Neue Publikation zum Thema „Das Bistum Münster und der Erste Weltkrieg“

Als die Kirchen „Feuer und Flamme“ für den Krieg waren

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Die Begeisterung für den Krieg hatte 1914 in Deutschland auch die Kirchen, ihre Bischöfe und Theologen ergriffen, über die Konfessionen hinweg. Aber nicht nur im deutschen Kaiserreich war es so: In ganz Europa sahen die Vertreter der Christenheit, die doch eigentlich für den Frieden hätten eintreten sollen, den Krieg fast ausnahmslos als gottgewollte Verteidigung von Heimat, Nation und Volk an. Wie die Kriegsbegeisterung unter den Kirchenvertretern im Bistum Münster aussah, darüber gibt es eine neue Publikation.

Die Predigten und Ansprachen waren eindeutig: Dieser Krieg ist gerechtfertigt! 1914, als der Erste Weltkrieg ausbrach, waren alle Kirchen und Konfessionen regelrecht „Feuer und Flamme“ für den Kampf, der als gottgewollt angesehen wurde.

Die Kriegsbejahung 1914 war allgegenwärtig und erfasste nahezu alle Religionsvertreter: Die evangelische Kirche in Deutschland stand treu hinter ihrem Kaiser, die orthodoxe Kirche in Russland hinter ihrem Zaren, die anglikanische Kirche hinter ihrem Regenten. Der regierende Kaiser, der König oder der Zar – sie alle konnten sich auf die Kirchen- und Religionsvertreter verlassen.

Katholiken als „Reichsfeinde“

Die Katholiken in Deutschland wiederum sahen nach Jahrzehnten der Konflikte mit der preußisch-protestantischen Obrigkeit den Krieg als Chance, endlich das Klischee der „Reichsfeinde“ ablegen zu können und als treue Bürger anerkannt zu werden. Entsprechend groß war bei ihnen die Euphorie, als Kaiser Wilhelm II. alle Deutschen zum Dienst an der Waffe aufrief, um in den Krieg zu ziehen.

Nun haben Peter Bürger und Ron Hellfritzsch als Herausgeber im Rahmen des Editionsprojekts „Kirche & Weltkrieg“ eine umfangreiche Dokumentation zum Thema „Das Bistum Münster und Clemens August von Galen im Ersten Weltkrieg“ vorgelegt. Auf 608 Seiten wird akribisch die Haltung zum „Weltenbrand“ der damals führenden Kirchenvertreter und Theologen und darüber hinaus des noch jungen Pfarrers Clemens August Graf von Galen und späteren Bischofs von Münster und Kardinals vorgelegt.

Mentalitätswandel im Bistum Münster

Buch-Tipp
Peter Bürger, Ron Hellfritzsch (Hg.): Das Bistum Münster und Clemens August von Galen im Ersten Weltkrieg. Forschungen-Quellen (Reihe Kirche & Weltkrieg, Band 13), BoD Norderstedt 2022, ISBN 978-3-7562-2428-9, 608 Seiten, 22,40 Euro. Das Buch ist direkt bei unserem Partner Dialogversand online bestellbar. Telefonische Bestellungen unter 0251/4839-210.

Es ist ein beeindruckendes Werk der Mentalitätsgeschichte, mit dem die Herausgeber und Bearbeiter beeindrucken, wenn sie die katholische Kriegsbeihilfe anhand zahlreicher Quellen belegen. Wie konnte diese nur entstehen?

Im Bistum Münster hatte es im 19. Jahrhundert wie in anderen preußischen Landschaften noch antimilitaristische Mentalitäten gegeben. Wenn ein katholischer Sohn bei den (protestantischen) Preußen Soldat werden musste, wurde ehedem in der Familie wie bei einem Begräbnis getrauert.

Beten für den militärischen Sieg

„Am Vorabend des Ersten Weltkrieges ist von derlei Vorbehalten nichts mehr übrig. Bei Kriegsbeginn 1914 will die münstersche Bistumsleitung wissen, dass der protestantische Kaiser die ‚Gerechtigkeit unserer Sache‘ verbürgt und ein Gebet der um den Altar Versammelten ‚für den Sieg unserer Waffen‘ angesagt ist“, fasst Peter Bürger die Stimmungslage zusammen.

