Geschäftsführer des Kreisdekanats Steinfurt über Corona, Seelsorge und christliche Lobbyarbeit

In Steinfurt sind „neue Formate“ gefragt statt „Sitzungskatholizismus“

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Corona ist nicht alles: Im Kreisdekanat Steinfurt tagen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter am 30. Januar erstmals digital über pastorale Arbeit. Im Interview berichtet Matthias Kaiser, seit fast acht Jahren Geschäftsführer des Kreisdekanats Steinfurt, über „Sitzungskatholizismus“, Ausblicke für die Pfarreien und christliche Lobbyarbeit. Der 48-Jährige ist zudem nebenberuflich als Diakon in der Pfarrei St. Joseph Münster-Süd tätig.

Herr Kaiser, mit was für einem Gefühl starten Sie denn jetzt ins Jahr 2021?

Für mich ist das Jahr mit einer stärker als sonst ausgeprägten Ungewissheit gestartet, was es wohl bringen wird, weil Vieles derzeit unsicher und nicht planbar ist. Da ging es mir wahrscheinlich wie vielen anderen. Zugleich habe ich aber auch ein großes Zutrauen in die Verantwortlichen bei der Bekämpfung und im Umgang mit der Pandemie. Ich finde zum Beispiel, dass die Krisenstäbe beim Kreis Steinfurt oder beim Bistum Münster einen wirklich guten Job machen.

Mit der Tagung „Re:Start“ habe Sie ein Konzept für einen Ausblick entwickelt. Können Sie kurz vorstellen, was die Teilnehmer erwartet?

Hinweise zur Online-Tagung Re-Start: „Corona“ als Herausforderung und Chance zum Neuaufbruch: www.kreisdekanat-steinfurt.de/restart-2021

Corona beeinflusst das gesellschaftliche, persönliche und kirchliche Leben massiv. Die Herausforderungen, aber auch die Chancen, die in der Krise liegen, wollen wir am 30. Januar mit einer Online-Tagung im Kreisdekanat Steinfurt zusammen mit Haupt- und Ehrenamtlichen aus den Pfarreien in den Blick nehmen.

Vormittags werden dazu drei Panels angeboten. Wir betrachten „Corona aus soziologischer und politischer Sicht“ mit dem Soziologen und Landtagsabgeordneten Stefan Nacke, wir blicken auf „Corona aus psychologischer Sicht“ mit dem Psychologen Tobias Bendfeld und wir schauen auf „Corona - ein Teilchenbeschleuniger für die Pastoral“ mit dem Pastoraltheologen Marius Stelzer. Nachmittags befassen wir uns dann in zwei Workshops mit „Kirche in digitalen Medien“ und mit der „Pfarreiseelsorge“.

Pfarreiseelsorge ist ein wichtiger Punkt. Mit der Pfarrei St. Georg in Saerbeck hat das Bistum Münster jetzt eine erste Gemeindeleitung durch Laien im Kreisdekanat, und jetzt mit Anja Daut sogar eine Frau. Macht Sie das stolz?

Ich finde es gut und richtig, dass Fragen der Gemeindeleitung und Partizipation in den Blick genommen und angegangen werden. Und auch andere Fragen stehen an, wie das Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt oder das Zusammenspiel von pastoralen Mitarbeitern und anderen Berufsgruppen oder auch der Einsatz von Ressourcen. Bei all dem sollten wir uns aber immer auch vergewissern, warum wir unterwegs sind und was wir mit unserer pastoralen Arbeit erreichen wollen. Die Motivation und das Ziel des eigenen Handelns dürfen nicht aus dem Blick geraten.

Stichpunkt Pfarreiseelsorge: Was haben Pfarreien an Sie zurückgemeldet? Wie ist die Lage?

Zu Beginn des ersten Lockdowns im vergangenen Jahr gab es bei vielen erstmal eine kleine Schockstarre. Aber dann habe ich sehr schnell eine sehr große Kreativität wahrgenommen, mit der in ganz unterschiedlicher Weise die verschiedenen Herausforderungen der Corona-Krise angegangen worden sind. Ich habe das als sehr lebendig und auch sehr zeitgemäß erlebt. In verschiedenster Weise, sowohl digital als auch analog, haben Ehren- und Hauptamtliche versucht, in Beziehung zu bleiben mit den Gemeindemitgliedern.

Ich sehe aber auch, dass es ein „Weiter so“ wie vor Corona nicht geben kann. Viele wünschen sich nun mehr von diesen neuen Formen, die in der Corona-Zeit entwickelt wurden. Zur Fastenzeit sind mancherorts wieder einige Projekte angedacht.

Wie können Sie denn eigentlich gerade weiterarbeiten? Ein Gremium, die Kreisdekanatsversammlung, ist ja ausgefallen. Wie geht es da weiter?

