„Betreutes Wohnen in Familien“ als Inklusionsmodell

Wie eine Gastfamilie Melanie P. ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht

  • Eine alternative Lebens- und Wohnform für erwachsene Menschen mit Behinderung ist das „Betreute Wohnen in Familien“.
  • Als Gastfamilie bieten Jennifer Fürst-Göttken und Martin Göttken einer Mitbewohnerin eine neue Lebensperspektive.
  • Eine Inklusion in den Familienalltag ermöglicht Teilhabe außerhalb stationärer Angebote.

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„Wir sind eine ganz normale Familie und sind auch gern eine Gastfamilie“, sagen Jennifer Fürst-Göttken und Martin Göttken aus Recklinghausen-Suderwich von sich. Sie sind seit sechs Jahren eine Gastfamilie der besonderen Art. Damals beschlossen sie, Melanie P. im Rahmen des „Betreuten Wohnens in Familien“ bei sich aufzunehmen.

Familie Göttken hat die Entscheidung ebenso wenig bereut wie Melanie P., die gern das Angebot angenommen hat, eine Wohngruppe für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in Castrop-Rauxel zu verlassen, um in einer für sie bis dahin unbekannten Familie zu leben.

Selbstständig zur Arbeit unterwegs

„Ich habe einen eigenen Wohnbereich. Ich fühle mich wohl und lebe gern hier“, sagt Melanie P.. Die 41-Jährige arbeitet für einige Stunden am Tag in der Küche der Werkstatt für Menschen mit Behinderung des Diakonischen Werks in Recklinghausen. „Ich habe bei der Arbeit auch Freunde gefunden. Das finde ich gut.“

Melanie P. kann selbstständig die Arbeitsstelle mit dem Bus erreichen. Sie schätzt den Familienalltag der Familie Göttken mit deren drei Kindern, die heute acht Jahre, vier Jahre und neun Monate alt sind.

Gemeinsame Urlaubsfahrten gehören dazu

„Ich sehe die Kinder aufwachsen. Ab und zu spiele ich auch mit ihnen. Ich kenne die ganze Familie, auch die Großeltern der Kinder. Dem Vater von Jennifer habe ich vor einigen Tagen zum Geburtstag eine Karte geschrieben. Er hat sich sehr gefreut, und ich mich auch“, sagt sie. In der Familie zu leben, sei schön. „Und bei den meisten Urlaubsfahrten bin ich mit dabei.“

Das Betreute Wohnen in Familien ist eine alternative Lebens- und Wohnform für erwachsene Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen und ist in diesem Fall eine Eingliederungshilfe, die vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe gefördert wird. Die Gastfamilie erhält ein monatliches Betreuungsgeld für die Betreuung, Unterkunft und Verpflegung.

Neue Lebensperspektive erschließen

Das familiäre Umfeld und der Aufbau tragfähiger Beziehungen sollen zu mehr psychischer Stabilität führen und dabei unterstützen, eine neue Lebensperspektive zu erschließen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Angestrebt wird ein selbstbestimmtes Leben außerhalb stationärer Angebote.

Jennifer Fürst-Göttken (38) und Martin Göttken (33) möchten ihrer Mitbewohnerin ein gutes Zuhause bieten und ihren Unterstützungsbedarf weiter fördern. „Das ist gelebte Inklusion. Solange es für alle Seiten gut ist, machen wir es. Wir wissen, worauf wir uns einlassen. Es ist eine lebenslange Aufgabe“, sagt Jennifer Fürst-Göttken und bekräftigt ihre Entscheidung und die ihres Mannes von vor sieben Jahren, als sie als junges Ehepaar mit einem kleinen Kind auch eine Gastfamilie sein wollten.

Mit Pflegegeschwistern aufgewachsen

Martin Göttken, der in einem landwirtschaftlichen Lohnunternehmen arbeitet, stammt aus einer größeren Familie, wo es immer schon „einen großen Mittagstisch“ gegeben hat. Die Eltern von Jennifer Fürst-Göttken nahmen Pflegekinder bei sich auf. „So bin ich und so ist meine eine leibliche Schwester aufgewachsen. Soziales Denken hat unser Familienleben geprägt“, sagt die dreifache Mutter.

Nach ihrem Abitur studierte die langjährige Messdienerleiterin in Bochum Katholische Theologie auf Lehramt. Während des Studiums arbeitete sie im Haus Regenbogen des Johanneswerks in Recklinghausen-Süd, wo Kinder und Jugendliche mit Behinderungen leben.

Caritasverband Marl begleitet Gastfamilien

Dort arbeitet sie heute für mehrere Stunden in einer Außenwohngruppe und absolviert noch ein heilpädagogisches Studium. „Die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen ist zu meiner Leidenschaft geworden“, sagt sie.

Begleitet wird die Gastfamilie vom Caritasverband Marl mit seinem Fachdienst „Betreutes Wohnen in Familien“. Der Fachdienst der Caritas-Betriebsführungs- und Trägergesellschaft (CBT) begleitet aktuell 13 Gastfamilien im Kreis Recklinghausen, wie dessen Ansprechpartnerin Marlies Brinkmann-Damm mitteilt.

Dauerhafte Betreuung als Ziel

„Unser Ziel ist ein gutes und dauerhaftes Betreuungsverhältnis. Daher nehmen wir uns für die Vermittlung viel Zeit“, sagt die Caritas-Beraterin. Bevor es zu einem Einzug in eine Gastfamilie komme, gebe es Kennenlern- und Probewohnzeiten.

„Wir bieten eine regelmäßige Beratung und Begleitung während der Vermittlung und beim späteren Zusammenleben“, sagt Brinkmann-Damm, die die Familie Göttken und Melanie P. regelmäßig besucht. Ziel der Eingliederungshilfe sei eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

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