Der damalige Bischof Johannes Poggenburg (1862-1933) etwa versuchte mitunter auf eine sehr eigenwillige Weise, die Trauernden zu trösten: Der Krieg habe nicht unbedingt negative Auswirkungen. Viele junge Soldaten, die „für die höchsten Güter des Vaterlandes gefallen seien“, hätten einen direkten Weg zur himmlischen Heimat gefunden. Manch einer von ihnen wäre „vielleicht in der behaglichen Ruhe des Friedens irregegangen“.

Sprach- und Gedankenwelt verändert sich

Will man die Aussagen gerecht bewerten, muss man die damalige Sprachwelt verstehen. Sie änderte sich zu Beginn des Krieges schlagartig. Zahlreiche Kriegsworte sind von Münsters Domprediger Adolf Donders (1877-1944) überliefert, die im Militärseelsorge-Predigtband „Das Schwert des Geistes“ von 1917 dokumentiert sind.

Daraus zwei Zitate: „Das Gesetz über alles! Dem Gesetze getreu! Kameraden! Wo das Gesetz spricht, ruft, gebietet, da sind auch wir zur Stelle. Wir geben dem Kaiser, was des Kaisers ist, weil wir Gott geben, was Gottes ist. … Auf dem Gehorsam beruht die ganze Weltordnung.“ - „Der eine große Opferaltar steht ja seit Kriegsanfang in unserer Mitte. … Ein Volk ist niemals größer, und eines Volkes Opferflamme flammt niemals heller auf, als wenn zusammen gestorben sein muss: nicht, wenn zusammen gekämpft wird, nein, wenn zusammen gestorben sein muss. Dann ist der Opfergeist auf seiner höchsten Höhe.“

Plattdeutscher Kriegsroman

Auch der bekannte Dichterpriester Augustin Wibbelt (1862-1947) ließ sich mit seiner Gedichtsammlung „Dat ganze Volk steiht Hand in Hand“ von der allgemeinen Kriegsbegeisterung mitreißen und wurde schließlich ein Teil von ihr. Wibbelt trat mit Gebrauchstexten für die Front und einem plattdeutschen Kriegsroman (1918) hervor. Nation, Staatstreue und Opfertod predigte er den Gläubigen als hohe Werte.

Von 1906 bis 1929 wirkte Clemens August Graf von Galen (1878-1946) als Seelsorger in Berlin. Über den politisch durchaus regsamen Geistlichen und Adligen schreibt Ron Hellfritzsch den Beitrag „Clemens August von Galens baltischer Siedlungsplan 1916-1919“.

Griff nach den baltischen Staaten 

In Schriften hat sich Galen mit der Ansiedlung oder Kolonialisierung im Osten des Deutschen Reichs beschäftigt. Der sogenannte „Osten“ sollte nach Gewinn des Kriegs die baltischen Staaten miteinschließen. Zu den Quellenbeigaben, die dokumentiert werden, gehören eine vertrauliche „Denkschrift des Grafen zur Ansiedlung in Kurland“ vom Mai 1916 und Galens „Referat über Ansiedlung im Osten nach dem Kriege“ in einer Versammlung des Vereins katholischer Edelleute vom November 1916.

Nach dem Quellenstudium kommt Ron Hellfritzsch zu der Bewertung: „Die Suche nach Unterstützung für sein Siedlungsprojekt ließ von Galen letztlich an Vorhaben und Strukturen mitwirken, die tatsächlich als Vorboten späterer nationalsozialistischer Lebensraum-Planungen betrachtet werden können.“

Umfangreiche Quellensammlung

Wer sich für die Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert im Allgemeinen und für die Geschichte des Bistums Münster im Besonderen interessiert, findet in der umfangreichen Materialsammlung und seinen Beiträgen einen guten Lesestoff. Wer die Quellen liest, wird entdecken: Wie sonderbar und befremdlich erscheint die Kriegsbegeisterung, die im Sommer 1914 weite Teile Europas erfasste.

Die Gründe waren unterschiedlich und gelegentlich auch irrational. Selbst die Sozialdemokraten sahen im Ausbruch des Krieges eine Chance für einen „gerechten Kampf“ gegen antidemokratische Regime in Europa. Zu bedenken ist auch: Das kämpferische und kriegstreiberische Vokabular der politischen Eliten fand ein positives Echo in der öffentlichen Meinung.

Katholische Pazifisten bleiben Minderheit

In seinem Resümee beklagt Peter Bürger die Ignoranz der Kirche, den Krieg aufzuarbeiten: „Eine selbstkritische Aufarbeitung des kriegskirchlichen Komplexes findet trotz der vielen Millionen Toten nicht statt. Katholische Pazifisten bleiben in zwei Weltkriegen eine winzige Minderheit.“

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