Münsteraner Professor zeigt Entwicklung im Staats- und Rechtsverständnis des Lehramts

Historiker Hubert Wolf: Kirche lernte Demokratie nur mühsam

„Gute Katholiken waren lange Zeit alles andere als gute Demokraten“, zeigte der Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf in einem Vortrag in Münster auf. Das kirchliche Lehramt tat sich mit der Demokratie noch deutlich schwerer.

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Nach Ansicht des Kirchenhistorikers Hubert Wolf hat das Lehramt der katholischen Kirche erst nach vielen Umwegen die Freiheitsgeschichte der Moderne und den demokratischen Verfassungsstaat bejaht. „Gute Katholiken waren lange Zeit alles andere als gute Demokraten“, sagte Wolf, Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, bei der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ zum Thema „Bedingungen der religiösen Moderne – 100 Jahre Religionsverfassungsrecht in Deutschland“.  „Das Lehramt hat schließlich doch gelernt, kann aber nicht zugeben, dass die Lehre sich geändert hat.“

Wolf verwies in seinem Vortrag darauf, dass Kardinal Michael Faulhaber, der damalige Erzbischof von München und Freising, den Katholikentag von 1922 mit seiner heftigen Kritik an der Weimarer Republik und deren „gottloser Verfassung“ dominiert habe. Aus Sicht von Faulhaber habe die Weimarer Verfassung die Volkssouveränität an die Stelle Gottes gesetzt und es den Menschen statt Gott recht machen wollen. Für die deutschen Bischöfe sei die Weimarer Verfassung nicht akzeptabel gewesen, weil sie keinen Gottesbezug enthalten und einen „Eingriff in die unveräußerlichen Rechte der Kirche“ bedeutet habe.

 

Pius XII.: Staat wurzelt in der Schöpfung

 

Wie Wolf erläuterte, bekomme das Recht nach herkömmlicher kirchlicher Auffassung seine Legitimation erst vom Naturrecht, das allen Menschen wesentlich zu eigen sei. „Die Rechte gründen demnach in Gott“, so Wolf. Papst Pius XII. habe eine Naturrechtslehre entwickelt, nach der Gott einziger Gesetzgeber und Quelle des Naturrechts sei. „Der Staat hat seiner Auffassung nach seine Wurzeln in der Schöpfung Gottes, ist also eine vom Schöpfer gewollte und vorgegebene Einrichtung, die aus der Natur hervorgeht“, erklärte der Kirchenhistoriker. Daraus habe sich eine negative Haltung Pius‘ XII. gegenüber dem modernen Verfassungsstaat ergeben, während die Einstellung der Katholiken gegenüber dem modernen Staat nicht eindeutig und einheitlich gewesen sei.

Wolf erinnerte daran, dass die Verdammung der Moderne, der Freiheit des Gewissens, der Volkssouveränität und des modernen Verfassungsstaats ihren Höhepunkt im „Syllabus errorum“, dem „Verzeichnis aller modernen Irrtümer“, von Papst Pius IX.  im Jahr 1864 gefunden habe. „Doch wie sollten Katholiken damit umgehen?“, fragte Wolf. „Konnten sie überhaupt gute Katholiken und gute Staatsbürger sein?“

 

Als das Lehramt lernte

 

Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts sei auch das kirchliche Lehramt nicht mehr umhin gekommen, sich mit pluralistischen Staatsformen zu arrangieren. Papst Pius XII. habe letztlich aus seinen Erfahrungen mit totalitären Staatsformen gelernt, dass die Demokratie die Staatsform sei, die der Würde des Menschen am ehesten gerecht werden könne.

Schließlich habe das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Erklärung „Dignitatis humanae“ den modernen Verfassungsstaat und die Religionsfreiheit anerkannt. „Das ist ein entscheidender Schritt und ein Bruch in der amtlichen Lehre“, urteilte Wolf. Trotzdem könne man offiziell eine Lehrentwicklung nicht zugeben, weil die Kirche sonst auch in anderen Punkten geirrt haben könnte.

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