Kirchliche Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen prägen die Gemeinde

Wo Inklusion selbstverständlich ist: So klappt es in Nordkirchen

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Alle Menschen sind verschieden. Manche Menschen haben Behinderungen. Niemand soll deswegen ausgeschlossen werden. Alle haben die gleichen Rechte. Und alle sollen bei allem mitmachen können: Diese Grundsätze der Inklusion leben die Menschen in Nordkirchen im Kreis Coesfeld seit Jahrzehnten. Das hat viel mit kirchlichen Einrichtungen zu tun, die ein besonderes Klima in der Gemeinde schaffen.

„In Nordkirchen sollen alle Menschen gut leben können. Deshalb verstehen wir uns als inklusive Gemeinde“, sagt Dietmar Bergmann (SPD). Er ist Bürgermeister und in diesen Wochen viel unterwegs im Ort, in dem viele Feiern anstehen.

1.000 Jahre Nordkirchen - die Gemeinde mit ihren Ortsteilen Capelle und Südkirchen lädt zu vielen Begegnungen und Festen ein, wobei Inklusion schon so selbstverständlich ist, dass der Begriff gar nicht mehr erwähnt zu werden braucht. „Wir leben Inklusion seit Jahrzehnten“, sagt Bergmann.

Einrichtung für Menschen mit Behinderungen direkt in der Ortsmitte

In Nordkirchen gibt es die Kinderheilstätte und die Caritas-Werkstätten. Dort leben und lernen und arbeiten Menschen mit Behinderung. Und sie leben mit den Menschen ohne Behinderung zusammen.

Anders als bei vielen anderen großen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen liegt die Kinderheilstätte Nordkirchen mitten im Ort, direkt am Kirchplatz. Sie hat ihren Ursprung in einer Armenstiftung aus dem 16. Jahrhundert.

Ein selbstverständliches Miteinander

Bürgermeister Dietmar Bergmann (SPD) und der kaufmännische Direktor der Kinderheilstätte, Thomas Pliquett (rechts) erklären, wie Inklusion in Nordkirchen gelebt wird. | Foto: Johannes Bernard
Bürgermeister Dietmar Bergmann (SPD, links) und der kaufmännische Direktor der Kinderheilstätte, Thomas Pliquett. | Foto: Johannes Bernard

„Menschen mit Behinderungen gehören also seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich zum Ortsbild von Nordkirchen. Die Akzeptanz für sie ist im Ort sehr hoch“, sagt auch der kaufmännische Direktor der Kinderheilstätte, Thomas Pliquett.

In der rund 10.000 Einwohner zählenden Gemeinde werden in der Kinderheilstätte etwa 550 Kinder und Jugendliche stationär oder teilstationär betreut und gefördert. Die Frühförderstelle der Einrichtung und die Förderschule ergänzen die Angebote für Kinder mit Entwicklungsbesonderheiten, Entwicklungsverzögerungen sowie mit einer drohenden oder vorhandenen Behinderung.

Größter Arbeitgeber der Gemeinde

850 Vollzeitstellen hat die Einrichtung zu besetzen. „Wir schätzen, dass allein 200 Mitarbeitende mit ihren Familien in Nordkirchen, Südkirchen und Capelle leben“, sagt Pliquett. Die Einrichtung sei der größte Arbeitgeber der Gemeinde.

Von der Kinderheilstätte unabhängig finden darüber hinaus etwa 250 Menschen mit geistiger, körperlicher oder schwerstmehrfacher Behinderung in der örtlichen Caritas-Werkstatt einen Arbeitsplatz. Viele Mitarbeitende der Werkstatt lebten ebenfalls im Ort, sagt Pliquett.

Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft

Ein Straßenname in Nordkirchen erinnert an Herbert Marx. Er war von 1961 bis 1987 ärztlicher Leiter der Kinderheilstätte. | Foto: Johannes Bernard
Ein Straßenname in Nordkirchen erinnert an Herbert Marx. Er war von 1961 bis 1987 ärztlicher Leiter der Kinderheilstätte. | Foto: Johannes Bernard

Dietmar Bergmann nennt zwei Beispiele des Miteinanders in der Gemeinde: Als bei der Kirmes ein Kind im Auto-Scooter einen epileptischen Anfall hatte, waren sofort mehrere Jugendliche zu Stelle und halfen, das Kind zu versorgen und zur Kinderheilstätte zu bringen. Und wenn es im Lebensmittelladen beim Bezahlen an der Kasse etwas länger dauert, dann nimmt man Rücksicht.

Zusammen mit der Kinderheilstätte und dem Caritasverband für den Kreis Coesfeld hatte die Gemeinde Nordkirchen die Inklusion auch im Zug der Regionale 2016, eines Strukturförderungsprogramms in Nordrhein-Westfalen, offiziell zum Thema gemacht mit dem Projekt „Nordkirchen - Auf dem Weg zur inklusiven Gemeinde“.

Integrativer Karnevalsumzug

Vernetzungen zwischen den Akteuren im Ort, mit der Kirche, den Sportvereinen und dem Karnevalsverein stehen ganz im Zeichen der Inklusion. Zudem arbeiten die Schulen bereits seit mehr als zehn Jahren zusammen, um inklusiven Unterricht zu gestalten. Jährliche gemeinsame Sporttage tragen viel zum Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinde bei.

„Jeder, der sich von der gelebten Inklusion bei uns überzeugen möchte, sollte an Karneval einfach mal vorbeischauen. Wir haben seit vielen Jahren einen integrativen Karnevalsumzug“, sagt Pliquett.

Jubiläumsgottesdienst in Capelle

In direkter Nähe zur Kirche St. Mauritius hat die Kinderheilstätte in Nordkirchen ihren Sitz. | Foto: Johannes Bernard
In direkter Nähe zur Kirche St. Mauritius hat die Kinderheilstätte in Nordkirchen ihren Sitz. | Foto: Johannes Bernard

Die Gründung des Orts vor 1.000 Jahren wird auch kirchlicherseits groß gefeiert. Den Jubiläumsgottesdienst zelebriert Weihbischof Stefan Zekorn am 28. August um 10 Uhr in St. Dionysius in Capelle. 1022 wurde Capelle erstmalig als Kirchort erwähnt. Die erste nachweisbare Erwähnung Nordkirchens entstammt einer Urkunde aus dem Bistum Münster und wird um 1022 datiert.

„Die Kirche ist im Ort präsent – durch den Caritasverband, die Ehrenamtlichen und nicht zuletzt durch unsere Ordensschwestern, die das frühere Krankenhaus und die Kinderheilstätte maßgeblich geprägt haben“, sagt Pliquett.

Geschichte der Kinderheilstätte
Die Tradition der Kinderheilstätte als soziale Einrichtung entstand vor mehr als 450 Jahren, als Ritter Gerhard von Morrien 1556 eine Armenstiftung gründete. 1730 beschloss Ferdinand von Plettenberg den Bau eines Armenhauses in Nordkirchen, das dann vom großen Baumeister Johann Conrad Schlaun errichtet wurde. Später wurde das Armenhaus zum Krankenhaus umgebaut.

1921 wurde das gesamte Stiftungsvermögen dem Caritasverband für die Diözese Münster übertragen. So entwickelte sich die Einrichtung zum Fachkrankenhaus für tuberkulosekranke Kinder und Jugendliche. Gleichzeitig entstand der heutige Einrichtungsname „Kinderheilstätte“.

1965 wurden die ersten Kinder mit Behinderungen aufgenommen. Seither unterhält die Einrichtung ein vielfältiges Angebot an ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsbesonderheiten und Behinderungen.

Im Ort wirken seit 1893 die Schwestern vom Orden der Heiligen Maria Magdalena Postel – kurz Heiligenstädter Schulschwestern. In früheren Zeiten arbeiteten dort bis zu 60 Schwestern. Heute sind es nur noch zwei: Schwester Anne Maria und Schwester Elisabeth. | job.

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