Angebot und Nachfrage steigen - ein Beispiel aus dem Münsterland

Von 66 bis 100 Jahren: Warum Senioren die Caritas-Tagespflege schätzen

  • „Tagespflege ist eine ganz wichtige Säule vor dem Einzug in ein Altenheim und zusätzlich zur ambulanten Pflege zu Hause“, sagt Caritas-Expertin Christiane Nitz.
  • Die Nachfrage nach solchen Einrichtungen wächst, das Angebot ebenso.
  • Besuch in einer Senioren-Tagespflege in Steinfurt.

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Hedwig schaut in die fröhliche Kaffeerunde: „Wir sind doch noch nicht verschlissen.“ Sichtlich genießt die 90-Jährige die Gemeinschaft in der Senioren-Tagespflege (SenTa) der Caritas Steinfurt in Borghorst. Rund um den Tisch gibt es Zustimmung. „Dem Herrgott können wir nicht genug danken“, sagt Anna.

Die 89-Jährige wohnt gleich nebenan und ist fast jeden Tag „Gast“ der Tagespflege: „Hier sind die Leute nett und ich habe Unterhaltung.“ Was aus Sicht von Christiane Nitz, die die ambulanten und teilstationären Dienste der Caritas Steinfurt leitet, neben der Entlastung der Angehörigen ein ganz wesentlicher Beweggrund für den Besuch ist.

Nachfrage und Angebot gestiegen

„Tagespflege ist eine ganz wichtige Säule vor dem Einzug in ein Altenheim und zusätzlich zur ambulanten Pflege zu Hause“, erklärt Nitz. Nachfrage und Angebot seien rasant gewachsen: Allein die Caritas Steinfurt biete Tagesstätten in Horstmar, Altenberge, Laer und Borghorst an. Im gesamten Bistum Münster gebe es mittlerweile 115 Tagespflegen.

Marlies gehört zu denen, die erst skeptisch waren. „Ich wollte gar nicht hierhin“, sagt sie. Aber dann hat sie das „Schnupperangebot“ genutzt, ist einen Tag zur Probe gekommen – und war überzeugt. Montags und mittwochs ist sie seitdem von 9 bis 16 Uhr in der SenTa. „Dienstags kommt meine Putzfrau“, sagt die 83-Jährige. Sie ist stark sehbehindert und schätzt deshalb das morgendliche Vorlesen der Zeitung besonders.

Mehr als Klönen - auch wenn das wichtig ist

Das Klönen bei Frühstück, Mittagessen und Nachmittagskaffee nimmt breiten Raum ein. Hinzu kommen geistige Anregung und Bewegungsübungen.

Zur Krönung des britischen Königs Charles habe man einen gebürtigen Engländer eingeladen und eine Teezeremonie erlebt, nennt Marion Dennemann, Leiterin der SenTa Steinfurt, ein Beispiel: „Das ist hier nicht einfach nur Bingo.“ Osterbräuche oder „Frühlingszeit ist Bärlauchzeit“ waren Themen, bei denen die Gäste eigene Erfahrungen einbringen und Neues lernen konnten.

Bücher und Spiele

Die Altersspanne reicht von 66 bis 100 Jahren, aber das sei kein Problem beim Austausch über Jugenderinnerungen. Fast alle Gäste kommen aus großen Familien. Wie Hedwig und Anna, die beide je acht Geschwister hatten.

Passend zu ihren Erfahrungen hat Marius, der in der Stadtbücherei ein Freiwilliges Soziales Jahr macht, gerade Literatur zur verstorbenen Queen Elizabeth auf dem Tisch im Wohnzimmer drapiert. Regelmäßig versorgt er mit dem Lastenrad die SenTa-Standorte mit neuen Büchern und Spielen.

Gäste entscheiden selbst, wann sie kommen

Fast alle Gäste leben zu Hause mit Angehörigen. Anna zum Beispiel wohnt mit ihrem 60-jährigen Sohn zusammen, der für sie sorgt. Waltraud (78) hat sich von einer schweren Erkrankung erholt. Sie kommt an einem Tag der Woche, um ihrem Mann, der sie lange gepflegt hat, etwas Freiraum zu ermöglichen.

Wie viele Tage sie in die SenTa sein möchten, entscheiden die Gäste selbst. 13 Plätze bietet die SenTa Steinfurt, bis zu 16 sind notfalls möglich, erklärt Christiane Nitz. Vor Corona habe es Wartelisten gegeben, jetzt habe man aber noch Kapazitäten, da nicht alle Senioren zurückgekehrt seien und man zwei weitere Tagesstätten eröffnet habe.

Geistliche Angebote

Während der Pandemie haben die Gäste die Tagespflege auch als „Kirchort“ geschätzt, weiß Burkhard Baumann. Er ist Geschäftsführer des im Unternehmen „Domus“ zusammengefassten Altenhilfe-Bereichs der Caritas Steinfurt. Die Kirchen waren geschlossen, aber Seelsorgende kamen in die Tagespflege.

Wobei das schon vorher so war und weiterhin gilt. „Regelmäßig bieten wir Wortgottesdienste an und pflegen eine intensive Zusammenarbeit mit der Pfarrei“, sagt Christiane Nitz.

Angebote sollen bekannter werden

Wie solche Angebote noch bekannter gemacht und zugleich weiterentwickelt werden können, überlegt Natalie Albert vom Diözesan-Caritasverband. Im Projekt „Profil“ mit der Universität Bielefeld geht sie mit Christiane Nitz und Marion Dennemann diesen Fragen nach.

So wüssten viele Menschen nicht, dass die Pflegekasse neben dem Entlastungsbetrag für zu Hause zusätzlich für die Tagespflege zahle, sagt Nitz. Der Betrag hänge vom Pflegegrad ab. Der Kontakt komme häufig über die ambulante Pflege zustande. Deren Mitarbeitende könnten gut einschätzen, wann eine Betreuung tagsüber außer Haus sinnvoll ist.

Die Tagespflege bereichert das Leben der Gäste offenbar. „Ganz ohne könnte ich mir nicht mehr vorstellen“, sagt Anna. Das gehe vielen so, beobachtet Marion Dennemann. Neue Freundschaften würden geschlossen, alte Bekannte treffen sich nach vielen Jahren in der SenTa wieder.

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