Themenwoche "Der Schatz der Alten" (1): Der Münsterländer und Limburger Altbischof (92) im Interview

Bischof Kamphaus, worauf kommt es im Leben an?

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Franz Kamphaus stammt aus Lüdinghausen im Münsterland, war von 1982 bis 2007 Bischof von Limburg und lebt als Über-90-Jähriger in einem Heim bei Rüdesheim. Unsere Anfrage für ein Interview übers Alter sagt er nach kurzem Nachdenken gern zu. Wir erreichen ihn am Telefon und erleben einen langsam und leise, aber hellwach und konzentriert sprechenden Mann – und ein sehr bewegendes Gespräch.

Herr Bischof, „die Zeit unseres Lebens währt 70 Jahre, wenn es hochkommt, 80“, so heißt es in der Bibel (Ps 90). Sie sind jetzt 92 Jahre alt – wie geht es Ihnen mit Ihrem überbiblischen Alter?

Schön! Ich habe nie daran gedacht, so alt zu werden. Nun geht es mir mit 92 noch ganz gut! Ich bin zufrieden mit dem, was noch geht. Vieles geht nicht mehr, anderes muss ich lassen. Aber ich mache meine Spaziergänge, wenn auch mit Begleitung. Vor allen Dingen – und darüber bin ich sehr froh – ist der Kopf noch klar! Im vorigen Jahr habe ich ja noch ein Buch herausgegeben: „Der Unbekannte aus Nazareth“. Aber das Thema Bücherschreiben ist abgeschlossen. Ich bereite mich auf den Tod vor. Das ist ja abzusehen.

Was bedeutet das konkret?

Themenwoche: Der Schatz der Alten
Möglichst lange leben wollen alle – alt sein eher weniger. Und doch sind alte Menschen ein Schatz – wegen ihrer Lebenserfahrung, wegen ihrer Treue in unseren Gemeinden, wegen ihres Glaubensvorbilds. In einer Themenwoche stellen wir vier Menschen vor und zeigen, wie sie das kirchliche Leben und jede und jeden Einzelnen bereichern. Für Folge 1 haben wir mit dem aus dem Bistum Münster stammenden, 92-jährigen Limburger-Altbischof Franz Kamphaus gesprochen.

Ich nehme mir Zeit zum Nachdenken. Mehr als früher. Dazu kommt das Psalmengebet, von dem Sie eben sprachen. Das nehme ich sehr ernst. Ich hoffe, dass ich so für die letzte Stunde hier auf Erden bereitet bin. Ich bin sicher, ich werde erwartet. Das ist meine Hoffnung. Darauf gehe ich zu. 

Wie gelingt es Ihnen, dabei nicht ins Grübeln zu verfallen?

Ich nehme das an, was kommt. Jeden Tag. Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Mal piekst es hier, mal piekst es da. Die körperlichen Kräfte, auch die geistigen, werden weniger. Das merke ich. Ich übe mich im Loslassen. Nicht festhalten wollen, nicht mich an bestimmte Dinge klammern – da bin ich ganz frei, weil ich, wie gesagt, erwartet werde.

Sie leben schon seit Jahren nicht mehr in Limburg, sind auch nicht zurückgekehrt dahin, woher Sie stammen, in Ihre Heimat Lüdinghausen im Münsterland, sondern wohnen in einem Haus zusammen mit vielen Menschen mit Beeinträchtigungen. Warum sind Sie nicht geblieben, wo Sie waren, oder heimgekehrt dahin, woher sie kommen?

Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Es wäre zu langwierig, alle Gründe dafür aufzuzählen. Nur dies: Ich bin ein behinderter Mensch unter behinderten Menschen.

Und doch blickt man, je älter man wird und wenn etwa auch die Eltern nicht mehr da sind, zurück auf die eigenen Wurzeln. Spielt Ihre Herkunft gar keine Rolle mehr, weil Sie so nach vorn orientiert sind?

