Oliver Rothe über Überflüssiges, das weg kann

Auslegung der Lesungen vom 5. Ostersonntag (B)

„Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet mein Vater ab.“ so sagt es Jesus im Evangelium dieses Sonntags. Das klingt nach unbarmherzigem Leistungsdenken. Oder doch nicht? Oliver Rothe, Priester in St. Remigius Borken, legt das Evangelium aus.

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„Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet mein Vater ab.“ so sagt es Jesus im Evangelium dieses Sonntags. Das klingt nach unbarmherzigem Leistungsdenken. Oder doch nicht? Oliver Rothe, Priester in St. Remigius Borken, legt das Evangelium aus.

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Dieser zentrale Satz des heutigen Evangeliums ist auf den ersten Blick sehr verständlich und eingängig. Er lässt in uns ein Idyll der Natur aufscheinen. Dieser Satz ist freilich ein Bild für unsere Beziehung zu Jesus Christus und damit für uns eine Ermutigung, aus unserer Verbindung, unserem „Bleiben“ mit ihm, unser Leben zu gestalten.

Das Evangelium vom 5. Ostersonntag (B) zum Hören und Sehen auf unserem Youtube-Kanal.

So weit, so gut – aber dann kommt ein Satz, der aufhorchen lässt: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet mein Vater ab.“ Daraus ergeben sich beunruhigende Fragen: Was meint Jesus mit den Reben, die keine Frucht bringen? Was bedeutet das „Abschneiden“?

Insbesondere ältere Leser des Evangeliums verbinden wohl mit diesem Satz und der dann folgenden Ankündigung, dass diese abgeschnittenen Reben ins Feuer geworfen werden, Ängste und negative Gefühle. Möglicherweise ist ihnen in der Kindheit damit gedroht worden, was mit ihnen passiert, wenn sie nicht regelmäßig beten, sonntags in den Gottesdienst gehen und Frömmigkeits-Übungen vollziehen. Auch wenn uns die moderne Exegese hilft, diese Angst machenden Gedanken zu überwinden, so bleibt die Frage nach dem wahren Verständnis dieses Bildes.

 

Ein Bild für neues Leben

 

Wir können diesen Teil des Gleichnisses, der sich mit den Reben befasst, die keine Frucht bringen, in zwei Richtungen deuten: einmal auf die menschliche Existenz und zum anderen auf die Gemeinschaft der Kirche hin. In beiden Fällen steht dieses Bild für neues Leben.

Der Autor
Oliver Rothe ist Kanonikus an der Propsteigemeinde St. Remigius Borken. | Foto: Markus Nolte

Im Hinblick auf unser Leben mit Jesus Christus gibt es Erfahrungen, die uns das Bild vom Weinstock entschlüsselt. Manchmal wachsen die Blätter, die das Fruchtbringen verhindern, an uns in ganz konkreter Weise: wenn wir nur auf uns selbst gerichtet leben. Wir stellen uns und unser eigenes Selbst derart in den Mittelpunkt, dass die Blätter, die dann wuchern, uns so einengen, dass unser wahres Selbst da­­runter verkümmert. Wir können dann kaum noch Frucht bringen, da wir weder mit Gott noch mit unseren Mitmenschen Kontakt aufnehmen.

Wenn wir meinen, dass wir uns selbst besitzen müssen, zerstören wir uns selbst. Weil wir Menschen nicht auf einer einsamen Insel leben, sondern weil wir auf Liebe hin, auf Geben hin, auf „ein Beschnittenwerden“ unseres Selbst angelegt sind, kann nur so Leben gelingen. Unsere Selbst- und Menschwerdung kann nur geschehen, wenn wir bereit sind zu „sterben”, uns selbst loszulassen. Unser Leben wird nur dann fruchtbar, wenn wir uns nicht daran festklammern.

 

Erstickt in Arbeitskreisen

 

In der Gemeinschaft der Kirche nehmen wir dieses Bild in ganz anderer Weise wahr. So positiv es ist, als Kirche gut organisiert und strukturiert zu sein, so hinderlich ist manche Struktur mitunter, wenn es darum geht, neues Leben zuzulassen. Machen wir nicht manchmal die Erfahrung, dass die vielen Ausschüsse, Abteilungen, Zuständigkeiten, Arbeitskreise oder Dezernate uns so einengen, dass dahinter die Frohe Botschaft zu ersticken droht?

Wenn wir nicht den Mut haben, das Überflüssige wegzuschneiden, dann wachsen nur noch Blätter, die wiederum keine Frucht bringen. Verteidigen wir nicht allzu gerne erworbenes Gut und erworbene Positionen? Verstecken wir unsere Ohnmacht nicht allzu häufig hinter einer Bürokratie, die uns von der Lebendigkeit des Glaubens fernhält? Verdeckt nicht manchmal zu viel Institution den Geist Gottes?

 

Neues Leben mit Christus

 

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Freiburger Rede von „Entweltlichung“ gesprochen – ein viel gedeuteter und mitunter missverstandener Begriff. Könnten wir ihn vielleicht vom Wort des „Weinstocks“ und dessen Reinigung her lesen? Könnte nicht eine Entweltlichung bedeuten, dass die kirchlichen Einrichtungen und Strukturen stets neu darauf achten, ob und wieweit durch sie christusförmiges Leben anstelle von Leitlinien, Konzepten, Plänen und Strukturvorgaben entsteht? Wie ist beides miteinander zu vereinbaren?

Ein Prozess des „Beschneidens“ kann sehr schmerzhaft sein, aber wenn wir das Evangelium ernst nehmen, entsteht nur so neues Leben, das mit Christus verbunden ist und aus seinem Geist heraus die Welt durchwirkt. Mit dem Bild vom „Weinstock“ wird sinnenfällig, was in der Natur eine Selbstverständlichkeit ist und was Jesus Christus uns durch sein Leben und Sterben hinterlassen hat: Im Sterben liegt neues Leben – mit Jesus Christus.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 5. Ostersonntag (Lesejahr B) finden Sie hier.

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