Das „Eigentliche“ ist das Vertrauen auf Gott trotz des Leids, im mühsamen Annehmen des Leids. Wenn Gott in Jesus selbst ein Leidender wird, dann nimmt er die Schöpfung in ihrem So-Sein an. Zur Schöpfung gehört die Erschöpfung. Anna Katharina hat gar nicht erst versucht, dem Leid davonzulaufen, das uns mühelos folgt wie ein Schatten. Aber sie hat sich mit ihrem Leidensschatten in den Schatten des Kreuzesbaumes gestellt.
Wie deuten Sie das Leiden, das uns Menschen gegeben ist? Inwiefern ist Anna Katharina da Hilfe?
Leid hat keinen Selbstzweck. Wer allerdings das Leid ausblendet, halbiert das wahre Leben, ist halbstark, also ganz schwach. Von jetzt auf gleich kann der „unheilbar Gesunde“ (Adorno) todkrank sein. Für mich geht von Anna Katharina die Ermutigung aus, auf das Leid mit Empathie zu antworten. Und sie strahlt etwas aus von der Wandlungskraft des Leids. Sie reift zu einem Menschen, der mutig Abschied nimmt von diesem Leben, nicht lebensmüde, sondern lebenshungrig, weil sie sich ausstreckt nach dem, was Gott für uns bereithält. So gesehen ist Anna Katharina eine Sterbenshilfe im Leben und eine Lebenshilfe im Sterben.
Warum ist das Leiden im Christentum und seine Erinnerung daran so wichtig?
Dem Christentum wird nicht zu Unrecht eine gewisse Leidverliebtheit nachgesagt. Die ist falsch. Aber ein Gesundheitswahn, eine Effizienz-Gepoltheit, letztlich die Todesangst ist ebenso fatal. Leidfreies Leben gibt es nicht. Statt das Leid zu verdrängen, tun wir gut daran, Solidarität und Mitgefühl zu üben, ja die Leidensarbeit der Kranken und Sterbenden, ihre Geduld und Tapferkeit zu schätzen. Mein krebskranker Vater hat mir gezeigt, wie Sterben geht. Dafür bin ich (ihm) dankbar und hoffe, einmal auch so loslassen zu können. Zu allen Zeiten gab es Menschen, die wie Jesus mit der Warum-Frage auf den Lippen doch ihrem Gott vertrauen konnten, im Leben und im Sterben.
Bevor die Christen an Ostern das Fest der Auferstehung feiern, gedenken sie der Passion Jesu. Der Leidensweg ist von Anna Katharina Emmerick in ihren Visionen gedeutet und von Clemens Brentano in seinem Werk „Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi“ festgehalten worden. Wie kann die Selige ein Vorbild sein, das Geheimnis des Glaubens, die Erlösung zu verstehen?
Dass Anna Katharina bis heute eine anziehende Wirkung hat, liegt nicht zuletzt daran, dass Erlösung für sie Realität war, persönlich erfahren. Sie wusste sich von Gott geliebt. So strahlte sie etwas von der Gewissheit aus, dass Gott sie niemals fallen lässt, schon gar nicht im Tod. Die Gewissheit um ihr Erlöstsein hat sie befreit von der Angst, sich selbst absichern zu müssen. Auch war sie frei von der Sorge, sich durch eigene Leistung den Himmel verdienen zu müssen. So konnte sie in einem nicht einfachen, leidvollen Leben doch den Anbruch des Reiches Gottes erfahren, ja selbst daran mitwirken, indem sie lebensdienlich und heilsam wirkte. Und sie bekam Geschmack und Vorfreude auf das, was als endgültige Zukunft auf sie zukommt. Das meint Erlösung.
Selige Anna Katharina Emmerick
Die Kötterstochter Anna Katharina Emmerick wurde am 8. September 1774 in der Bauerschaft Flamschen bei Coesfeld geboren. Bereits in früher Kindheit hat sie Visionen und Träume vom Leben Christi. 1802 trat sie in das Augustinerinnen-Kloster Agnetenberg in Dülmen ein. Später wurden zum ersten Mal Wundmale auf ihrem Körper sichtbar: auf der Brust zeigte sich ein Doppelkreuz, ganz ähnlich dem von Anna Katharina verehrten „Coesfelder Kreuz“, später erschienen „Stigmata“ genannte Zeichen auch an den Händen und auf der Stirn. Der Dichter Clemens Brentano zeigte sich tief beeindruckt von der Frömmigkeit Anna Katharina Emmericks und begann, ihre Visionen und Berichte aufzuzeichnen. Anna Katharina Emmerick starb am 9. Februar 1824 und wurde auf dem Stadtfriedhof von Dülmen beigesetzt. Seit 1975 ruhen ihre Gebeine in der Heilig-Kreuz-Kirche in Dülmen. Am 3. Oktober 2004 wurde sie von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.