigkeit und das Wegschauen von kirchlichen Verantwortlichen – was nur als bewusste Vertuschung gewertet werden kann – diente zuvörderst dem Schutz des guten Namens der Kirche und des Bistums“, betont die UAK: Alle Hinweise auf die Taten Dillingers wurden weitgehend ignoriert.“

Mit großer Verärgerung“ beklagen die Studienautoren, dass die saarländischen Ermittlungsbehörden“ mit wesentlichen Beweismitteln verantwortungslos umgegangen seien und sie nahezu vollständig vernichtet haben, bevor eine Einsichtnahme erfolgen konnte“.

Wichtige Fragen bleiben offen

Brauer und Hromada weisen darauf hin, dass sie ihre Recherchen in Deutschland nun abgeschlossen hätten. Sie befragten mehr als 50 Zeitzeugen und betroffene Personen und werteten Akten des Bistums Triers und beteiligter Staatsanwaltschaften aus. Die UAK kündigte an, dass Brauer und Hromada sich bereit erklärt hätten, ihre Tätigkeit um ein weiteres Jahr zu verlängern. Es seien wichtige Fragen offengeblieben.

Dillinger, der die Hilfsorganisation CV-Afrika-Hilfe gegründet hatte, war auch in vielen afrikanischen Ländern unterwegs. Mögliche Erkenntnisse aus noch laufenden Erkundigungen in afrikanischen Ländern sollen zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben werden“, so die Studienautoren. Es sei enttäuschend, dass verschiedene Stellen, so zum Beispiel das Auswärtige Amt, Bitten um Auskunft oder Unterstützung völlig ignoriert“ hätten.

Der letzte uns bekannt gewordene Sachverhalt“ trug sich laut den Sonderermittlern 2018 im Fuldaer Priesterseminar zu, wo Dillinger zu Gast war. Ein rumänischer Student schilderte demnach, dass der Geistliche versucht habe, ihn zu küssen. Dillinger bestritt den Sachverhalt. Die Angaben des Studenten sind glaubwürdig“, betonen die Sonderermittler.

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