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Der Unfalltod ihres Sohns brachte Dorothe Grütters an die Grenze ihres Glaubens. Am Ende spricht sie Gott ihr Vertrauen aus. Und nimmt ihn sogar in Schutz.
Da ist eine Konstante, die selbst dem größten Schlag standhalten konnte, den einer Mutter erleben kann. „Ich habe darüber nicht mit Gott gebrochen“, sagt Dorothe Grütters. Das schmälert nicht die Wucht mit der sie der Unfalltod ihres Sohnes vor mehr als drei Jahren traf. „Es war der Tag der Tage, der absolute Horror, das Unvorstellbare.“ Und es war das „Endgültige“ – ein Ereignis, das sie und ihre Familie von da an nicht mehr beiseite räumen können. „Aber mit ihm leben lernten.“ Und da kommt der tiefe Glaube der 55-Jährigen ins Spiel.
Es war ein Anruf spät in der Nacht. Freitagnacht – Party-Zeit für ihre drei Söhne. Also auch für Kalli, wie Karl-Julius von allen genannt wurde. „Genannt wird.“ Grütters spricht im Präsens, ihr mittlerer Sohn ist nicht Vergangenheit. Er war bei einer Feier aus einem Fenster im dritten Stock gestürzt, mit schweren Schädelverletzungen in die Uniklinik in Münster gebracht worden. „Ich hatte sofort das Gefühl, dass es nicht gut gehen würde“, sagte sie. „Kein: Das wird schon.“ Sie war lange Zeit Krankenschwester, bevor sie vor einige Jahren Pastoralreferentin wurde und in die Krankenhausseelsorge ging. Ihr Mann ist Arzt. Sie kannten solche Situationen – aber von einer anderen Seite.
Moment des Abschieds „grauenhaft“
Es ging nicht gut. Alle Operationen und Behandlungen schafften keine Überlebensperspektive. Kalli wurde für hirntot erklärt, eine Organspende eingeleitet. Alles in kurzer Zeit. „Es wäre ein Leben gewesen, das mit dem Leben nicht mehr zu vereinbaren gewesen wäre.“ Der Moment des Abschieds blieb „grauenhaft“. Ein Wort, das zu klein ist, für ihre damaligen Gefühle, sagt Grütters. „Es ist eine Dimension, die für Außenstehende nicht zu übersetzen ist.“
Wer das gerahmte Foto auf der Fensterbank ihres Hauses in Münster sieht, kann sich dieser Dimension der Emotionen allenfalls nähern. Darauf lehnt Kalli über der Sofalehne, ein Dreitagebart, eine Wollmütze, ein Kapuzenshirt – braun gebrannt mit strahlenden Augen. „Er hatte Sonne gehabt“, sagt Grütters. „Ich hatte ein neues Handy und wollte die Foto-Funktion ausprobieren.“ Es war das letzte Bild, das sie von ihm machen sollte. Jetzt steht es zwischen Blumen, einer Muschel, einem Stein und einem Kreuz neben den Familienfotos der Jahre davor.
Kalli brachte Lebensfreude
„Er hat das Leben wie kein zweiter geliebt“, sagt die Mutter. „Immer volle Pulle, immer Spaß“. Handballer war er, oft mit Freunden unterwegs. Auch mit seinen Brüdern unternahm er viel. Er wollte Lehrer werden, studierte Deutsch, Sport und Geschichte. Mit einem Freund war der damals 21-Jährige gerade in eine WG gezogen. „Er war voll Energie, brachte allen Freude, nahm alle mit seiner Lebenslust mit.“
Der Sturz aus dem Fenster war vielleicht eine Folge solch sprudelnder Energie, sagt sie. Es war kein Alkohol im Spiel. „Aber er machte gerne Faxen, turnte herum, vielleicht auch auf dem Fensterbrett.“ Eine Situation, wie sie ähnlich ungezählt vorkommt, wenn junge Menschen feiern. Kalli aber fing kein Schutzengel auf. „Vielleicht war auch Gott mit seiner Lebhaftigkeit überfordert.“
Keine Vorwürfe an Gott