Fragen und Antworten zum kirchenrechtlichen Vorgehen in Verdachtsfällen

Sexueller Missbrauch durch Geistliche – Was sagt das Kirchenrecht?

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Die Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln sorgt derzeit für Debatten. Mehrere Untersuchungen sollen dort klären, ob leitende Geistliche Verdachtsfälle vertuscht haben. Wie die Kirche vorgeht, wenn ihr Beschuldigungen gegen einen Priester bekannt werden, regelt das weltweit gültige katholische Kirchenrecht. Es ist in manchen Punkten strenger als das weltliche Strafrecht. Die Katholische Nachrichten-Agentur erklärt hier die wichtigsten Bestimmungen.

 

Welche Strafe sieht das Kirchenrecht für einen Priester vor, der des Missbrauchs überführt wurde?

 

Die Höchststrafe ist die Entlassung aus dem Klerikerstand. Der Täter darf dann unter anderem nicht mehr die Sakramente spenden. Dem Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke zufolge greift die Kirche in Deutschland selten zu diesem Mittel, da es mit hohen Kosten verbunden ist. Priester unterliegen nicht dem staatlichen Arbeitsrecht, weshalb für sie keine Sozialabgaben geleistet werden. Verlieren sie ihren Stand als Kleriker, müssen diese Abgaben nachgezahlt werden. Gerade bei älteren Geistlichen kann das teuer werden.

 

An wen können sich mutmaßliche Opfer oder ihre Eltern wenden?

 

Betroffene können sich an die Strafverfolgungsbehörden und an das zuständige Bistum wenden. In allen Bistümern gibt es mittlerweile unabhängige Ansprechpersonen, die für die Bearbeitung von Missbrauchsfällen beauftragt sind. Erfährt der Beauftragte von einem Vorwurf, muss er unverzüglich den Bischof oder den Generalvikar informieren. Das steht in einer Ordnung der Deutschen Bischofskonferenz. Sie gilt seit Anfang 2020 und entwickelt frühere Leitlinien fort.

 

Wie geht das kirchliche Verfahren dann weiter?

 

Der Missbrauchsbeauftragte prüft zunächst, ob die Vorwürfe plausibel sind. Er spricht mit dem mutmaßlichen Opfer, informiert über Hilfsangebote und ermutigt zu einer Anzeige. Bischof oder Generalvikar werden über die Inhalte des Gesprächs informiert. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, beginnt das kirchenrechtliche Verfahren mit einer Voruntersuchung.

 

Was passiert in der Voruntersuchung?

 

Der vom Bischof beauftragte Leiter der Voruntersuchung hört den Beschuldigten an und informiert den Bischof oder Generalvikar. Sofern sich der Verdacht auf Missbrauch bestätigt, muss die Glaubenskongregation in Rom informiert werden. Sie übernimmt jetzt den Fall. Der Bischof kann zugleich erste Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und den Pfarrer vom Dienst freistellen. Bei Anhaltspunkten für eine Straftat muss das Bistum zudem die weltlichen Behörden einschalten, falls das noch nicht passiert ist. Auf diesen Schritt darf nur dann verzichtet werden, wenn es der ausdrückliche Wille des Opfers ist.

 

Wie geht der Vatikan weiter vor?

 

Die Glaubenskongregation kann nun ein Verwaltungs- oder ein Kirchengerichtsverfahren starten. Sie entscheidet zudem, welches (Erz-)Bistum dieses Verfahren durchführt - das betroffene oder ein anderes. Die Ermittler aus der ausgewählten Diözese können das mutmaßliche Opfer noch einmal anhören oder ein psychiatrisches Gutachten zum Beschuldigten einholen. In der Regel ergreifen sie jedoch keine Schritte, solange der Staatsanwalt den Fall noch untersucht, wie Lüdicke erklärt. Schließlich gibt es eine Entscheidung von der Verwaltung oder vom Kirchengericht. Dagegen kann der Verurteilte Berufung bei der zuständigen Behörde in Rom einlegen, die dann endgültig das Strafmaß festlegt.

 

Wann verjährt sexueller Missbrauch an Minderjährigen?

 

Das Kirchenrecht sieht eine reguläre Verjährungsfrist von 20 Jahren vor, die mit dem 18. Geburtstag des Opfers beginnt. In besonders schweren Fällen wird die Verjährung komplett aufgehoben, so dass auch sehr lange zurückliegende Taten geahndet und hochbetagte Priester bestraft werden können. Im staatlichen Recht liegen die Fristen normalerweise zwischen 5 und 20 Jahren. Bei schweren Fällen ruht die Verjährung bis zum 30. Geburtstag des Betroffenen.

 

Müssen Verantwortliche, die Missbrauch vertuschen, Konsequenzen nach dem Kirchenrecht befürchten?

 

Seit 2019 gilt das Apostolische Schreiben „Vos estis lux mundi“, das erstmals im Kirchenrecht das Problem der Vertuschung von Missbrauchsfällen behandelt. Der Text spricht von „Handlungen und Unterlassungen“, die darauf abzielen, weltliche oder kirchliche Untersuchungen zu umgehen. Laut Kirchenrechtler Lüdicke ist Vertuschung somit eine Pflichtwidrigkeit, die disziplinarisch geahndet werden kann - jedoch keine Straftat.

 

Wie werden Bischöfe überprüft und gemaßregelt?

 

Wenn ein Bischof selbst des Missbrauchs oder der Vertuschung verdächtigt wird und eine entsprechende Anzeige eingeht, ist der Metropolit (oder der dienstälteste Bischof der Kirchenprovinz) für die Untersuchung zuständig. Er leitet sein Untersuchungsergebnis und sein Votum nach Rom weiter, wo über den Fall entschieden wird.

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