Sie spielt noch eine Rolle, natürlich! Aber der Bauernhof, auf dem ich geboren wurde und auf dem ich die ersten Jahre gelebt habe, steht nicht mehr. Das Ganze wird von Nachbarn und Verwandten bewirtschaftet. Wenn ich mich zurückerinnere, dann wesentlich an Münster. Denn die längste Zeit meines Lebens – nämlich 30 Jahre – bin ich in Münster gewesen, mit kurzen Unterbrechungen. Ich habe in Münster studiert, war dann in Heilig Geist am Preußenstadion Kaplan. Dann wurde ich Assistent an der Uni und schließlich Regens am Priesterseminar. Das war eine besonders schöne Zeit, fast zehn Jahre, an die ich gern zurückdenke. Ich bin dankbar, dass mir Bischof Tenhumberg damals Vertrauen geschenkt und mir dieses Amt übergeben hat. Das war für ihn wahrscheinlich nicht so ganz einfach, denn ich war – und bin bis heute – im Freckenhorster Kreis (eine Reformbewegung, die sich in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils gründete und für eine Modernisierung und Demokratisierung der Kirche eintritt, d. Red.).

Was hat Sie da so geprägt, welchen Schatz konnten Sie aus dieser Zeit mit in Ihr Leben nehmen?

Der Unbekannte aus Nazaret
Inspirationen zum Markus-Jahr
Franz Kamphaus
Patmos Verlag, Hardcover, 288 Seiten
ISBN 978-3-8436-1472-6
Das Buch können Sie hier bequem über unseren Partner Dialogversand bestellen.

Ich habe viele beeindruckende Menschen kennengelernt und war notwendigerweise gehalten zu entscheiden, ob jemand zur Weihe zugelassen wird oder nicht. Dabei darf ich nicht vergessen, dass damals Johannes Bours Spiritual im Priesterseminar war – ein großer Schatz und Seelenfreund! Ich hatte zudem die Möglichkeit und Gelegenheit, das Gebäude zu renovieren – auch das ein Schatz: Ich durfte mit Künstlern überlegen und die Kapelle gestalten. Die Bibliothek hat man dann ja später abgerissen und neu gebaut, aber das ist nicht so meins (lacht).

Wie haben Sie es geschafft, so alt zu werden? Welchen Rat geben Sie uns?

Es kommt darauf an, das anzunehmen, was kommt. Und nicht sich zu klammern an Dinge, die vergehen. Dass man sich darauf einlässt, dass es weniger wird. Am meisten aber rate ich zu Dankbarkeit: für das Leben, für jeden Tag. Danken heißt: zufrieden sein mit dem, was ist. Und mit dem, was kommt. Wer mit sich selbst unzufrieden ist, wer sich selbst nicht riechen kann, der stinkt auch anderen. 

Was sagen Sie Menschen, die im hohen Alter und oftmals, nachdem die meisten ihrer Lieben schon gestorben sind, sagen: Es reicht, der Herrgott soll mich endlich holen?

Das stimmt. Es sterben Gefährten. Man muss sich darum bemühen, neue Gefährten zu finden! Und die gibt es – gleichaltrige oder jüngere: Ob die nun 70 oder 80 sind, wie der Psalm sagt – egal, sie sind da!

Worauf kommt es im Leben an?

Es kommt im Leben darauf an, ein Ziel zu haben. Nicht ziellos loszugehen, sondern in seinem Leben ein Ziel zu haben. Das hat mir jedenfalls – fast könnte ich sagen: von Kindsbeinen an – sehr geholfen. Und das letzte Ziel, auf das ich zugehe, ist dies, was ich schon gesagt habe: Ich werde erwartet, ich bin erwartet.

UPDATE: Die Frage-Antwort-Komplexe 5 und 6 waren irrtümlich zunächst aus diesem Interview herausgefallen. Wir haben sie erneut eingefügt. (14.45 Uhr, mn.)

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