Anzeige
Das angebliche Papstwort vom 20. Mai über zu viel „Schwuchtelei“ in Priesterseminaren hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Inzwischen wird deutlich, in welchem Kontext er sprach und was auf dem Spiel steht.
Papst Franziskus hat sich am Mittwoch mit einer Gruppe von Seminaristen aus dem Bistum Vicenza getroffen. Über den Inhalt teilte der Vatikan nichts mit. Es ist also nicht sicher, ob er mit den jungen Männern aus Norditalien, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten, über die Kritik an seinen jüngsten Äußerungen zur „Schwuchtelei" in Priesterseminaren gesprochen hat.
Doch die Begegnung zeigt, dass der 87-Jährige eine Ahnung davon hat, wovon er spricht. Am selben Nachmittag stand ein Treffen mit jungen Priestern des Bistums Rom auf dem Programm; darunter elf, die erst kürzlich geweiht wurden und bis dahin Seminaristen waren. Auch dies eine Gelegenheit zum Kontakt mit der Wirklichkeit.
Die Realität in Priesterseminaren
Dass die Realität in den Priesterseminaren schwierig ist, weiß das Kirchenoberhaupt schon lange. 15 Jahre war er als Erzbischof von Buenos Aires für das dortige Priesterseminar verantwortlich. Und die Bischöfe, die zum „Ad-limina-Besuch“ zu ihm in den Vatikan kommen, berichten regelmäßig über die Lage der Priesterausbildung.
Zuletzt taten dies die Bischöfe der regionalen italienischen Bischofskonferenzen. Zu ihnen steht er als Bischof von Rom in besonders engem Verhältnis. Regelmäßig tagen ihre Vollversammlungen im Vatikan, und bei einem solchen Treffen sollen am 20. Mai die Worte des Papstes über das Risiko zu vieler homosexueller Aktivitäten in Priesterseminaren gefallen sein. Wegen des vom Papst benutzten Begriffs sorgten sie für einen Aufschrei weit über Kirchenkreise hinaus und veranlassten den Vatikan zu einer Entschuldigung.
Ausschließlich Männer in Priesterseminaren
Jenseits der Aufregung um ein Wort, das hinter verschlossenen Türen fiel, bleibt das Thema virulent - und das nicht nur für Italien. Denn die katholische Kirche erwartet von den Seminaristen, dass sie sich auf ein Leben in Keuschheit vorbereiten. Deshalb sind die Verantwortlichen gehalten, darauf zu achten, dass niemand, der einen allzu starken Drang zur sexuellen Betätigung verspürt, ins Seminar aufgenommen wird.
Mögliche Objekte der Begierde in einem Priesterseminar sind ausschließlich Männer, deshalb gilt die Wachsamkeit bei der Zulassung vor allem jenen, „die Homosexualität praktizieren oder tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben“. Solche Männer kann die Kirche laut einer 2005 verfassten und 2016 unter Papst Franziskus bestätigten Vatikan-Instruktion „nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen“ .
Offenbar keine generelle Aussage über Homosexuelle
Diese weltweit gültige Instruktion wollten die Bischöfe Italiens aufweichen. Dabei spielte offenbar die vom Papst angeregte Öffnung der Kirche für Homosexuelle eine Rolle. Im November verabschiedeten die Bischöfe einen Entwurf für neue Regeln, wonach nur noch jenen Homosexuellen der Zugang zur Priesterausbildung verwehrt werden soll, die ihre Sexualität mit anderen Männern ausleben. Die „tiefsitzende Neigung“ soll hingegen kein Ausschlussgrund mehr sein.
Dass der Papst sich gegen diese neue Linie ausgesprochen und dabei auch politisch nicht korrekte Vokabeln benutzt hat, scheint inzwischen gesichert. Ebenso sicher scheint, dass er keine generelle Aussage über Homosexuelle machen wollte. In seiner Rede habe er den Respekt für Homosexuelle eigens unterstrichen, hieß es in italienischen Medien.
Thema wird bei Weltsynode bearbeitet
Im Fokus seiner Polemik stand offenbar eine in manchen Priesterseminaren verbreitete klerikal-homosexuelle Subkultur, die häufig mit ultrakonservativen Vorlieben in Liturgie und Theologie einhergeht. Es sei vermutlich diese Art der „Schwuchtelei“ gewesen, die der Papst aufs Korn genommen habe, schreiben Kommentatoren in Italien. Zudem habe er gewarnt, dass man Menschen, die sexuell nicht enthaltsam leben können, besser nicht in ein schlimmes Doppelleben hineintreiben solle.
Die Debatte wird weitergehen. So muss das vatikanische Klerusdikasterium die neuen Vorschläge der italienischen Bischöfe vom November prüfen. Auch bei der Weltsynode steht das Thema an. Allerdings wird es nicht im Plenum im Oktober debattiert, sondern von einer der zehn „Arbeitsgruppen“ behandelt, die unabhängig von der Vollversammlung für den Papst konkrete Reformvorschläge erarbeiten sollen.