8.000 Zuschauer in Kassel

Frutti di Mare zum letzten Abendmahl: Die „Passion“ bei RTL

Anzeige

Der Privatsender RTL hat zu Ostern die „Passion“ als Live-Event in Kassel inszeniert. Trotz Dauerregens nahmen Tausende teil und sahen eine moderne, manchmal schräge Geschichte mit Deutschpop und berührenden Momenten.

Zum letzten Abendmahl gibt es Ciabatta und zwei Pizzen Frutti di Mare, dazu singen die Jüngerinnen und Jüngerinnen den „Ich + Ich“-Hit „So soll es bleiben“, der mit seinem Text letztlich auch irgendwie kirchengesangsbuchstauglich ist: „Ich will sagen, so soll es sein. / So kann es bleiben. / So hab ich es mir gewünscht. / Alles passt perfekt zusammen, weil endlich alles stimmt. / Und mein Herz gefangen nimmt.“ Doch natürlich wissen da längst alle, wie die Geschichte weitergeht.

Und für die, die in Sachen Passion doch nicht ganz sattelfest sind, ist da noch Hannes Jaenicke. Er fasst noch einmal schnell zusammen: Jesus und seine Freunde sind die Guten, Pontius Pilatus ein übler Opportunist und der Rest leider vorherbestimmt, aber zum Glück nicht das Ende.

Das Spektakel im Dauerregen erreicht die Menschen

Die Neuauflage der „Passion“ im Privatsender RTL ließe sich leicht kritisch wegironisieren. Doch das diesmal in Kassel bei strömendem Regen stattfindende Spektakel ist mehr. Denn es erreicht die Menschen, die da trotz des Wetters stehen, mitsingen und Anteil nehmen. Wohlgemerkt nicht beim Kirchentag, sondern einer Veranstaltung eines kommerziellen Medienunternehmens.

Natürlich hat es etwas von längst vergangenen „Wetten, dass…“-Außenwetten, wenn die Reporterin in Pink erstmal über Gewicht und Maße des großen Leuchtkreuzes informiert, das ein Trupp ganz normaler Menschen während der Show quer durch die Kasseler Innenstadt zur Hauptbühne schleppt. Diese Kreuzträgerinnen und Kreuzträger erzählen im Verlauf der Show teils anrührend, teils arg abgesprochen wirkend von ihren ganz persönlichen Erweckungserlebnissen und ihrem Glauben. Dabei ist allerdings wenig Zeit für ein wirkliches Gespräch mit tieferen Einsichten. Denn die „Passion“ ist in erster Linie eben das - Show.

Korrekte Einsetzungsworte und Udo-Jürgens-Hit

Aber ist das schlimm? Für die Teilnehmenden und das Publikum - die 8.000 kostenlosen Karten waren nach RTL-Angaben im Handumdrehen weg - offenbar nicht. Und wenn wir ehrlich sind, kommt auch ein guter Gottesdienst nicht ohne Show aus. Also spricht Jesus, der dieses Mal von „Engel”-Sänger Ben Blümel gespielt wird, zur Pizza ziemlich korrekt die Einsetzungsworte zum Abendmahl. Und kurz darauf singt Nadja Benaissa von den No-Angels als Maria „Weil ich dich Liebe" und später noch den Udo Jürgens-Hit „Ich wünsch' dir Liebe ohne Leiden“.

Doch die Geschichte nimmt unerbittlich ihren Lauf, Francis Fulton-Smith wäscht als Pilatus seine Hände in aller Unschuld vor der Kamera und Jaenicke vergleicht das Gegröle des Marktplatz-Mobs von Jerusalem mit dem Hass in den Sozialen Medien heute. Jesus steht derweil still im guantanamo-orangen Overall daneben und erwartet das Urteil. Das ist arg holzschnittartig. Aber deswegen nicht falsch.

Ohne Werbung geht es nicht - auch nicht bei der „Passion“

In der Mischung aus Spielszenen, Bibelversen und aktuellem Liedgut hat die „Passion“ sogar manchmal etwas von der Pop-Oper „Jesus Christ Superstar“ von Tim Rice und Andrew Llyod Webber aus dem Jahr 1971. Nur dass sie mit eher seichtem Deutschrock und ohne die Ironie daherkommt, aber dafür eben mit Hannes Jaenicke. Und der bleibt sich treu. Das mit der „Liebe deinen Nächsten“-Botschaft sei halt vertrackt, sagt Jaenicke, denn es seien wirklich alle gemeint, also „auch die Impfgegner, die Klimakleber und die Verschwörungstheoretiker“.

Nach dem Schuldspruch folgt der Song „Liebe ist alles“ von Rosenstolz: „Lass es Liebe sein“ singt Jesus kurz bevor er ans Kreuz genagelt wird und Kassel flippt ein bisschen aus - aber so geziemt, wie es sich für eine quasi-sakrale Veranstaltung gehört. Mit „Liebe ist alles“ sind auch die Trenner zu den Werbeblöcken betitelt, die es natürlich - „Passion“ hin oder her - bei RTL gibt. Schließlich ist und bleibt das Ganze die Veranstaltung eines kommerziellen Senders.

„Maria“  ist gläubig, aber nicht festgelegt

Deswegen gibt es anschließend noch ein RTL-„Exklusiv Spezial“ mit Frauke Ludewig, in dem man erfährt, dass „Maria“ unter ihrem Kleid wegen des Wetters noch einen Neopren-Anzug trug. Oder dass sich Jimi Blue Ochsenknecht mit seiner Rolle als Judas schwer tat. Darauf hätte man getrost verzichten können.

Doch ehrlicherweise erreicht RTL mit der „Passion“ vermutlich mehr und wahrscheinlich auch ganz andere Menschen, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen kirchlichen Sendungen. Auch, weil es hier lockerer zugeht, wie es Maria/Nadja auf den Punkt brachte: Sie sagte hinterher, sie sei multikulturell aufgewachsen, „sehr gläubig“, aber nicht festgelegt: „Ich mag alle Religionen.“

Anzeige