Wegen Corona musste die Kreisdekanatsversammlung und die Vollversammlung des Kreiskomitees der Katholiken im Kreisdekanat Steinfurt im vergangenen Jahr leider zweimal ausfallen. Im Moment gibt es noch keinen neuen Termin, aber mit Blick auf die weiterhin ungewisse Entwicklung in diesem Jahr werden wir sicher auch über ein digitales oder hybrides Veranstaltungsformat nachdenken.

Grundsätzlich kann man feststellen, dass sich das Engagement-Verhalten der Menschen verändert hat. Ein reiner „Sitzungskatholizismus“ ist für viele nicht mehr attraktiv. Ich glaube, wichtiger ist es, Begegnungsräume zu schaffen und als Christinnen und Christen die Gesellschaft mitzugestalten. Inhaltlich treibt uns im Kreisdekanat deshalb die Frage um, wie und mit welchem gesellschaftspolitischen Beitrag wir uns als Christinnen und Christen für das Gemeinwohl im Kreis Steinfurt engagieren können. Unabhängig davon werden zugleich auch die Statuten für die Gremien der mittleren Ebene im Bistum Münster, also der Kreisdekanate, überarbeitet.

Bis wann ist das abgeschlossen?

Das ist ein Prozess, der im ganzen Bistum Münster erfolgt. Ich würde mir wünschen, dass mit der Konstituierung der neuen Gremien auf Kreisdekanatsebene im kommenden Jahr auch die neuen Statuten in Kraft treten können. Dinge, die uns in diesem Jahr noch beschäftigen werden, sind neben den erwähnten Fragen zum Beispiel die Pfarreirats- und die Kirchenvorstandswahlen im November und auch der Spar- und Strategieprozess im Bistum Münster, der uns ja alle betrifft.

Als Kreisdekanatsgeschäftsführer betreiben Sie sozusagen auch christliche Lobbyarbeit auf politischer Ebene. Wollen die Leute denn überhaupt noch mit Kirchenleuten reden?

Der Einfluss der großen Kirchen ist auch im Kreis Steinfurt geringer geworden. Wir nehmen aber wahr, dass wir bei bestimmten Themen durchaus als Gesprächspartner gefragt sind. Dabei verstehen wir uns als Teil der Gesellschaft, als Christen, die aus ihrer eigenen Überzeugung heraus Gesellschaft mitgestalten wollen, und das tun wir gerne.

Nochmal nachgefragt, als ein Beispiel für so eine Lobbyarbeit: Emsdetten als Kommune macht mit bei der zivilen Initiative „Seebrücke“, die Stadt hat sich verpflichtet, freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen. Die Stadt Lengerich hat das für sich abgelehnt. Sind das so Punkte, wo man sagen kann, jetzt schickt man ein Mailing raus oder man trifft die Leute oder die Politiker und macht da Lobby-Arbeit für christliche Werte?

Wir sind im Austausch mit Gruppierungen, Politikern und Abgeordneten auf verschiedenen Ebenen. Zudem arbeiten wir mit dem Kreiskomitee der Katholiken gerade an einem Format, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. So möchten wir uns mit christlichen Positionen in den gesellschaftspolitischen Diskurs einbringen.

So eine Stand-By-Position, die es ja nicht nur in Corona gibt – wenn Sachen nicht vorangehen, wie bleiben Sie da positiv? Was gibt Ihnen da Kraft für Ihre Arbeit?

Zunächst eine Portion Gelassenheit und Dankbarkeit. Wenn ich die Dinge zum einen nicht so verbissen und mit ein wenig Abstand und zum anderen nicht immer als selbstverständlich betrachte, dann gewinne ich für mich eine gewisse innere Freiheit und Demut. Das macht manches leichter. Und dann auch Gottvertrauen, also ein positives Vertrauen auf Gott, dass er mich auf meinen Wegen begleitet und da sein wird bei allem, was kommen mag. Und schließlich Momente der Ruhe, des Innehaltens und des Gebets. Deswegen bin ich zum Beispiel auch froh und dankbar, dass es in verschiedener Weise möglich ist, in der aktuellen Situation Gottesdienste mitzufeiern. Sie geben mir gerade in dieser Zeit immer wieder neue Kraft.

Das Kreisdekanat Steinfurt ist die pastorale und organisatorische mittlere Ebene des Bistums Münster im Kreis Steinfurt. Mit 233.779 Katholiken (Stand 2019) ist das Kreisdekanat Steinfurt das mitgliederstärkste Gebiet nach dem Offizialat Oldenburg (257.261) und dem Kreisdekanat Borken (242.708) im Bistum Münster.

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