Themenwoche „Der Schatz der Alten“ (4) - Wie „Studium im Alter“ bereichert

Von Geschichten fasziniert - was Otto Gertzen (75) am Studium reizt

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Otto Gertzen ist seiner Leidenschaft auch nach seinem Berufsleben treu geblieben. Der ehemalige Lehrer nutzt das Angebot der Universität Münster „Studium im Alter“, um sich mit vergangenen Zeiten und verschiedensten Biografien zu beschäftigen. Seine Forschungsergebnisse sind online einsehbar.

40 Jahre lang arbeitete Otto Gertzen als Lehrer an Gesamtschulen für die Fächer Geschichte und katholische Religionslehre. Mit Mitte 60 wurde er im Jahr 2013 pensioniert. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits im Kopf, einmal ein Studium im Alter zu beginnen. Zuvor wollte er jedoch erstmal zwei bis drei Jahre pausieren und seine neu gewonnene Freizeit als Rentner genießen. Dieser Plan wurde allerdings von einem Kollegen durchkreuzt, der ihn auf ein Seminar mit dem Titel „Forschendes Lernen“ hinwies, das er in einem Prospekt der Universität Münster entdeckt hatte.

In dem Seminar sollte es um ehemalige Professorinnen und Professoren, Mitarbeitende und Studierende der Universität Münster gehen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Dieses Thema sprach Gertzen so sehr an, dass er sein Studium im Alter bereits im Wintersemester 2013/2014 begann. Als Lehrer hatte er zuletzt 20 Jahre lang an einer Gesamtschule in Hamm unterrichtet. In seinen letzten vier Berufsjahren führte er dort mit den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe eine sogenannte „Stolperstein-AG“ durch. Hierbei verlegten sie insgesamt 30 dieser Gedenksteine, die an die Verfolgten und Ermordeten des NS-Regimes erinnern sollen.

Forschen hält geistig fit

Themenwoche: Wie uns unsere alten Menschen bereichern können
Möglichst lange leben wollen alle – alt sein eher weniger. Und doch sind alte Menschen ein Schatz – wegen ihrer Lebenserfahrung, wegen ihrer Treue in unseren Gemeinden, wegen ihres Glaubensvorbilds. In einer Themenwoche stellen wir vier Menschen vor und zeigen, wie sie das kirchliche Leben und jede und jeden Einzelnen bereichern. Für Folge 4 sprachen wir mit dem Studierenden Otto Gertzen.

Auf die Frage, ob es sich seiner Meinung nach immer lohnt, etwas Neues anzufangen, sagt Gertzen: „Es lohnt sich generell immer, überhaupt etwas anzufangen.“ Das Studium im Alter ist für den 75-Jährigen laut eigener Aussage „nicht wirklich etwas Neues“. Schließlich beschäftigt er sich auch dort mit Geschichte und Quellenkunde, wie er es aus seinem Beruf als Geschichtslehrer bereits kennt. Gertzen meint, dass es auf jeden Fall nicht sinnvoll sei, nach dem Berufsleben nichts zu machen. „Dann geht man sich selbst und anderen schnell auf die Nerven“, gibt er zu bedenken.

Seine Frau sei froh, dass ihr Mann mit dem Studium im Alter nach der Pensionierung noch eine erfüllende Aufgabe habe. Unterstützung für seine Idee bekam er auch von seinen Töchtern. „Die meinten, ‘Mach das, Papa. Das hält dich fit!’“, so Gertzen lächelnd. Als Rentner möchte er nicht nur auf dem Sofa sitzen und die Hände in den Schoß legen. Er hatte überlegt, sich nach dem Berufsleben ehrenamtlich zu engagieren. Doch die Entscheidung für das Studium im Alter war so schnell getroffen, dass ein mögliches Ehrenamt nicht mehr infrage kam.

Eintauchen in spannende Biografien

Mehr Informationen zum Studium im Alter unter www.uni-muenster.de/Studium-im-Alter/
Zum Publikationsserver der Uni Münster: https://miami.uni-muenster.de

Seit 2013 hat sich Gertzen an vier Forschungsprojekten mit den Titeln „Flurgespräche“, „Geschlechtergeschichte(n)“, „Demokratiegeschichte(n)“ und „Protestgeschichte(n)“ beteiligt. Dabei recherchierte er unter anderem über einen jüdischen Studenten der Zahnmedizin, der vor den Nazis ins Ausland floh, über ledige Mütter und ihre Kinder in einem damaligen Mutter-Kind-Heim bei Nottuln sowie über einen ehemaligen Stadtbaurat der Stadt Hamm.

Gertzen reizt an seinem Studium im Alter besonders, dass er tief in die Biografien der Menschen eintauchen kann. Dafür durchsucht er Archive, nimmt Kontakt zu Forschenden im Ausland auf und verbringt auch mal fünf bis sechs Stunden am Tag mit seinen Recherchen. Manchmal wundere seine Frau sich über seine Ausdauer: „Du bist nicht eher zufrieden, bis du was hast.“

Leidenschaft braucht Zeit

Normalerweise nehme das Studium im Alter nur zwei bis zweieinhalb Stunden pro Woche in Anspruch, so Gertzen. Da Geschichte jedoch seine Leidenschaft sei, investiere er gerne freiwillig mehr Zeit darin. Die Ergebnisse der Forschungsprojekte sind online beim Publikationsserver der Universität Münster „Miami“ zu finden. 

Durch Gertzens Forschung haben sich zahlreiche persönliche Kontakte ergeben. So hat er noch heute alle zwei Wochen Kontakt zu dem Sohn des jüdischen Zahnmedizinstudenten, der vor dem Naziregime geflohen war. Die Angehörigen leben heute in Australien und waren dankbar, dass sie durch Gertzens Recherchearbeit mehr über ihren Verwandten erfahren konnten.

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