Gerhard Tepe warnt vor französischen Verhältnissen

Caritas-Chef zu Attacken auf Einsatzkräfte: „Unfassbar, was da passiert“

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Der oldenburgische Landes-Caritasdirektor Gerhard Tepe fordert mehr Respekt voreinander – und zwar nicht nur vor Rettern und Polizisten. Und er warnt im Interview vor „Verhältnissen wie in Frankreich“.

Herr Caritasdirektor Tepe, Sie haben angekündigt, im kommenden Jahr „immer wieder Respekt“ einzufordern. Wo mangelt es denn derzeit daran? Können Sie konkrete Beispiele geben?

Es sind kleine Dinge, aber auch große: Wenn an Silvester die Polizei ihr Auto in eine Nebenstraße umparken muss, weil es auf dem zentralen Platz mit Böllern beschossen wird, dann ist das mehr als eine Respektlosigkeit. Wenn gehupt wird, weil der Krankenwagen im Einsatz die Straße versperrt, ist das für mich ebenfalls mehr als achtungslos. Nehmen Sie als „große“ Beispiele den rau gewordenen Ton oder gewählte Galgen-Bilder bei Demonstrationen! Wenn ich höre, dass es Politiker gibt, die sich gezwungen sehen, monatlich 100 Anzeigen an die Staatsanwaltschaft zu geben. Dabei geht es nicht um Meckern, sondern um massive Bedrohungen. Und ich denke an vermeintlich kleinere Formen der Missachtung, wenn ein Rollstuhlfahrer an der Supermarktkasse steht, dort mehr Zeit zum Bezahlen braucht und dafür Despektierliches hören muss!

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass – etwa in der Silvesternacht – haupt- oder ehrenamtliche Helfer oder Einsatzkräfte behindert werden?

Teilweise muss ich mir die Augen reiben, weil ich nicht fassen kann, was da alles passiert. Da mache ich mir ernsthaft Sorgen. Sicher hat die Generation unserer Eltern einen Respekt eingeflößt bekommen, der ungut war. Das war in Teilen eine überzogene, falsch verstandene Form der Achtung. Aber jetzt hat das Pendel eindeutig ins andere Extrem umgeschlagen. Ich hoffe, dass wir in Deutschland nicht Verhältnisse wie in Frankreich bekommen.

Was ist in den vergangenen Jahren denn derart schiefgelaufen, dass die Forderung nach Respekt als Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens überhaupt nötig ist?

Das ist eine gute Frage. Möglicherweise wurden Menschen über viele Jahre „übersehen“. Ich denke an Ostdeutschland. Ich denke an Gruppen, die keine Lobby haben. Das war und ist nicht in Ordnung. Meinem Eindruck nach wird jetzt allerdings das eigene Ego über alles gesetzt.

Das „Im Bus für einen älteren Herrn aufstehen“ hat da keinen Platz mehr. Manchmal frage ich mich, ob diese Entwicklung auch im Kielwasser des Rückgangs von Religion, von Rückbindung, zu uns gekommen ist.  

Wie lässt sich Respekt neu gewinnen? Welche Rolle können etwa die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege dabei übernehmen?

Wer Respekt erlebt hat, wird ihn weitergeben. Es ist wichtig, in den Kitas und Grundschulen achtsam miteinander umzugehen. Hier braucht es, gerade für junge Menschen, Lernfelder des Sozialen wie den Szenenwechsel im Oldenburger Land oder das Angebot von Freiwilligem Sozialen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst. Junge Menschen brauchen Berührungspunkte mit Alten und Kranken oder mit Menschen mit Handicaps. Er gibt auch einen respektvollen Umgang mit Dingen, den wir wieder lehren und lernen müssen: Es geht nicht, dass Schaufenster bei Demos ein- oder Autos umgeworfen werden. Die Freie Wohlfahrtspflege muss sich weiterhin schützend vor und hinter ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen, dort wo der Respekt der Schwester der Sozialstation mit Füßen getreten wird. Und Wohlfahrtspflege muss gleichzeitig Vorbild sein in der Achtung vor dem Obdachlosen am Bahnhof in Oldenburg, Osnabrück oder Münster. Unsere Aufgabe ist es, sowohl für den strukturellen Respekt zu sorgen als auch für den individuellen.

Wie bewerten Sie die Wahrnehmung von Caritas und Co. von Seiten der Politik? Fühlen Sie sich genügend ernst genommen?

Da möchte ich für mich und meinen Verband sprechen: Ja, wir fühlen uns ernst genommen. Viele Politikerinnen und Politiker sehen inzwischen den wichtigen Beitrag, den die Wohlfahrtsverbände für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit den sozialen Frieden leisten. Sie unterstützen uns an vielen Stellen. Gleichzeitig werden wir der Politik gegenüber immer ein kritisches Korrektiv bleiben. Beispielsweise immer wieder eine ausreichende Finanzierung für den sozialen Bereich anmahnen: Das ist und bleibt unsere Aufgabe und Rolle!

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