Pater Elmar Salmann, Gerleve: Bibel ist Buch der aufschließenden Fragen

Auslegung der Lesungen vom 3. Fastensonntag (Lesejahr A)

Das Evangelium von Jesus und der Samariterin am Jakobsbrunnen ist voll von Fragen. Warum die ganze Bibel mehr ein Buch der aufschließenden Fragen als der fertigen Antworten ist, sagt Benediktinerpater Elmar Salmann aus Gerleve.

Anzeige

Das Evangelium von Jesus und der Samariterin am Jakobsbrunnen ist voll von Fragen. Warum die ganze Bibel mehr ein Buch der aufschließenden Fragen als der fertigen Antworten ist, sagt Benediktinerpater Elmar Salmann aus Gerleve.

 

Lang und verschlungen ist der Weg, der zur Selbsterkenntnis führt, bis der Mensch ahnt, wie es um ihn steht und was seine Bestimmung sein könnte. Noch länger jener Weg, der die Gotteseinsicht anbahnt, ihn ahnen lässt, wo Spuren dieses Gottes im Leben zu finden wären und was das für den Menschen bedeuten könnte.

Noch seltsamer steht es um den Weg des scheinbar fernen Gottes zu den Menschen. Schließlich schwindelerregend der Weg, auf dem wir lernen, einander sein zu lassen, gar zu verstehen.

Wie viel an mutigen Fragen, Missverstehen, Umwegen wie auch an überraschendem Einverständnis, an Feingefühl braucht es da! So auch in der berührenden Rätselerzählung von einer unwahrscheinlichen Begegnung zweier Welten, die religiös, kulturell, menschlich, sozial und politisch nichts miteinander teilen, gerade weil sie einander so nahe verwandt sind.

 

Tiefer als es scheint

 

Bühne und Darsteller sind schnell benannt und aufgebaut: ein Brunnen, abgründig tief, ins Unten und in die Geschichte weit zurückreichend; eine Frau von zweifelhaftem Ruf, spontan, assoziationsfreudig, mit guter Witterung für die Situation und vagem religiösem Wissen; ein Dorf mit allen üblichen Klischees, die Jünger in der unglaublichen Beschränktheit ihres Horizonts, endlich der fremde, von fernher kommende Jesus, der allen auf bewegende Weise gegenwärtig wird, und dies in einem Geschehen voll an überraschenden Wendungen und Theatercoups.

Da ist die Frau bei ihrer alltäglichen Begehung, bei der sie von einem Fremden unterbrochen und gestört wird, der sie um Wasser bittet. Diese schlichte Bitte unterläuft ein Tabu, das den direkten Kontakt zwischen Juden und Samaritern verbietet, und setzt eine unerhörte Bewegung frei.

 

Sie fragt und lässt sich in Frage stellen

 

Die Frau hört von nun an nicht auf, zu fragen – und sich in Frage stellen zu lassen, bis sie sich ihrem eigenen Leben und den brüchigen Grundlagen ihrer Religion stellen muss, eine ungemeine Entdeckungsreise.

Die Bibel, so merken wir, ist in mancher Hinsicht mehr ein Buch der aufschließenden Fragen als der fertigen Antworten, des offenen Erzählens, der Neuanfänge und Weitung der Horizonte. Unser Text wird deshalb von etwa einem Dutzend offener oder indirekter Fragen vorangetrieben, bis Verstehen möglich wird.

Der Leser wird womöglich innehalten und sich befragen lassen: Was sind meine Fragen an das Leben, an mich selbst und meine Umgebung? Lasse ich mich noch in Frage stellen? Bin ich aufgeschlossen für andere und neue Sichtweisen der Welt und der Religion? Gibt es in mir eine Entdeckerfreude im Blick auf die Spuren des Lebenssinns, der geheimen Gegenwart Gottes, der Eigenart der Menschen, die meinen Weg kreuzen? Kann ich mich gern einlassen auf Einsichten, die mich befremden?

Pater Elmar Salmann war lange Jahre Theologieprofessor in Rom. Er lebt als Mönch in der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: P. Bartholomäus Denz.Pater Elmar Salmann war lange Jahre Theologieprofessor in Rom. Er lebt als Mönch in der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: P. Bartholomäus Denz.

 

Näher als geglaubt

 

Endlich die Gestalt Jesu, der gegen alle Konvention unbefangen mit dieser fremden Frau spricht, ihr immer wieder neue Einsichten zumutet und so das Gemeinsame und das alles Sprengende der göttlichen Offenbarung erschließt, sie ahnen lässt, dass im Geist des Miteinander-Teilens wie in der Gebärde des Gebets die Menschen einander näher stehen sind als sie glauben.

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“ So lautet der erste Satz des 1500 Seiten umfassenden Joseph-Romans von Thomas Mann, wo er auf den Jakobsbrunnen anspielt, um den auch unsere Erzählung kreist. Und mehr noch: Weit und unabsehbar ist der Himmel Gottes, viel weiter, als unsere Horizonte reichen, als wir reisen und denken könnten.

 

Mehr als unsere Meinungswelt

 

Der Mensch ist zwischen diesen Perspektiven ausgesetzt, eingeladen, seine eigene Tiefe und Höhe und Weite auszumessen, die Größe seiner Freiheit zu erahnen – und sich endlich dem Gott einer fast unverschämten Liebesmächtigkeit zu öffnen, von der im Römerbrief die Rede ist. Einem Gott, der sich vom Größten nicht bezwingen und doch vom Kleinsten umschließen, ja umarmen lässt.

Er scheut sich nicht, mit den Samaritern, einer von ihnen verachteten Frau, gar seinen unverständigen Jüngern zu verkehren, damit sie sich alle einfinden können in einem Reich, das größer ist als unsere Meinungswelt. Denn Gott als liebender Schöpfer hat und äußert keine Meinungen über die Menschen, sondern ist ihnen auf eine Weise nah, dass sie neu etwas anfangen können mit sich selbst, den anderen, der Welt – und mit ihrem Gott.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 3. Fastensonntag (Lesejahr A) finden Sie hier.

Anzeige